Südkoreanische Videospielproduktionen erfahren derzeit gefühlt ordentlich Aufwind im westlichen Raum. Bislang assoziierte ich mit Spielen made in Korea vor allem extrem hübsche, aber zumeist ungemein grindlastige MMORPGs, erfolgreiche Battle Royale-Titel, eine ziemlich starke eSports-Community und aufwendige Mobile Games. Müsste ich höherbudgetierte koreanische Singleplayer-Titel ab den frühen 00er Jahren benennen, die ich gespielt habe, fallen mir tatsächlich nur eine Handvoll Namen ein: Die Magna Carta Reihe* etwa, die zwischen 2001 und 2009 für PC, PlayStation 2 und Xbox360 erschien oder das Kingdom Under Fire-Franchise, das lange Zeit ebenfalls auf der Xbox beheimatet war und zuletzt 2019 einen PC-exklusiven Nachfolger spendiert bekommen hat. Danach wird es aber schon eher eng mit dem Erinnerungsvermögen. Das will nicht heißen, dass Südkorea grundsätzlich immer Ödland für Solo-Gamer*innen war, in den 1990ern wurden landeseigene KRPG-Rollenspiele als sogenannte „Packages“ verkauft, vorher gab es Rip Offs japanischer Arcade-Titel. Hardcore Gaming 101 hat vor einer ganzen Weile einen ausführlichen und ziemlich interessanten Artikel zur koreanischen Gaming History von Sam Derboo publiziert, die so grundlegend anders ist als die unsere Videogaming-Kultur. Interessierte kommen hier zum Artikel: Klick
Aber ich schweife ab, es hat sich was verändert: Sologames aus Südkorea scheinen zunehmend mehr Thema zu werden. Das von der Pinocchio-Geschichte inspirierte 2023er Soulslike Lies of P von Neowiz Games hat schon vor Release nicht wenig Hype generiert, und das offenbar auch nicht zu Unrecht, denn die Spieler*innen nahmen den Titel gut an und auf Metacritic kann die düstere Adaption der Vorlage ebenfalls einen sehr guten Score von 80 vorweisen. PUBG-Publisher Krafton hat einen aufwendigen Big Budget Singleplayer-Titel zur koreanischen Fantasy-Romanreihe „The Bird That Drinks Tears“ angeteasert und auch die MMORPG-Spezialisten NCSoft scheinen opulente Solo-Projekte in der Pipeline zu haben. Die Geschichte von Stellar Blade ist ebenfalls die Geschichte eines merkwürdigen Hypes: Das in Seoul beheimatete Entwicklerstudio Shift Up hatte vorhergehend ausschließlich gutaussehende Mobile Games mit Gacha-Mechanik zur Monetarisierung veröffentlicht, hier seien vor allem das langlebige Destiny Child und Goddess of Victory: Nikke genannt. Gleichzeitig werkelte man mit dem Team Second Eve Studio am ersten AAA-Titel, der zunächst für PlayStation 4, Xbox One und PC erscheinen sollte. 2021 kristallisierte sich heraus, dass Sony das Publishing übernehmen würde. Das ursprünglich Project Eve bezeichnete Spiel hieß nun Stellar Blade, würde exklusiv für PlayStation 5 erscheinen und wirkte in den Teasern wie die koreanische Antwort auf NieR: Automata (oder vielleicht auch ein Bayonetta) – nun ist das Ding vor wenigen Tagen erschienen und wir beantworten euch die Frage, ob es denn auch genauso gut ist wie das Meisterwerk von Yoko Taro.
* Und noch ein ergänzender Fun Fact zu der ohnehin schon viel zu langen Einleitung: Der Mitbegründer und Creative Director von Shift Up, Kim Hung Tae, war nicht nur für das Design von den oben benannten Magna Carta-Spielen verantwortlich, sondern arbeitete in den 90ern an der wohl bekanntesten KRPG-Reihe Genesis of War mit, die ebenfalls als Packages verkauft wurden und die sogenannte „Golden Age“ des koreanischen Taktik-Rollenspiels einleiteten. Personell scheint die koreanische Videogame-Industrie also noch vergleichsweise kompakt zu sein.
Eine letzte aufkeimende Hoffnung zum Ende der Menschheitsgeschichte…
Mit Blick auf die Handlung hat Stellar Blade sich eine großzügige Scheibe bei der postapokalyptischen Vision eines NieR: Automata abgeschnitten.
Die Menschheit hat den Krieg verloren. Mit den Naytibas sind in der unbestimmten Vergangenheit furchterregende Kreaturen auf der Erde aufgetaucht, welche den Untergang des Planeten hinaufbeschworen. Die Zivilisation ist kollabiert und ein Großteil der Menschen ist auf eine Kolonie umgesiedelt worden, die unter der Schirmherrschaft einer führenden KI namens Mother Sphere steht.
Wir schlüpfen in die Rolle von Eve, einem Mitglied des 7. Luftlandetrupps. Unsere Mission ist es, in einem letzten verzweifelten Versuch die Erde von den Naytiba zu befreien, um diese so wieder bewohnbar zu machen. Wir landen in Distrikt 3, wo wir gesichtete Alpha-Naytibas, die besonders mächtigen Anführer-Kreaturen, ausfindig machen sollen. Doch die Infiltration verläuft alles andere als glimpflich – Nahezu unsere gemeinsame Truppe wird beim ungeplanten Absturz eines Raumschiffes getötet. Nur unsere hartgesottene Mentorin Tachy scheint überlebt zu haben. Gemeinsam versuchen wir entlang des kargen Küstenabschnitts zum nächsten Versorgungslager zu gelangen, um uns notwendigerweise zu regenerieren. Doch es kommt, wie es kommen muss. Der Alpha taucht im denkbar verwundbarsten Moment auf – Als die Kreatur im Begriff ist, uns anzugreifen, opfert Tachy nicht nur ihren Arm, sondern auch ihr Leben für uns. Wir indes scheinen in eine Art Ohnmacht gefallen zu seine. Es sind wohl Stunden oder gar Tage vergangen.
Wir landen in Eidos 7 – eine gewaltige Metropole, welche die letzte Schlachtstätte der Zivilisation gewesen sei, klärt uns die kleine rumschwirrende Drohne auf. Kontrolliert wird sie von Adam, einem überlebenden Plünderer von der Erde. Dieser hat uns scheinbar aufgelesen und zusammengeflickt. Im Gegenzug sollen wir ihm dabei helfen, eine sogenannte „Hyperzelle“ zu bergen, eine gewaltige Energiequelle, die in den Trümmern von Eidos nach all der vielen Zeit immer noch die „Halle der Aufzeichnungen“ mit Strom versorgt. Die Referenz an die biblischen Adam und Eva dürften unbestritten beabsichtigt sein. Im Verlauf der Erkundung der kaputten Metropole, begegnen wir nicht nur einem weiteren Alpha-Naytiba, sondern auch einer seit Jahren zerstörten Rettungssonde, die ein schwaches Notsignal funkte, und die offenbar zum 5. Luftlandekommando gehörte. Als wir dem Signal auf den Grund gehen, immerhin ist es ein Hinweis auf Überlebende, stoßen wir auf die junge Ingenieurin Lily, die sich über Jahre in der Kapsel versteckt hielt. Damit konstituiert sich die weitere Crew, die uns auf diesem Abenteuer wider Willen begleitet.
Adam wiederum eröffnet uns, dass es tatsächlich eine letzte Bastion der Menschheit gibt: Xion ist eine Stadt mit vergleichsweise intakter Infrastruktur, die von dem spirituellen Führer Orcal geleitet wird, früher mal tatsächlich über 100.000 Einwohner*innen für sich beanspruchen konnte, von denen viele aber mittlerweile tot sind oder sich in Kryostase befinden. Unsere Reise führt uns folgerichtig in dieses menschliche Refugium, wo man uns teilweise mit Bewunderung und teilweise mit unverhohlenem Argwohn begegnet. Die überlebende Bevölkerung ist nämlich in Lager gespalten, in jene, welche in der Ankunft der „Engel“ (so die Fremdbezeichnung für die von Mother Sphere entsendeten Eve-Truppen) die Erlösung sehen, und jene, die voll Verbitterung glauben, dass Mother Sphere die Erde im Stich gelassen hätte. In Xion beauftragt man uns mit der Suche nach weiteren seltenen Hyperzellen, um dieses Stätte wieder voll funktions- und bevölkerungsfähig zu machen. Die Hyperzellen muten zunächst wie klassische McGuffins an. Doch ab diesem Zeitpunkt öffnet sich auch die Geschichte von Stellar Blade und schnell wird klar, nichts ist so wie es scheint.
Die Geschichte von Stellar Blade war für mich ein recht ambivalenter Punkt: Die Prämisse einer von der Menschheit verlassenen post-apokalyptischen Erde, die von einer vermeintlich außerirdischen Macht okkupiert und zerstört wurde, weist deutliche Parallelen zu anderen Titeln der jüngeren Vergangenheit auf: Vordergründig natürlich NieR: Automata von Yoko Taro, bei dem es mehrere thematische Überschneidungen gibt, aber auch zu der Horizon-Serie von Guerilla Games oder dem ewig unterbewerteten Enslaved: Odyssey to the West von Ninja Theory. Im Gegensatz zu den organisch anmutenden Maschinenwesen der vorangegangenen Titel, wirken die Naytiba aber so gar nicht synthetisch, sondern wie fleisch-groteske Monstrositäten. Woher sie kommen, ist dann aber m.E. ein ziemlich guter Twist. Generell finde ich das Handlungsgerüst von Stellar Blade ziemlich durchdacht und ansprechend, es erinnert an coolere Manga/Animes-Klassiker wie Neon Genesis Evangelion und RahXephon. Gleichzeitig kann man natürlich bemängeln, dass alles schon irgendwie mal dagewesen ist. Stellar Blade besteht aus (durchaus coolen) Versatzstücken, die klar an die o.g. Postapokalypsen angelehnt sind, mit dem hypersexuellen Fokus auf den Körper von Eve aber auch ein bisschen den Fetisch-Vibe der Bayonetta-Spiele aufgreifen. Ist sexistisch, klar – und ich verachte die in der Regel männliche Fanboy-Blase, die in Stellar Blade einen antiwoken Hoffnungsträger für ihr kaputtes Weltbild gesehen haben (und sich nun mächtig über eine kleine Sony-Zensur aufregen), aber gleichzeitig wird es diese Art von weiblicher, klar manga/mahnwa-inspirierter Darstellung immer in südostasiatischen Produktionen geben. Es gibt einen Markt für diese Darstellung und ich könnte mir vorstellen, dass es künftig durchaus Eve-inspirierte Cosplays von weiblichen (!) Fans geben könnte – long story short: Es ist schlicht eine zu hinterfragende Geschmacksfrage. Ich bin jetzt kein Typ, der diese Figuren großartig sexualisieren kann, aber ehrlich gesagt habe ich durchaus Spaß an Sexploitation/Grindhouse-artigen Darstellungen von Weiblichkeit wie in Bayonetta, Onechanbara oder meinetwegen auch in Dead or Alive-Spielen. Es wirkt naiv trashig, dazu aber später mehr.
Hier liegt aber auch kleines Kerndilemma von Stellar Blade: Ein Bayonetta nimmt sich in wenigen Momenten wirklich ernst, die Umbra-Hexe weiß um ihren Sex-Appeal und das Spiel arbeitet fast schon auf Meta-Ebene mit dem „Sex Sells!“-Ansatz. Bayonetta wirkt tough, hat eine große Schnauze, lässt sich von niemanden was sagen und ist witzig. Das sind alles Attribute, die auf Eve leider nicht zutreffen. Eve hat einen großen Poppes mit eigener Physik, der in glänzende Bodysuits gezwängt wird, ist sonst aber charakterlich extremst blass, wirkt beinahe seltsam submissiv, obwohl sie zugleich als ziemlich potente Kampfmaschine gezeichnet wird. Aber auch Adam und später Lily wirken wie blasse Abziehbilder gängiger Anime-Archetypen. Die Motivationen und die Chemie innerhalb der Crew bleiben eher oberflächlich. Das ist extremst schade, weil gerade Yoko Taro sein NieR-Universum mit vielen philosophischen Ansätzen ausgestattet hat und die Charaktere allesamt so viel besser ausgearbeitet wurden. Auch das World Building selbst ist inkohärent – Man erahnt die Krisen vergangener Jahrhunderte, weil sie angedeutet werden. Die kaputte, post-apokalyptische Welt von Stellar Blade ist ein eklektisches Konstrukt: Hier zieren kyrillische Schriftzeichen die Ruinen eines „Romantikhotels“, während einen Block weiter französische oder englische Straßennahmen an den verwüsteten Häuserfassaden angebracht sind und wieder an anderer Stelle koreanische Hangul-Zeichen zu sehen sind. Offenbar ist die irdische Gesellschaft in Stellar Blade im Zuge der Globalisierung zu irgendeinem Zeitpunkt noch enger aneinandergerückt. ABER: Das wird in den zahlreichen Notizen einfach so gut wie gar nicht verarbeitet. Auch die Lore der Welt treibt deshalb an der Oberfläche, weil man die visuelle Welt nicht mit der erzählerischen verknüpft. Die Grundhandlung von Stellar Blade böte genügend Potential für ähnlich ambitioniertes und tiefer gehendes Writing wie bei NieR, schafft es aber nicht so ganz aus der sexy B-Movie Sci-Fi-Ecke hinaus.
Schöner Game Loop aus wuchtigem Kampf zwischen Hack & Slay, Soulslike-Kuschelei und Exploration mit Plattformer-Elementen
Spielerisch ist Stellar Blade dafür über alle Maßen erhaben. Ich muss gestehen, ich habe nach den ersten Ankündigungen und Trailern ursprünglich ein reinrassiges Hack & Slay á la Bayonetta und Devil May Cry erwartet.
Und die Hack & Slay-Komponente funktioniert bei Stellar Blade tatsächlich ziemlich exzellent, gerade wenn man bedenkt, dass Shift Up zuvor nur Mobile Games gemacht haben: Die Steuerung ist absolut präzise, das Kampfsystem hat durch die ausbaubaren Fähigkeiten eine angenehme Tiefe, man kann nicht kopflos buttonmashen, sondern muss tatsächlich aktiv Parieren, Ausweichen und Angreifen, vielleicht eine Beta-Fähigkeit hinterhersetzen und im besten Falle auch die Angriffsmuster der Gegner ausloten. Tatsächlich habe ich mich beim Kampfsystem häufig ein bisschen an Ninja Gaiden und Sekiro erinnert gefühlt. Es fühlt sich ähnlich intensiv an, ist aber beileibe nicht so unbarmherzig. Stellar Blade ist auf normalem Schwierigkeitsgrad in jedem Fall ein forderndes Spiel, keine Frage – aber es dringt nicht ganz in From Software-Dimensionen vor, was ich persönlich ganz gut finde. Es fühlt sich im besten Sinne intensiv an und es macht Spaß, mit ein bisschen Übung perfekte Ausweich- und Kontermanöver zu spammen. Besser als bei Bayonetta, Devil May Cry und den oben genannten Spielen empfinde ich das Trefferfeedback, sowohl animationstechnisch, als auch beim physischen Impact. Shift Up haben die Motoren des Dual Sense-Controllers gut genutzt, um die Wuchtigkeit der Kämpfe zu unterstreichen, zumal über die Lautsprecher des Controllers auch die Block- und Parier-Sounds betont werden. Neben den Astrobot-Spielen und Returnal, markiert Stellar Blade aktuell den Goldstandard bei der Nutzung der Dual Sense-Features.
Ansonsten gibt es Genre-typisch eine Unterscheidung zwischen leichten und schweren Combos. Leichte Angriffe werden über die Viereck-Taste realisiert, schwere Angriffe über das Dreieck. Ketten von entsprechenden Angriffen bauen sich zu Combos auf, kombiniert man sie, entstehen komplexere Angriffssequenzen. So weit, so bekannt. Mit der linken Schultertaste können wir blocken. Kriegen wir eine „Perfekte Parade“ hin, reduzieren wir das über kleine gelbe Marker angezeigte Gleichgewicht der Kreaturen, und lassen sie kurz taumeln. Haben wir den Gleichgewichtsbalken komplett geleert, stehen uns besonders verheerende Angriffe zur Verfügung, die den Monstern ordentlich zusetzen.
Es gibt allerdings auch Angriffe von Monstern, die unblockbar sind – diese werden in der Regel farblich markiert, sodass wir mittels spezifischer Tastenkombinationen dodgen und reagieren können. Leuchten die Widersacher etwa gelb auf, muss man mittels Kreis-Taste klassisch ausweichen, bei blauer Markierung muss man „Blinzeln“, indem man die Kreis-Taste betätigt, während man mit dem linken Stick nach unten zieht, bei pinken Angriffskreisen kann man aktiv zurückschlagen. Auch hier zeigt sich Stellar Blade animatorisch hervorragend, wenn Eve ihre kunstfertigen Manöver abzieht. Gelingt unsere Aktion, bringt auch das die Gegner zum Taumeln. Das Zeitfenster ist dabei immer fair gesetzt.
Während der Kämpfe können wir ganz klassisch zusätzliche Items nutzen, etwa verschiedene Heiltränke oder Granaten, Minen und andere explosive Fallen. Zugleich können wir aber auch Ausrüstung anlegen, die unsere Werte aufpeppt, etwa die sogenannten Exospines, die uns Buffs (und Debuffs) verleihen. Diese können wir u.a. vorher mittels verschiedener „Rohstoffe“ craften, womit wir dann gleich auch den Bogen zur anderen Gameplay-Säule spannen können.
Denn wider meinen persönlichen Erwartungen ist Stellar Blade ein vollwertiges Adventure geworden, welches sich nach und nach zunehmend öffnet und sich damit deutlich von anderen Hack & Slay-Titeln wie Bayonetta und Devil May Cry abhebt, die immer eine eher Missions-getriebene lineare Levelstruktur aufwiesen. Es gibt 9 Maps in Stellar Blade – manche davon sind linearer Natur wie das anfänglich genannte Eidos 7 und bringen keine eigene Karte mit. Die Menschenbastion Xion funktioniert gewissermaßen als Knotenpunkt, in welchem wir die ersten Nebenquests und Aufträge vom Bulletin Board erfüllen können.
Leider sind die meisten Nebenaufgaben eher reichlich banale Bring & Hol-Aufgaben. Gerade zu Beginn versuchen sie zwar bewusst fatalistische Stories zu erzählen, die zumeist mit dem ernüchternden Verlust von geliebten Menschen enden – auch hier hat man sich an den melancholischen NieR-Vibes orientiert – gleichzeitig baut man wirklich keine emotionalen Bezüge zu den NPCs auf. Meistens gibt es für das Erfüllen von Aufgaben lediglich Gold und vielleicht ein paar VitCoins, zu denen ich später komme. Beides hat man ohnehin im Überfluss, sodass es außer dem Komplettierungswillen wenig Anreize gibt.
Ansonsten gibt es einige Collectibles und optionale Aktivitäten: Neben den vielen Notizen, die zum World Building beitragen sollen, gibt es im Spiel verstreut 49 Dosen mit Softdrinks aus der „alten Zeit“. Wenn Eve dann mit einer „Bayern Hefeweizen“-Dosen in die Kamera posiert, dann gibt mir das humoristisch leichte Yakuza-Gefühle. Passend zur Yakuza-Referenz gibt es auch in Stellar Blade mehrere Spots, an welchen wir fischen können.
Mit dem „Ödland“ und der „Großen Wüste“ haben wir zwei große Open World-Areale, die man erkunden kann, und die mit vielen kleinen Secrets, rudimentären Rätseln und natürlich Kämpfen gespickt sind. Hier fühlt man sich ein bisschen an die Ubisoft-Open Worlds erinnert. Im „Ödland“ bekommen wir dann aber auch zum ersten Mal eine richtige Karte zu Gesicht, die aber leider ein klein wenig unübersichtlich ausfällt. Die meisten Areale bekommt der oder die durchschnittliche Stellar Blade-Spieler*in im regulären Spielablauf zu sehen. Es gibt aber auch versteckte Maps wie Eidos 9, die nur über bestimmte Konditionen freischaltbar sind. Wenn man es wünscht, gibt es auch ganz leicht Metroidvania-angehauchtes Backtracking. Zu Beginn gibt es in Eidos 7 etwa Areale, die sich erst wesentlich später optional betreten lassen.
Zudem gibt es in Stellar Blade immer wieder auch Plattforming-Passagen, wo wir uns in bester Uncharted-Manier an Fels-oder Ziegelsteinvorsprüngen entlanghangeln-, oder uns an Stangen über Abgründe entlangschwingen müssen. Das lockert den Spielfluss auch gut auf. Gleichzeitig sind es aber auch die einzigen Passagen, in denen die Animationen merkwürdig steif und unnatürlich ausschauen.
Das bereits angeteaserte Rätseldesign ist in den meisten Fällen basal: Häufig müssen wir bloß einen Zugangscode finden, mit dem wir an anderer Stelle entsprechende Kisten und andere Vorrichtungen entschlüsseln. Nur selten gibt es richtige Kopfnüsse: Mal müssen wir magnetische Kugeln in eine Apparatur hineinbefördern, was eher Geschicklichkeitsspiel taugt, ein andermal müssen wir den Schaltkreis einer Anlage so präparieren, dass etwa die Systeme einer nahegelegenen Schienenbahn alle gleichmäßig mit Strom versorgt werden.
Stellar Blade arbeitet mit vielen Versatzstücken anderer Titel und Genres. Glücklicherweise verzichtet es auf übertriebene Soulslike-Mechaniken, die ja immer noch ziemlicher Trend sind. Aber man kommt nicht umhin zu sagen, dass es Kuscheleien mit dieser Spielart gibt. So gibt es immer wieder sogenannte Versorgungslager, die wir aktivieren können. Witzigerweise bestehen die aus einem Couchsessel, einem Plattenspieler, einem Verkaufsautomaten und unter Umständen einer Crafting-Station. Hier können wir uns erholen, die Tränke wieder aufladen und unsere Fähigkeiten ausbauen. Um die Versorgungsstationen zu aktivieren, benötigen wir ein paar VitCoins, welche wir durch Aufträge bekommen, oder die von besiegten Gegnern hinterlassen werden. Diese können auch als In-Game Währung für einige Shops in Xion verwendet werden, beispielsweise um Schnittmuster für neue Kostüme zu erwerben, weitgehend werden die Coins aber für die Stationen genutzt. Sobald wir uns aber an den Stationen regenerieren, und damit auch i.d.R. einen Speicherpunkt setzen, respawnen auch alle Gegner auf der Map, ähnlich wie in anderen Soulslike-Titeln. Zusammen mit der starken Fokussierung auf das durch Parier- und Ausweich-Mechaniken geprägte Gameplay, bei dem es vielfach um das Internalisieren von Angriffsmuster der Gegner geht und dem sich daraus ergebenden etwas höheren Schwierigkeitsgrad, gibt es ein leichtes Angekuschel an typische Soulslike-Eigenarten. Gleichzeitig ist Stellar Blade nie so intolerant gegenüber Fehlern wie Sekiro, Dark Souls, Lords of the Fallen, The Surge und Konsorten. Einerseits verlieren wir bei einem Ableben nicht alle Punkte und Gegenstände, die wir zwischen unseren Toden angehäuft haben, andererseits respawnen die Naytibas nur im Falle der Regeneration, nicht aber beim digitalen Exitus wieder. Das vereinfacht die Sache für den Gelegenheitsspieler dann doch ungemein. Darüber hinaus sind die Zeitfenster für Konter- Parier- und Ausweichmanöver wesentlich großzügiger als bei den Soulslike-Konkurrenten. Man muss in Stellar Blade durchaus rhythmisch und mit Bedacht vorgehen, aber trotz forderndem Gameplay, können auch nicht Soulslike-affine Spieler*innen ihren Spaß haben. UND: Sollte der normale Schwierigkeitsgrad doch eine Ecke zu anspruchsvoll zu sein, gibt es immer noch den Story-Modus. Dieser nimmt nicht ganz so sehr an die Hand, wie man es von den Story-Modes größerer Blockbuster-Titel kennt, aber er ist inklusiv genug, als dass ein großer Anteil der Spieler*innen, die eher Interesse an der Story und Inszenierung haben, das Ende zu Gesicht bekommen. Insofern ist Stellar Blade der bestmögliche Kompromiss zwischen skillbasiertem, fordernden Gameplay, das entsprechend intensiv daherkommt, und Elementen, die das Ganze so abschmecken, dass letztlich ein zugängliches Ding draus wird, ohne dass es sich allzu sehr nach einer verwaschenen Vision anfühlt.
Hübscher, aber etwas zusammengewürfelter Art Style…
Ich habe bereits an einer früheren Stelle kritisiert, dass das World Building von Stellar Blade etwas durchwachsen wirkt. Das spiegelt sich unmittelbar auch im künstlerischen Stil wieder:
Stellar Blade hat viele coole Set Pieces, erscheint mir aber insgesamt wenig durchdacht: Es wirkt, als hätten Shift Up einfach coole Elemente aus der Popkultur fleißig zusammengerührt, ohne dass die Einzelteile in Summe mehr sind. Und das zieht sich konsequent durch das ganze Spiel:
Ich fand es anfangs faszinierend, dass in der Großstadt-Ruine Eidos 7 so viele Sprachen aufeinandertrafen, und dass man nicht verorten konnte, ob die Stadt nun eher im ehemals südostasiatischen, nordamerikanischen oder im postsowjetischen Raum verortet gewesen ist. Hier hätte ich mir gerne über die Collectibles eine Vertiefung der Umstände gewünscht, welche die Vergangenheit von Stellar Blade konstituieren. Weitgehend bleibt das aber aus. Ab und an gibt es Hinweise, die aber Spieler*innen unbefriedigt zurücklassen. So wirken die Städte als bloße Kulisse, ein visueller Spielplatz ohne Gehalt. Auch die anderen Maps wirken irgendwie generisch, als hätte man einfach das 101 postapokalyptischer Settings abgefrühstückt: Kaputte Metropole? Check. Unwirtliches Ödland? Check. Uralte technologische Relikte? Check. Ein letzter Rückzugsort der Menschheit? Check. Lebensfeindliche Wüste? Check. Stellar Blade hat bei den Settings immer wieder coole Ideen, aber im Kern keine richtige Identität.
Die Menschen mit ihren teils grotesken biomechanischen Erweiterungen, hier allen voran Orcal, wirken, als seien sie straight aus Ghost in the Shell oder Cyberpunk 2077 entnommen worden. Das wird in der Geschichte durchaus erklärt, bleibt aber trotzdem recht vage. Die Hauptfiguren wiederum, also Adam, Lilly, Eve, sehen ebenfalls recht profillos aus, obwohl wir sie frei gestalten können:
Adam ist ein muskulös-drahtiger, stoischer Mann, der meist in futuristischen Military Outfits rumläuft. Die technisch versierte Ingenieurin Lilly wirkt wie das jüngste und auch kindlichste Crew-Mitglieder und ist der klassische Comical Relief-Charakter. Und Eve selbst ist einfach eine beinahe puppenartige, klassische Anime-Schönheit mit athletischem Körperbau, porzellanhafter Haut und melancholischen Augen, die in hautengen Bodysuits rumläuft, sonst aber profillos bleibt. Hier ist keinerlei Platz für körperliche Unzulänglichkeiten. Ähnlich wie in NieR: Automata wird hier schon zu Beginn impliziert, dass die Eve-Trupps nicht ganz menschlich sind. Das wiederum bedingt dann auch spielmechanische Designentscheidungen, wie die Tatsache, dass Eve unter Wasser keinen Sauerstoff benötigt, sondern ohne zeitliches Limit tauchen kann. Letztlich bleibt also zu sagen: Unsere Heldentruppe in Stellar Blade besteht aus attraktiven, aber verdammt generisch konzipierten Charakteren.
Richtig gut gefallen hat mir hingegen das Monsterdesign der Naytibas, die teilweise herrlich eklig und detailliert aussehen. Manche Naytibas erinnern eher an tierische Formen, z.B. Pferde oder diverse Amphibien, manche sind humanoid, manche insektoid. Nicht selten habe ich mich an die bizarren Designs aus dem sonst eher missratenen Horror-Titel Agony erinnert gefühlt, bloß, dass die sexuelle Konnotation hier verständlicherweise fehlt. Die Gegner wabern, winden oder schlängeln sich, stampfen schwerfällig durch die Gegend, greifen mal massiver, mal agiler an. Nicht nur die Designs sind klasse, auch animatorisch sind die Monsterkreationen richtig gut gelungen. Ihre Bewegungen wirken natürlich und schön organisch und verhalten sich physikalisch richtig bei entsprechenden Hieben und Angriffen von unserer Seite. Zusammen mit der Dual Sense-Implementierung kommt richtig Freude beim wuchtigen Kampf gegen die Ungetüme auf.
Grafisch ist Stellar Blade kein Cross Gen-Titel und das merkt man durchaus: Die Areale sind weitläufig und detailliert, die Texturen knackscharf, die Kreaturen- und Charaktermodelle sehen wunderbar detailliert aus und gerade die Kämpfe sind animationstechnisch perfekt choreographiert. Abseits der künstlerischen Inkohärenzen sieht Stellar Blade also ungemein hübsch aus, und auch technisch ist das Ding vorbildlich: Es gibt 3 Modi – den Performance Modus, der auf smoothes Gameplay bei 60 FPS bei einer 1440p Auflösung abzielt, den Auflösungs-Modus, der vor allem auf die 2160p Darstellung bei 30 FPS setzt und einen adaptiven ausbalancierten Modus, der 1440p mit 4K Ausgabe via Temporal Antialiasing Upsampler ermöglicht, Framedrops mit einkalkuliert, aber weitgehend versucht die 60 FPS zu halten. Technisch räumt Shift Up mit der Konkurrenz auf, hier sei etwa das jüngst erschienene, ebenfalls SONY-eigene Rise of the Ronin als Vergleich herangezogen: Stellar Blade sieht so viel besser aus als das Samurai Soulsike, läuft mit höherer Auflösung und hat weniger Framedrops vorzuweisen als das spielerisch nicht ganz unähnliche Team Ninja-Werk. Stellar Blade läuft wirklich vorbildlich smooth und setzt für mich einen Goldstandard im Genre. Gerade in Anbetracht, dass Shift Up bisher ausschließlich Mobiles Games entwickelt haben, haben sie die Messlatte in technischer Hinsicht beeindruckend hoch gesetzt.
Einen bereits erwähnten Kritikpunkt habe ich an der Stelle aber dennoch: Alle Lauf- und Kampfanimationen sind ziemlich gut und dynamisch geraten. Umso auffälliger ist, wie klobig die Parkour-Animationen teilweise ausschauen. Wenn Eve an Vorsprüngen entlangklettert, sich von Eisenstange zu Eisenstange schwingt oder einen Wandlauf vollzieht, sieht das deutlich weniger elegant aus als z.B. bei einem Uncharted. Das aber ist letztlich Meckern auf hohem Niveau.
Atmosphärischer, aber repetitiver Soundtrack; Sehr gute deutsche Sprecherleistungen
Der Soundtrack von Stellar Blade ist grundsätzlich ebenfalls ziemlich erhaben: Verantwortlich für die Kompositionen sind einerseits Shift Up’s hauseigene Komponisten, andererseits zu etwa 40 % das Sound Studio Monaca, das vom Lead Komponisten Keiichi Okabe geführt wird. Der wiederum war auch bereits den renommierten Soundtrack von NieR: Automata verantwortlich. Hier gibt es also abermals Schnittpunkte zum Yoko Taro-Werk, die sicherlich auch ein Stückweit beabsichtigt sind.
Ähnlich wie die visuelle Gestaltung von Stellar Blade ist auch der Soundtrack recht eklektisch: Ätherisch-luftige Popnummern mit starkem J-Pop Einschlag oder fluffige Bossa Nova-Tracks begleiten uns etwa, wenn wir durch die Landschaften streifen. In Kampfsequenzen vermengen sich pumpende Electro-Tracks oder operettenhafte Rockgitarren mit klirrenden Schwert-Sounds und an den Versorgungsstationen gibt es loungigen Jazz auf die Ohren. Melancholische Momente werden mit bittersüßen, balladesken Pianoklängen untermalt, epische Momente gerne mit sakral-luftigen Chören. Die Vermengung von irgendwie urbanen, aber auch spirituellen, aus der Natur entlehnten Klängen erinnert klar an NieR Automata, der Wechsel zu City Pop, Sample-basierten Hip Hop-Mixen, Jazz und Rock weckt aber auch Assoziationen zu den stilsicheren Soundtracks von Like A Dragon oder Persona.
Allerdings finde ich es schade, dass Stellar Blade in den jeweiligen Arealen die Tracks immer wieder im Loop abspult, wodurch nach einer Weile Übersättigungsgefühle auftauchen. Irgendwie hätte sich der Soundtrack ein bisschen adaptiver an das Spielgeschehen anschmiegen können, um einen solchen Effekt zu vermeiden.
Absolut hochwertig sind die deutschen Synchronsprecherleistungen bei Stellar Blade: Eve wird von Lara Trautmann (auch bekannt als Lara Loft) gesprochen, Adam wiederum von dem ohnehin sehr sympathischen Vincent Fallow, der mir zuletzt als deutsche Stimme von Clive Rosfield in Final Fantasy XVI sehr positiv in Erinnerung geblieben ist. Aber auch die anderen Sprecher*innen machen allesamt einen sehr guten Job und vermögen den Figuren mehr Gefühl zu verleihen, als es das Skript hergibt.
Ansonsten ist auch die originale Koreanische und Englische Sprachausgabe qualitativ sehr erhaben. Ferner haben wir Sprachausgabe in Französisch, Japanisch, Brasil. Portugiesisch, Lateinamerikanisches- und Standard-Spanisch. Bei der Untertitelung sind noch wesentlich mehr Sprachen präsent. Stellar Blade bietet also einen angenehmen Umfang an Sprachoptionen, sodass nur wenige außen vor bleiben sollten.
Umfangreiche barrierefreie Einstellungen
Dieser inklusive Gedanke durchzieht auch die Accessibility Features: Hier gibt es extrem viele individuelle Einstellmöglichkeiten – Wir können das cineastische Kameragewackel und Motion Blur ein- und ausstellen. Wir können HUD Größe, HUD Hintergrund und Untertitel Größe anpassen. Wir können das Bild immer auf das Bildzentrum ausrichten. Wir können die Kontrastraten beliebig einstellen. Es gibt Sensibilitäts-Einstellungen beim Horizontalen und Vertikalen Zielen, viele Kameraspezifische Optionen. Und es gibt auch die Möglichkeit, dass QTEs automatisch abgeschlossen werden, dass Automatisches Lock-On bei Gegnern vollzogen wird und dass Angel-Aktivitäten haptisch erleichtert werden. Kurzum: Stellar Blade leistet wie viele Sony-Exclusives vorbildliche Arbeit.
Die alte Sexismus-Debatte
Ganz ehrlich, ich bin ein in der Selbstwahrnehmung linksgrünversiffter, woker Zeitgenosse, der viele eklig konnotierte Ismen ganz abscheulich findet. Auch Sexismus ist ein Thema, das ich durchaus immer wieder in Artikeln thematisiere und kritisiere. ABER: Videogames sind auch Unterhaltungskultur, die nicht immer ganz erwachsen und reflektiert sein will. Klar, seit den 90ern gab es vor allem bei westlichen Produktionen ziemliche Verschiebungen in eine Stoßrichtung, wo man bei Videogames in Sachen Storytelling und Look die Seriosität von Literatur und Film anstrebte. Klar ist aber auch, dass auch Film und Literatur nicht frei sind von Male Gaze, und dass der Male Gaze gerade in B-Movies und nischigen Genre-Produktionen gerne auch bewusst überspitzt wird. Unsere Popkultur hat trashige Subgenres wie Sexploitation und Grindhouse hervorgebracht, die teilweise sogar in feministischer Weise von der Groschenheft Ästhetik Gebrauch machen. Dass der südostasiatische Raum zudem andere Entwicklungen bei der Stereotypisierung des weiblichen Geschlechts durchgemacht hat, ist auch ein Thema. Deshalb kontroverser Take: Ich bin ein woker Typ, der trotzdem Bayonetta liebt, der die dämlichen sexistischen Gags aus der Like A Dragon-Reihe irgendwie albern, aber witzig findet, und der die Onechanbara-Spiele einfach nur deshalb gezockt hat, weil man als Bikini Girl Zombies mit dem Katana zersäbelt. Es ist irgendwie spaßig dumm, und auf der anderen Seite gibt es ja auch so Indie-Titel wie Boyfriend Dungeon, die auch ihre Daseinsberechtigung haben.
Nun musste sich Shift Up mit Stellar Blade die Vorwürfe gefallen lassen, dass sie sexistische Bilder reproduzieren. Eve kann mit zahlreichen Kostümen, die mal mehr, mal weniger Haut zeigen, ausgestattet werden, kraxelt in Heels durch die Postapokalypse und bei jeder sich bietenden Gelegenheit, fokussiert die Kamera bei Kletter- und Kampfanimationen ihren Poppes an, der in hautengen Bodysuits steckt. Und dann gibt es auch noch zahlreiche Kostüme, die klar fetishy angehaucht sind: Hier ein Maid-Kostüm, da ein Bunnygirl-Kostüm, etc. – Eve basiert auf einem 32-jährigen südkoreanischem Model namens Shin Jae-eun. Vorwürfe, dass Eve unrealistische Körperproportionen hätte, hat Shift Up so konterkariert: Sie basiere ja auf einem realen Vorbild. Bloß, dass man die digitale Nachbildung doch noch ein bisschen „modifiziert“ hat. So weit, so kritisierbar.
Ein „Stellar Blade“ macht in der Darstellung aber letztlich nicht viel anders, als ein Bayonetta oder meinetwegen auch ein Final Fantasy. Shift Up berufen sich auf eine fast schon archetypische Darstellung südostasiatischer Action-Heldinnen. Die südkoreanische Popkultur ist geprägt von K-Pop und dessen Ästhetik. Da geht es m.E. gar nicht so sehr um Musik, sondern vor allem um’s Aussehen – Style over Substance als Prinzip. Das spiegelt sich dann in einer Produktion wie Stellar Blade einfach nur wieder. Wäre Stellar Blade ein durchschnittlicher Indie-Titel im AA-Sektor, kein Hahn würde danach krähen, weil diese Repräsentation von Weiblichkeit so präsent ist (again, kann man auf jeden Fall kritisieren). Die Kontroverse und der merkwürdig hohle Kulturkampf zwischen antiwoken Dumpfbacken und linksfeministischer Symbolpolitik ist nur so zugespitzt, weil… Stellar Blade so gut ist, und mal AAA-Qualitäten erfüllt.
Gleichzeitig fand ich Stellar Blade in der Hinsicht sehr merkwürdig: Im Gegensatz zum permanent selbstironischen und qirky Bayonetta, oder auch zum klamaukigen Onechanbara: Bikini Samurai Squad, wirkt die ganze „sexy“ Komponente irgendwie asexuell. Die Stimmung von Stellar Blade ist melancholisch-verträumt, Eve wirkt eher introvertiert und entrückt, und der Erzähltenor bleibt weitgehend ernst. In diesem Setting wirkt es einfach nur deplatziert, dass Eve dann plötzlich im Bunny-Kostüm in unwirtlicher Einöde gegen pulsierende Ungetüme kämpft. Hier hätte ich mir also tendenziell eher Mut zu weniger Fanservice gewünscht, nicht weil das woke ist, sondern weil es meiner Meinung nach einfach gar nicht so sehr passt.
Fazit:
Ich habe nach den ersten Ankündigungen Stellar Blade für etwas völlig anderes gehalten: Ich habe seinerzeit gedacht, dass Eve einfach die koreanische Antwort auf Bayonetta sein könnte – Ein geschmeidiger und sexuell aufgeladener Schwerttanz in einer dystopischen Zukunft. Letztlich ist Stellar Blade viel mehr als das: Es ist ein ambitionierter Titel, der handlungstechnisch und spielmechanisch viele Parallelen zu Yoko Taros Meisterwerk NieR: Automata mitbringt, inhaltlich aber nicht ganz dessen Klasse erreicht. Dafür aber punktet Stellar Blade mit einem ungemein befriedigenden und fordernden Kampfsystem, welches sich komplex, aber nicht überladen anfühlt. Vor allem die Wucht, Dynamik und Intensität der brachialen Schwertkämpfe sind ein ziemlicher Unique Selling Point, zumal der Dual Sense-Controller der PlayStation 5 endlich mal vernünftig ausgenutzt wird. Neben den Hack & Slay-Passagen gibt es klassische Action-Adventure Versatzstücke. In mal linearen, mal offenen Arealen der postapokalyptischen Erde gibt es immer wieder Rätsel, Plattforming-Elemente und Nebenaufgaben zu erledigen. Das wirkt zwar nicht immer gänzlich stimmig, lockert aber die vielen Kämpfe durchaus auf. Die Handlung von Stellar Blade wirkt, als hätte man viele Anime Sci-Fi Classics und NieR Automata in einen Topf geworfen. Sie wirkt spannend und durchdacht, aber das World Building und Writing wirkt teilweise zu eklektisch, und zu undurchdacht. Audiovisuell ist Stellar Blade aber derart erhaben, dass es Spaß macht, die Welt zu erkunden. Gerade angesichts der Tatsache, dass Shift Up bisher nur Mobile Games mit Gacha-Mechanik entwickelt haben, halte ich Stellar Blade für ein wirklich beachtliches Debüt und bin gespannt auf die Zukunft.
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Stellar Blade [PlayStation 5]
Grafik / Art Style - 8.1
Story - 7.6
Technik - 9.2
Umfang - 8
Spielspass - 8.5
8.3
Vor allem spielmechanisch ein unglaublich intensives AAA-Debüt, das viele inhaltliche und mechanische Parallelen zu NieR: Automata aufweist. Inhaltlich bleibt das Shift Up-Werk eine Spur blasser und oberflächlicher als Yoko Taros Meisterwerk.