Das Essener Kultstudio Piranha Bytes hat vor allem mit der Gothic-Marke eine mehr als prominente Duftmarke im Rollenspiel-Metier der 00er Jahre hinterlassen. Mit Risen und Elex folgten weitere Rollenspiel-Serien, die zwar in der Kritikerdunst nicht ganz so hochstanden wie die beiden ersten Gothic-Teile, aber definitiv ihre Fanbase hatten. Wie Gamestar nun jüngst berichtet, könnte für eines der zentralen Aushängeschilder von Computerspielen made in Deutschland bald Schluss sein. Gamestar verweist auf „vertrauenswürdige und voneinander unabhängige Quellen“, wonach den Ruhrpott-Entwicklern die baldige Schließung drohe.
Die wichtigsten Hinweise reichen bis in den Dezember 2023 hinein: Ende 2023 wurde die Piranha Bytes-Website ohne Vorwarnung abgeschaltet. Die Domain besteht zwar noch, Inhalte gibt es aber bis auf das prangende Logo des Studios keine mehr. Der entwicklereigene YouTube-Kanal wurde zuletzt Ende November bespielt. Zudem war ursprünglich das Projekt „WIKI6“ angekündigt – Nach den Infos von Gamestar sollte es sich hierbei um Elex 3 handeln. Dieses Spiel fehlte auf der Liste der geförderten Spiele des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zunächst gänzlich. Wie sich mittlerweile (18. Januar, Stand 10:00 Uhr) aber herausgestellt hat, befindet sich das Projekt nach wie vor auf der Liste. Der Arbeitstitel WIKI6 wurde aber in die Projektbezeichnung „Currywurst“ umgetauft und befindet sich laut Gameswirtschaft nach wie vor auf der Liste, sämtliche Daten des 3.2 Mio. EUR-Projektes sind identisch mit dem vorherigen WIKI6-Eintrag. „Currywurst“ dürfte hier eine Anspielung auf den Ruhrgebiets-Lokalpatriotismus sein. Zumindest der letzte Hinweis ist also mittlerweile obsolet. Laut BMWK handele es sich nämlich um ein „laufendes Vorhaben“, das stückweise bis Anfang 2026 ausgezahlt werde.
Fehlkalkulation der Embracer Group dürfte maßgeblich zur Schließung beitragen
Die vertrauenswürdigen Quellen von Gamestar kommen aus dem näheren Umfeld des Entwicklers, wollen allerdings anonym bleiben. Fest steht allerdings, dass sich offenbar viele der Details laut Gamestar zu decken scheinen. Unmittelbar zusammenhängen dürfte das Ganze aber mit der expansiven Shopping-Laune der schwedischen Embracer Group, die Muttergesellschaft von THQ Nordic ist, und zu denen Piranha Bytes seit 2019 gehört. In den vergangenen Jahren hatte Embracer zahlreiche Publisher und Entwicklerstudios aufgekauft (wir berichteten hier, hier und hier) und hat für diese Akquisitionen reichlich Kapital in die Hand genommen. Allein im August 2022 hat man umgerechnet 770 Mio. US-Dollar investiert, um mehrere große Namen einzukaufen wie z.B. Middle-Earth Enterprises (die Rechteinhaber des Herr der Ringe-Universums) einzukaufen. Schon zuvor hatte man große Häuser wie Koch Media (mittlerweile Plaion) und Gearbox (mitsamt ihren umfassenden Vertriebs- und Publishing-Zweigen), aber auch hochkarätige Entwicklerstudios wie Crystal Dynamics und Eidos Montreal erworben. Man strebte offenbar danach, gleichermaßen Big Player in der Videogame-Branche zu werden, aber eben auch Investoren anzulocken. Ende März war dann aber plötzlich Schluss damit und es wehte ein anderer Wind: Man veröffentlichte die vorläufigen Zahlen für das Ende März abgeschlossene Geschäftsjahr. Eine sehr kurzfristig geplatzte Kooperation mit der saudischen Savvy Games Group hatte erhebliche Auswirkungen auf die Aktienkurse des Unternehmens. Das Geschäftsvolumen des Deals betrug rund 2 Milliarden (!) US-Dollar und hätte neue Maßstäbe in der Industrie setzen sollen. Das Platzen des Deals sorgte für finanzielle Engpässe bei der sonst so zahlungsfreudigen Konzerngruppe, es kam in Folge zu einer umfassenden Restrukturierungs-Maßnahme. Im November 2023 hieß es dann, dass 15 Projekte eingestellt worden seien. Dies ging einher mit einem massiven Abbau von Stellen und der Schließung kompletter Studios. Die Saints Row-Entwickler Volition wurden z.B. komplett geschlossen, auch Campfire Cabal und Free Radical Design wurden dicht gemacht. Ein heiß ersehntes neues TimeSplitters wird also vermutlich nie erscheinen. Die Tomb Raider-Masterminds Crystal Dynamics und andere Studios berichteten von einem massiven Stellenabbau. Insgesamt sollen bei Embracer 900 Leuten entlassen worden sein, die Tendenz ist eher höher. Kurzum: Embracer hat sich massiv verzockt und davon betroffen ist eben auch Piranha Bytes.
Embracer bzw. THQ Nordic wollten für Piranha Bytes einen neuen Eigentümer finden. Dasselbe haben sie laut Gerüchten auch mit Gearbox vor. Die Suche bei Piranha Bytes verlief bislang allerdings erfolglos, weshalb den Mitarbeiter*innen des Studios im Dezember 2023 gekündigt worden ist. Dieser Prozess ist noch nicht final. Die Quellen bestätigten Gamestar also: Das Unternehmen existiert noch, allerdings nur noch auf dem Papier. Arbeiten an Elex 3 seien eingestellt worden.
THQ Nordic wollte sich bislang nicht zu den Geschehnissen äußern. Gamestar hat zwar konkret angefragt, aber die Möglichkeit zum Statement wurde ausgeschlagen.
Gothic Remake bleibt von den Vorgängen unberührt
Das Gothic Remake, welches sich aktuell beim spanischen Studio Alkimia Interactive in Entwicklung befindet, bleibt davon allerdings unbetroffen, da Piranha Bytes in keinster Weise an der Produktion beteiligt ist.
Was bislang unklar ist:
Laut Gamestar besteht die Möglichkeit, dass Piranha Bytes als Marke weitergeführt werde und dass die aktuellen Mitarbeiter*innen andere Positionen innerhalb der Embracer/THQ Nordic-Infrastruktur finden. Wie es mit dem subventionierten Projekt „Currywurst“ weitergeht, ist unklar, da die Quellen ja besagen, dass das Unternehmen den Betrieb auf Eis gelegt hat.
Es könnte zwar sein, dass Embracer einen Käufer für Piranha Bytes und die Elex-Marke findet, ist aber angesichts der weitreichenden Personalabgänge laut Gamestar eher unwahrscheinlich.
Embracer hat Piranha Bytes nicht ganz grundlos abgesägt: Während sich der erste Elex-Teil noch gut verkaufte und sich vor allem langfristig solide abgesetzt hat, gilt das Sequel als kommerzieller Flop und blieb wohl hinter den Erwartungen vonseiten der Embracer Group zurück. Nebst der Tatsache, dass den Piranha Bytes-Titeln immer auch ein bisschen das Eurojunk-Etikett anhaftet, dürfte das für andere Publisher nicht gerade reizvoll erscheinen.
Es ist wirklich, wirklich schade, denn Piranha Bytes ist ein traditionsreiches, kultiges Studio, das irgendwie immer seinen altbackenen, aber sehr uniquen Kurs gefahren ist und dafür auch von vielen Spieler*innen geschätzt wurde. Ich glaube, viele Spieler*innen werden es vermissen, diesen etwas raueren, unpolierten Charme der Piranha Bytes-Titel in moderner Form spielen zu dürfen. Und natürlich ist es ein weiterer Schlag in die Magengrube für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Bezug auf Computer- und Videospielentwicklung, nachdem sich bereits Daedalic nach dem Gollum-Desaster aus der Entwicklung zurückgezogen haben.