Im Zuge der diesjährigen Gamescom 2023 haben wir auch eine kurze Stippvisite bei dem spanischen Hardware-Hersteller OWO unternommen. Das im spanischen Malaga beheimatete Unternehmen wurde 2019 gegründet und arbeitete seit der Gründung an der gleichnamigen haptischen Weste, die am Körper angelegt wird, und vor allem in Kombination mit VR für nie dagewesene Immersion sorgen soll.
Videogaming als Technologieantreiber
Nun sind Computer- und Videospiele schon immer Technologieantreiber gewesen, die vermeintlich futuristische Hardware langsam, aber beständig für einen Massenmarkt verfügbar machen: Erst Oculus Rift hat VR beispielsweise auch für den Endkonsumenten so richtig bezahlbar und praktikabel gemacht. Vorher hatte Nintendo bereits ähnliches mit dem Virtual Boy und stereoskopischen VR versucht, scheiterte aber bei dem Unterfangen kläglich. Pioniersleistungen im Videogaming-Metier gab es immer reichlich: Ob der VR-Handschuh Nintendo Power Glove, das Satellitenmodem Satellaview für das SNES, frühe CD-ROM Add-Ons für Konsolen wie NECs PC Engine oder das Sega Mega Drive, ein umfassendes RGB-kamerabasiertes Motion Tracking System wie Kinect für die Xbox360 und Xbox One oder aber die simplere, aber wesentliche effizientere Bewegungssteuerung bei der Wii. Es gab immer viel innovatives Spielzeug, das manchmal hielt, was es versprach, sich aber oft genug als recht verkopfter Technologie-Mumpitz herausstellte.
Dennoch bleibt innovative Hardware ein faszinierendes Ding. Ganzkörper-Suits mit Muskelstimulation in einem VR-Kontext kamen schließlich bereits in Philip K. Dick-Romanen wie Minority Report vor. Insofern, ich hatte Bock auf die Erfahrung und war gespannt, ob die Spanier mit der OWO Haptic Vest praktikable Hardware entworfen haben.
Das Set-Up
Am Stand von OWO bekam ich schließlich eine etwas zu enganliegende Haptische Weste in die Hand gedrückt, wurde in eine Umkleidekabine geschickt, wo ich mich meiner Oberkörper-Bekleidung entledigen sollte, sodass die Elektroden des Anzugs direkt auf der Haut sitzen – Genauer gesagt: Im Brust-Bereich, an den Schulterblättern, an den Oberarmen, im unteren Bereich des Torsos oberhalb der Hüfte sowie am Steiß. Vorher habe ich eine Unterlassungserklärung unterzeichnen müssen: Ausgeschlossen von der Demo waren Schwangere, Personen mit Herzimplantaten oder bekannten Herz- und Kreislaufproblemen und grundsätzlich Personen unter 18-Jährigen. Das hat mich dann doch ein wenig nervös gemacht.
Zur Auswahl standen zwei Titel, die getestet werden durften: Einerseits EPICs Fortnite, welches direkt stationär am PC gespielt wurde oder der VR-Titel Drone War, bei dem man namensgemäß sich von Drohnen beschießen lassen durfte. Da ich mit Fortnite nichts am Hut habe, habe ich mich für letztere Option entschieden.
Kalibrierung der Elektrostimuli
Bevor es aber zur Sache ging, wurde das System nochmal kalibriert. Dabei wurde jede einzelne Elektrode, es sind zehn an der Zahl, in ihrer Intensität angepasst. Diese lassen sich auf einer Skala von 1 – 80 (Angabe ohne Gewähr) einstellen. Das System der OWO Haptic Vest basiert auf einer eigens modifizierten und patentierten Version von EMS-Systemen, wie man sie ab und an in den entsprechenden EMS-zentrierten Fitnessstudios findet. Elektromuskelstimulation wird in der Physiotherapie und im Fitnessbereich zum Muskelaufbau verwendet. Das System nimmt als Prämisse, dass bei körperlicher Anstrengung, also etwa beim Krafttraining, Nerven elektrische Impulse an die Muskeln senden, die sich daraufhin zusammenziehen. Bei EMS-basierten Fitnessprogrammen, wird externer niedriger Reizstrom über Elektroden an die Muskeln gesendet, um einen ähnlichen Effekt zu bewirken. Bei der OWO Haptic Vest werden die elektronischen Stimuli an die Muskeln gesendet, um physikalischen Impact aus Videospielen am Körper wiederzugeben.
Die Kalibrierung erfolgt über eine intuitive App (My OWO App), die im Google Playstore (Android), Apple App Store (IOS) und für Windows PCs verfügbar ist. Die Parameter lassen sich abspeichern, zudem gibt es verschiedene Profile für unterschiedliche Personen und Anwendungen.
Die Intensitäten habe ich unterschiedlich stark wahrgenommen: Ich bin 1,74m bei ca. 95 kg, hab also auf jeden Fall Bauch. Während ich die Impulse im Brustbereich bereits im niedrigen Bereich (bei etwa 10 – 14) schon stark vernommen habe, habe ich die Signale im Bauchbereich erst ab 25 aufwärts so gespürt, dass es was ausgemacht hätte.
Komfortables Tragegefühl, viele unterstützte Plattformen, leichte Installation
Schön ist, dass die Weste sehr leicht ist und alles kabellos vonstattengeht. Die Weste wiegt unter 600 gr. und die ganze Verbindung wird über Bluetooth 5.2 realisiert. Die Installation ist recht einfach über die App regelbar. An die Weste wird eine separate Einheit angeschlossen, die auch den Akku mit verbaut hat. Dieser soll laut Angaben von OWO 7-8 Stunden halten und wird über USB-Typ-C aufgeladen.
Kompatibel ist die OWO Haptic Vest mit gängigen VR-Headsets, mit den aktuellen Konsolen, dem heimischen PC aber auch mit Smartphones und Tablets.
Als unterstützte Titel werden einige aktuelle Mehrspieler-Hits aufgeführt, viele ohne VR-Support: Das bereits erwähnte Fortnite ist mit von der Partie, aber auch League of Legends, Valorant, Rocket League, CS: GO, PUBG, Splitgate Arena Warfare, World of Tanks, World of Warships, Arizona Sunshine, Pistol Whip, Drone War, System of Souls, Crisis Brigade 2 Reloaded, Kronno Zomber, SB Quite My Tempo, The Forest, Beat Saber, Until You Fall, Bone Lab, Among Us, Halo Infinite, Apex Legends und Super Hot. Erwähnenswert ist hier allerdings, dass viele der Spiele erst mit entsprechenden Mods mit der OWO Haptic Vest kompatibel sind.
Interessant ist für mich vor allem die Nutzung von umfangreichen, mitnehmenden Einzelspielererfahrungen: Hier werden Half-Life Alyx und das kommende Assassins Creed Mirage aufgeführt. Letzteres soll auf allen Plattformen von Haus aus mit der Weste funktionieren. In Kooperation mit Ubisoft wird es zudem eine spezielle Assassin’s Creed Mirage-Version der OWO Haptic Vest geben.
Im Praxistest – No Pain, No Gain
Nach dem Setup durfte ich mich in der VR gegen anfliegende Drohnen behaupten. Die Schüsse der Drohnen konnte man dabei so spüren, dass die passenden Körperareale der Weste angesprochen worden sind. Von hinten angeschossen zum Beispiel wurden die Elektroden am Ischias oder an den Schulterblättern aktiviert, je nachdem aus welchem Winkel die Schüsse kamen. Wurde man seitlich angeschossen, konnte man es am rechten Oberarm bzw. in der Schulter spüren. Die kleinen Stiche bzw. das Zucken der Muskeln sorgte tatsächlich für verstärkte Immersion.
Schoss man indes mit der Pistole auf die Drohnen, ließ sich ein Rückstoß im Brustbereich vernehmen. Durch die individuell einstellbare Intensität waren die elektrischen Impulse nicht wirklich unangenehm. Die Demo war recht schnell zu Ende. Im Gespräch mit anderen Redakteuren konnte ich vernehmen, dass die Fortnite Demo da eine noch größere Bandbreite an Stimuli bot. Wie das Ganze allerdings zum Beispiel bei einem Rocket League ausschaut? Das kann ich aktuell tatsächlich nicht beantworten.
Für wen ist das Ganze überhaupt gedacht?
Auf dem Papier klingt das Ganze also erstmal ganz cool – Ich würde, ohne zu zögern sagen, dass das System wesentlich besser funktioniert als ich es vorab vermutet hätte. Aber mit der Kostenfrage schwebt immer auch ein nicht unerhebliches Damoklesschwert über der Marktperformance des Gerätes. Das hat gewissermaßen schon anderen technischen Innovationen das Genick gebrochen. Und hier sehe ich ein Risiko: Denn die Founder Edition kostet 499 EUR und ist auf weltweit 2000 Exemplare limitiert. Die Wartezeit beträgt laut Website ca. 3 Monate.
Die Assassin’s Creed Mirage Version kostet 539 EUR, beinhaltet aber immerhin eine digitale Kopie des Spiels. 500 EUR für eine solche nischige Spielerei sind extrem viel Geld. Die Immersion hat hier also definitiv ihren Preis.
In der Regel hat der geneigte Tech-Enthusiast bereits einen vierstelligen Betrag für einen Gaming PC hingelegt zzgl. einen höheren dreistelligen für ein passendes VR-System. Jetzt nochmal 500 EUR für eine haptische Weste zu verlangen ist … ambitioniert.
Zudem steht und fällt alles mit dem Software-Support: Die Liste an Spielen, die zum Launch bereitstehen ist in Ordnung. Aber wichtig ist mir vor allem Single Player-Support – Der kompetitive Spieler eines CS: GO braucht keine Ablenkung in Form von elektrischen Impulsen. Aber wenn ich ein episches Abenteuer wie ein God of War: Ragnarök zocke oder ein intensives Survival Horror-Spiel á la Resident Evil in VR, dann sieht die Sache schon ganz anders aus.
OWO muss hier ein bisschen darauf schauen, wie sie ihr Marketing aufbauen.
Mein vorläufiges Fazit:
Die OWO Haptic Vest ist grundsätzlich ein spannendes System, das bei der Demo ziemlich spaßig und faszinierend anmutete. Ich hätte gerne ein Assassin’s Creed Mirage in Kombination mit der Weste ausprobiert, einfach um zu sehen, wie ein AAA-Titel, der das System von Haus aus supportet, das Potential des modifizierten EMS-Systems ausnutzt. Gleichzeitig muss sich OWO so ein bisschen im Klaren sein, auf wen das Marketing ausgelegt ist: Es werden viele Multiplayer Titel als Launch-Titel aufgeführt. Das Potential sehe ich aber zunächst eher in der Gruppe immersiver VR-Single Player Erfahrungen. Und im weiteren Sinne in der Metaverse-Sphäre. Auch die Zielgruppe ist nicht ganz klar: Klar, techaffine Hardware-Enthusiasten werden aufhorchen, aber selbst da schwebt der Preis von knapp 500 EUR wie ein Damoklesschwert über dem Erfolg der Hardware. Ich hoffe inständig, dass OWO seine Zielgruppe findet. Und wer weiß, vielleicht können wir in naher Zukunft eine ordentliche Review zu dem Suit anbieten, um mehr Potential herauszuarbeiten.
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