Film Review: Joker – Folie á Deux – Ga Ga Land

Der erste Joker von 2019 war für Warner Bros. ein ziemlicher Goldesel. Nie im Leben dürfte sich einer der Verantwortlichen im Vorfeld gedacht haben, dass Hangover-Regisseur Todd Phillips mit seiner grimmigen R-Rated Arthouse-Iteration von Batmans‘ Lieblingsnemesis einen mordsmäßigen Box Office-Erfolg hinlegen würde. Das von den Scorsese-Meisterstücken Taxi Driver und The King of Comedy beeinflusste Psychogramm einer ziemlich kaputten Seele schlug ordentlich ein: 1.07 Milliarden US-Dollar konnten eingespielt werden, was dem Film einen respektablen 38. Platz auf der Liste der weltweit erfolgreichsten Filme aller Zeiten einbringt, und das bei einem gleichzeitig schmalen Budget von kolportierten 60 Mio. US-Dollar. Damit war Joker auch zugleich der erste Film mit R-Rating, der die magische 1 Milliarde-Grenze durchbrach. Nicht zuletzt die eindringliche, schmerzhafte Performance von Joaquin Phoenix dürfte dafür gesorgt haben, ebenso trugen der Soundtrack von Hildur Guðnadóttir und die schmutzig-trüben, und doch betörend schönen Bilder von Lawrence Sher dazu bei, dass Joker im Gedächtnis verhaftet blieb und eine raue Antithese zum Marvel-Popcorn-Kino bildete. Sowohl Todd Phillips als auch Phoenix ließen kurz nach Kinostart in vielen Interviews verlauten, dass es keinerlei Pläne für ein Sequel gäbe, und dass Joker als Stand-Alone Werk funktionieren müsse. In späteren Gesprächen wurde das Ganze schon ein bisschen aufgeweicht. Dann hieß es bei Phoenix etwa, er wäre bereit, die Rolle des Arthur Fleck nochmal zu spielen, wenn das Skript hervorragend sei. Und vor etwa 2 Jahren tauchten dann auch die ersten konkreten Gerüchte zu einem Nachfolger auf, die vom Hollywood Reporter „geleakt“ wurden. Die Gerüchte haben im Vorfeld bereits eine Menge harte Fakten geliefert, die sich nun allesamt als richtig entpuppt haben: Joker Folie á Deux (auch der Titel wurde bereits genannt) ist ein Musical mit Lady Gaga in der Rolle der Lee/Harley Quinzel aka Harley Quinn, das sich größtenteils innerhalb der Arkham Anstalt abspielt. Das galt schon damals als gewagte Designentscheidung und dürfte auch nach Kinostart nach wie vor polarisieren. Die aktuellen Kritiken fallen eher unterdurchschnittlich aus. Deshalb stellt sich die Frage, lag dem Film wirklich das hervorragende Skript zugrunde, dass Phoenix als Voraussetzung für sein Mitwirken nannte? Ist Todd Phillips hier auf Drängen von Warner Bros. dem schnöden Mammon gefolgt? Ist Joker – Folie á Deux im Schatten des Erstlings eine wirklich so herbe Enttäuschung? Das sind Fragen, mit denen wir uns im Kontext dieser Besprechung auseinandersetzen werden müssen.

Folie á Deux – Gemeinsam Einsam

Joker – Folie á Deux setzt nach den Ereignissen aus Joker ein. Nach seinen Verbrechen – die live im Fernsehen übertragene Ermordung des Late Night Moderators Murray Franklin (Robert de Niro) dürfte nach 5 vorangegangenen Morden hier der unbestrittene Höhepunkt einer Kette von Eskalationen gewesen sein – sitzt Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) in Arkham Asylum ein. Obgleich er mit seinen Handlungen eine militante, gegen das Establishment gerichtete Bewegung der Clownsnasen aus der Taufe gehoben hat, bleibt ihm vom Ruhm seines Joker-Alter Egos im Inneren der abgewirtschafteten, desolaten Besserungsanstalt wenig übrig. Er verbringt durch die zwangsverordnete Psychopharmaka seine Tage schweigsam, beinahe katatonisch. Immer wieder muss er die Misshandlungen durch die Gefängniswärter, angeführt von Jackie Sullivan (Brendan Gleeson), über sich ergehen lassen. So manches Mal wird er körperlich gezüchtigt, manchmal ist er auch bloßer Spielball grausamer kleiner Albernheiten unter den Wärtern. Ironischerweise pflegt er dennoch eine höchst ambivalente Hassliebe zu seinen Peinigern. Zu seinen Mithäftlingen scheint Arthur indes ein recht freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, gerade zu dem naiven und etwas einfach gestrickten Ricky (Jacob Lofland) baut er eine zaghafte Verbindung auf. Sein Joker-Fame trägt aber mitunter auch dazu bei, dass einige der Knastbrüder zu Arthur aufschauen.

Kann das wirklich Liebe sein? Die Folie á Deux bleibt aus - Lee/Harley Quinzel und Arthur Fleck bleiben in ihren jeweils eigenen Obsessionen verhaftet © Warner Bros. Pictures

Kann das wirklich Liebe sein? Die Folie á Deux bleibt aus – Lee/Harley Quinzel und Arthur Fleck bleiben in ihren jeweils eigenen Obsessionen verhaftet © Warner Bros. Pictures

Als Sullivan Arthur nach längerer Zeit unauffälligen Verhaltens mit zu einer Gesangssitzung einer anderen Haftgruppe mitnimmt, trifft dieser dort erstmalig auf die Mitgefangene Lee (Lady Gaga), die offensichtlich reges Interesse an ihm zeigt. Über Lee findet Arthur Zugang zur Musik, was schwergewichtigen Einfluss auf die spätere Struktur des Films haben soll. Lee scheint aus derselben Ecke wie Arthur zu stammen und hat ähnliche Missbrauchserfahrungen in ihrer Kindheit gemacht. Für Arthur scheint sie so etwas wie eine geschundene Seelenverwandte. Aus dem anfänglichen Interesse wird so etwas wie Liebe – doch schnell kristallisiert sich heraus, dass Lee vor allem an der selbstbewussten, anarchischen Joker-Persona interessiert ist, nicht am gebrechlichen Arthur Fleck. Sie hält den Joker für seinen wahren Kern. So wird aus der gemeinsamen zärtlichen Kaputtheit schnell eine regelrechte Amour Fou – oder eben eine „Folie á Deux“, um es mit einem anderen französischen Begriff zu bezeichnen, eine „gemeinsame psychotische Störung“ als Teil einer induzierten wahnhaften Störung.

Unterdessen versucht Arthurs Anwältin Maryanne genau eine solche Art von Störung vor Gericht zu beweisen. Mittels psychologischer Gutachten versucht sie zu beweisen, dass Arthur und Joker zwei separate Entitäten einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung sind, dass Arthur nichts für die Taten des Jokers könne. Dem entgegen stehen die Annahmen der Staatsanwaltschaft, vertreten durch unseren alten Bekannten Harvey Dent, dass Arthur zwar eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und Depressionen habe, seine Taten aber sehr wohl geplant habe, und demnach voll schuldfähig sei.

Auch weil Lee mit ihren öffentlich ausgetragenen, leidenschaftlichen Liebesbekundungen und ihrer Manie für den Joker Maryannes Bestrebungen unterwandert, die Schuldfähigkeit des Angeklagten in Frage zu stellen, aber auch weil die Anwältin sie für einen schlechten Einfluss hält, offenbart sie Arthur eine für ihn niederschmetternde Wahrheit: Lees biografische Hintergründe sind ebenso erfunden wie ihr Name. Auch habe sie sich freiwillig in die psychiatrische Anstalt Arkham einweisen lassen und auch selbst wieder entlassen. Lee hingegen tingelt von Interview zu Interview, und mobilisiert auf diese Weise die militante Joker-Fanbase. Ist aber der Vertrauensbruch wieder zu kitten?

Joker – Folie á Deux beruht im Grunde auf zwei Handlungssäulen: Während die leidenschaftliche, aber höchst destruktive Liebe zwischen Arthur und Lee/Harley in croonig-schillernden Musical-Sequenzen erzählt wird, wird die Frage nach Arthurs Geisteszustand und seiner Verantwortung für die begangenen Verbrechen vor allem als lange Zeit nüchternes Justiz-Drama aufbereitet.

Beide Handlungsstränge haben für mich vibe-technisch durchaus funktioniert, sind gefühlt aber auch als schelmischer Trollversuch von Phillips konzipiert, um die Erwartungshaltung der Fans von Teil 1 konsequent zu unterwandern – Was Phillips hier gewissermaßen betreibt, ist Anti-Fanservice.

Bewusst auf der Stelle tretende Erzählung

Das betrifft vor allem die Struktur der Erzählung, die bewusst auf der Stelle tritt und teilweise rückfällig wird: Denn der erste Teil hat uns als Origin-Story eines psychisch labilen Außenseiters zum Finale hin suggeriert, nun sei endlich der Joker da – Der geschundene Arthur Fleck gleitet in den Wahnsinn hinab, umarmt ihn und kehrt als charismatischer Joker ins Leben zurück. Dem ist aber nicht so, denn der Ausgangspunkt von Folie á Deux hingegen zeigt wieder den erbärmlichen, katatonischen Arthur – vollgepumpt mit zwangsverordneten Medikamenten, ohnmächtig und einsam – ein ziemlich trauriger Witz. Im Verlauf der Handlung erstarkt der Joker in ihm, weil er durch Lee, der Alias „Harley Quinn“ wird zu keinem Zeitpunkt im Film genannt – euphorisiert, berauscht und forciert wird.

Die Gerichtsverhandlung aber nimmt wieder den Fortschritt aus der Handlung heraus, indem sie vorrangig um die Geschehnisse aus dem ersten Teil zirkuliert. Da werden auch die alten Figuren wieder in den Ring geworfen, die Arthurs Transformation zum Mörder begleitet haben: Die Nachbarin Sophie Dumond, zu der Arthur im ersten Teil eine Beziehung herbei halluziniert hat, oder der kleinwüchsige Gary, der als Ex-Arbeitskollege Zeuge wurde, wie Arthur den gemeinsamen Kollegen Randall im Streit erstochen hat und davon immer noch deutlich traumatisiert ist. Hier werden einige Stellen, die im ersten Teil durch gezielte Auslassungen eine besonders dringliche Wucht entfalteten, durch die erneute Aufbereitung relativiert. Kurz glaubt man an eine Wendung: Nachdem Arthur seine Anwältin feuert und seine Verteidigung in Joker-Kostümierung selbst in die Hand nimmt, glaubt man, nun würde er frei drehen, im Nihilismus abgrundtief selbstbewusst – aber immer wieder wird die Joker-Rolle auch erneut ad acta gelegt und der schmerzerfüllte Arthur Fleck freigelegt, sodass für den oder die Zuschauer*in keine Charakterentwicklung vernehmbar scheint.

Der narzisstische Arthur ist aber auf positive Reaktionen von außen angewiesen, seine wahnhafte Vorstellung darf nicht bröckeln – er ist gewissermaßen fremdbestimmt und auch die Joker-Rolle bringt nur etwas, wenn sie Anerkennung erfährt: Im ersten Film war es die psychisch und körperlich kranke Mutter, die ihm immer wieder gesagt habe, er solle den Menschen Freude bringen. Dieses Mantra hat ihn zur Stand-Up Comedy gebracht. Doch der vermeintliche Mama’s Boy musste zusehends feststellen, dass sein Leben und auch das Verhältnis zu seiner Mutter auf wirklich furchtbaren Lügen aufgebaut war. Das hat den labilen Arthur an einen psychischen Zusammenbruch herangeführt, der in der Joker-Persona Erfüllung fand – und zumindest in Teilen endlich jenen gesellschaftlichen Zuspruch fand, den Arthur immer so sehr brauchte.

Der Joker als Entertainer: Der Comedian ist tot, es sterbe der Sänger

Hier ist es abermals eine Fremdbestimmung, die Arthur/Joker antreibt: Lee bzw. Harley Quinzel ist ein personifizierter Trigger-Point für seine offensichtlichen psychotischen Episoden: Die Liebe wird in Sequenzen abgespult, die an Jukebox Musicals angelehnt sind – offenbar, weil es das Setting der Musiktherapie ist, in welchem Arthur erstmalig auf sie trifft. Gleichzeitig ist Lee aber auch eine personifizierte Lüge – Sie umgarnt Arthur mit einer erfundenen Biografie und forciert in der Partnerschaft im Grunde die Lüge der Joker-Persönlichkeit ein, die sie fördert und fordert.

Das Comedian-Ding hingegen ist komplett ad acta gelegt: Mit dem Tod der Mutter und dem Tod von Murray im ersten Teil scheint dieser Teil von Arthurs Persönlichkeit keine Rolle mehr zu spielen. Der Traum vom eitlen, affektierten Entertainer bleibt ihm erhalten, spiegelt sich aber nun komplett in der Rolle des melodramatischen Crooners in Fred Astaire-Manier wieder.

Während die Farbgebung in den meisten Szenen eher trist und farbarm anmutet, kommen die separaten Jukebox Musical Sequenzen in sehr übersättigten Farben daher © Warner Bros. Pictures

Während die Farbgebung in den meisten Szenen eher trist und farbarm anmutet, kommen die separaten Jukebox Musical Sequenzen in sehr übersättigten Farben daher © Warner Bros. Pictures

Bereits im ersten Teil wurde häufig mit dem narrativen Kniff des „unzuverlässigen Erzählers“ gearbeitet. Realität und Wahn verschwammen bei Joker recht häufig ineinander. Man wusste bei Arthur nie so recht, wie viel von seiner Comedy-Karriere, wie viel von seiner Beziehung zur Nachbarin Sophie, wie viel von seinen Mutter-Sohn Verhältnissen halluziniert und wie viel davon Realität sind. Selbst das Aufkommen der militanten Clownsmasken-Bewegung mutete wie ein narzisstisches Hirngespinst an – endlich hatte der ungesehene Arthur großen Impact auf Gothams Gesellschaft bewirkt.

Das Unreliable Narrator-Prinzip ist nach wie vor präsent, aber es wirkt strukturell „anders“ eingebettet: Die Jukebox Musical Sequenzen, die zunehmend Risse in der glamourösen Fassade von Arthurs Verliebtsein offenbaren, sind klar erkennbare psychotische Episoden. Arthur wird an einer Stelle auf sein „in die Leere starren“ hingewiesen, nachdem die Sequenz noch vorher nahtlos in eine Musical-Einlage reingeschlittert ist – Im Gegensatz zur suggerierten Folie á Deux wirken diese Episoden nicht wie eine „gemeinsame Psychose“, sondern ziemlich einseitig und von Harley/Lee entkoppelt. Es ist keine Interdependenz zwischen Fleck und Quinzel vernehmbar. In der Comic-Lore ist Harley Quinn ihrem Mr. J immer hoffnungslos verfallen, bis hin zur Hörigkeit. In der Welt von Todd Phillips‘ Joker ist Arthur aber seiner Harley Quinn verfallen. Und er vermag es einfach nicht, ganz und gar ihr Mr. J zu sein. Hier wird allerdings auch nicht ganz klar, ob Lee/Harley nicht auch partiell ein Hirngespinst ist: Die Tatsache, dass sie dieselbe halbironische Kopfschuss-Geste zeigt wie im ersten Teil schon Sophie lässt ein bisschen vermuten, dass sich hier Geschichte wiederholt. Viele Kritiken bemängeln, dass Lady Gaga als Lee/Harley zu wenig Screentime bekomme und dass sie als Charakter noch weniger ausgestaltet sei, als etwa die krawallige Interpretation von Margo Robbie in den Suicide Squad-Filmen. Was aber, wenn der narzisstische Arthur Fleck nur dieses limitierte Bild von dieser Harley zulässt? Was, wenn sie bloß ein verqueres Manic Pixie Dream Girl ist, das sich Arthur in recht reduzierter Form herbeiimaginiert hat? Das würde gewissermaßen auch zum Incel-Vibe des Erstlings passen, der ja wiederum als Spielart des ähnlich gelagerten Taxi Driver funktionierte.

Ich meine, es gibt erhebliche Ungereimtheiten in der Handlung, die Brüche in der fiktionalisierten Wirklichkeit offenbaren: Wieso kann Lee während einer Gesangssitzung ungestört ein Feuer legen? Wieso wird sie zu einem Schwerverbrecher in die Zelle gelassen, um Sex mit ihm haben zu können, was in einer vorgeblichen Schwangerschaft resultieren soll? Das wirkt hanebüchen und ich glaube, das ist beabsichtigt.

Ich weiß nicht, ob ich hier nicht zu viel interpretiere. Aber unter diesen Gesichtspunkten find ich die Art und Weise, wie Todd Phillips und Scott Silver das Drehbuch angelegt haben, recht clever.

Schon Joker war ein nicht nicht-kanonischer, für sich stehender Film, der zwar Versatzstücke des Comic-Universums von Batman und dessen Figuren, etwa Thomas und den noch kindlichen Bruce Wayne, aber auch Butler Alfred Pennyworth, nutze, diese aber von der restlichen Comic-Lore beinahe gänzlich entkoppelte. Ähnlich handhabt es der Nachfolger: Mit Harvey Dent bekommen wir eine junge Version des Staatsanwalts, der in der Comic-Version später zu Two-Face werden wird, zu sehen. Dieser Figur wird aber mit Blick auf die Comic-Lore kaum Raum gelassen, überhaupt irgendeine Art von Aha-Moment bei den Batman-Fans zu etablieren. Das ist definitiv ein Statement!

Arkham wirkt wie eine weniger verklärte, klaustrophobische Version des Todestraktes aus "The Green Mile" - Zu den Wärtern, angeführt von Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) verbindet Arthur eine merkwürdige Hassliebe © Warner Bros. Pictures

Arkham wirkt wie eine weniger verklärte, klaustrophobische Version des Todestraktes aus „The Green Mile“ – Zu den Wärtern, angeführt von Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) verbindet Arthur eine merkwürdige Hassliebe © Warner Bros. Pictures

Zugleich wirkt Joker – Folie á Deux aber durch die genannten Umstände – etwa die weitgehende Abstinenz des zwanghaften, bitteren Lachens; die Abkehr vom Witz, die Zuwendung zur Musik, und die Abkehr von der voranschreitenden Origin-Story, nicht mal kanonisch mit dem eigenen Vorgänger. Auch das passt aber zum Prinzip des unzuverlässigen Erzählens. Wie kann der Film konsistent sein, wenn Arthur es in seiner Erzählung nicht ist. Der Film tritt auf der Stelle, weil Arthur es tut.

Die Idee eines Jokers

Und damit wären wir auch bei der Einleitung des Filmes: Zu Beginn sehen wir in bester Wacky Pomo-Manier einen old-schooligen Cartoon im 1940s-1960s Stil, der mit „Der Joker und sein Schatten“ betitelt ist. Der Joker – passend im colorblockigen Trademark-Kostüm mit auffälligem, rotem Anzug, oranger Weste und grünem Button-Down Hemd, den giftgrün gefärbten Haaren und dem gruseligen Make-Up hat endlich den Ruhm erfahren, den er immer wollte. Doch sein Schatten macht sich eigenständig und droht ihm immer wieder mit Gewalt die Tour zu vermasseln, ihm die Persona zu entziehen. Dieser Schatten ist Arthur Fleck. Er steht sich bei der Neuerfindung als Joker selbst im Wege – Das ist die grundsätzliche Ausrichtung des Filmes.

Und mit dem kontroversen, vielleicht sogar etwas schockierenden Finale wird dann auch klar, dass die Joker-Filme vielleicht nie Origin-Story des popkulturell ikonischen Bösewichts waren. Vielmehr wurde die Ursprungsgeschichte eines Konzeptes erzählt, dessen Stab grundsätzlich von jedem (und jeder?) weitergetragen werden kann. Damit stößt Todd Phillips ähnlich vor den Kopf, wie es Rian Johnson bei Star Wars Episode 8 getan hat.

Ich finde den Take insofern mutig, weil Phillips sich auf diese Weise gleichzeitig aus der Verantwortung eines weiteren Sequels gewunden hat. Durch die bislang eher mauen Einspielzahlen von Joker – Folie á Deux wird Warner Bros. hier erfahrungsgemäß aber eh kein grünes Licht mehr geben. So aber wirkt Joker – Folie á Deux wie die Dekonstruktion einer Dekonstruktion. Ein Trollversuch eben.

Die schauspielerischen Leistungen – Bewusst fehlende Chemie?

Die Kritiken bemängeln stellenweise die schauspielerische Performance von Lady Gaga als Lee und attestieren auch Joaquin Phoenix als Arthur/Joker eine gewisse Lustlosigkeit im Vergleich zum Erstling, für den er immerhin den Oscar als bester Hauptdarsteller erhalten hat. Beide Kritikpunkte kann ich kaum nachvollziehen: Lady Gaga empfinde ich tatsächlich seit A Star is Born als durchaus ernstzunehmende Schauspielerin, auch ihre wilde Performance im durchwachsenen House of Gucci empfand ich als dem Film angemessen. So auch hier: Man kann nun kritisieren, dass sie im Rahmen des Drehbuchs kaum Profil bekommt, aber ich empfand Gagas Schauspiel als tonal passend, ihre Mimiken durchaus ausdrucksstark und die Tanzeinlagen roh, unperfektionistisch, aber kinetisch. Ihre Gesangsstimme wirkt in den Musical-Einlagen natürlich erhaben und kraftvoll, zugleich aber eine Ecke brüchiger und kaputter als im Kontext ihrer „echten“ Pop-Karriere. Das muss aber so, denn auch die Gesangseinlagen von Joaquin Phoenix wirken umso gebrochener und schmerzhafter. Es wird nie ganz klar, ob Musik für Arthur Trigger oder Heilungsprozess ist.

Ansonsten finde ich gerade die Schauspielleistung von Joaquin Phoenix nach wie vor extrem stark. Sein Umgang mit dem dürren, ausgemergelten Körper, sein Einsatz von Stimme und Mienenspiel sind immer noch außergewöhnlich und hier zeigt sich wieder, dass er einer der stärksten männlichen Charakterdarsteller unserer Zeit ist. Dass man seine Performance hier als weniger stark als noch im Erstling empfindet, ist eigentlich nur dem Umstand geschuldet, dass es hier bloß „more of the same“ gibt und sich beide Performances dann doch in den Manierismen und der Awkardness arg ähneln.

Auch die anderen Schauspieler*innen fand ich gut besetzt: Leigh Gill als Gary spielte den traumatisierten Gary im Zeugenstand hervorragend und emotional berührend. Der immer charismatische und hervorragende Brendan Gleeson hat als Arkham-Wärter Jackie Sullivan zwar auch eine eher kleine Rolle, erfüllt diese mit dem nötigen Charisma und der Ambivalenz, um gleichzeitig moralisch verkommenes Arschloch zu sein, das aber trotzdem „irgendwie ganz sympathisch“ rüberkommt. Und auch die Rolle der ambitionierten, aber empathisch anmutenden Anwältin Maryanne, gespielt von Catherine Keener, wird sehr ruhig und realistisch portraitiert.

Die Presse hat vor allem die fehlende Chemie zwischen Phoenix und Lady Gaga bemängelt, die in der Tat etwas unterkühlt ausfällt: Hier verweise ich aber erneut auf die Interpretation meinerseits – Die Beziehung zwischen einem Joker und einer Harley Quinn ist ja ohnehin recht toxisch angelegt. Hier kommt erschwerend hinzu, dass der „versprochene“ gemeinsame Wahn ein falsches Versprechen ist. Der elendig einsame Arthur glaubt in Lee eine Seelenverwandte zu sehen, sie hingegen interessiert sich nur für den Joker. Beide sind Einzelkämpfer in ihren einseitigen Obsessionen. Und ob wir als Zuschauer*innen eine wahre Lee überhaupt zu Gesicht bekommen, steht wieder auf einem anderen Blatt Papier. Für mich konnte sich nie eine „richtige Chemie“ miteinander etablieren, weil es die Romanze nie gegeben hat. Deshalb fand ich die unterkühlte Liebelei recht passend umgesetzt.

Der schwere Score muss einer Reihe von Evergreens weichen

Der von schweren Streichern getragene Soundtrack der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir beim Vorgänger war ein ziemliches Highlight. An dieser Stelle empfehle ich auch ihre Beiträge zu den Filmen Tár, Die Aussprache und der HBO-Serie Chernobyl, die durch die Bank weg grandios sind.  Durch den Musical-Charakter des Zweitlings geraten ihre starken Arrangements nun aber in den Hintergrund: Bereits der Vorgänger arbeitete immer wieder mit alten gecroonten Klassikern wie „That’s Life“ und „Send In The Clowns“  in den Fassungen von Frank Sinatra oder dem „Modern Times“-Theme „Smile“, gesungen von Jimmy Durante.

Hier sind die Songs der Schwerpunkt, die dann auch von den Darsteller*innen in Musical-Manier selbst vorgetragen werden, dabei aber eher in beklemmenden, gebrochenen Interpretationen. Dabei sind durchaus eine Reihe von Stücken aus den 1940ern, 1950ern und 1960ern, die in unseren Breitengraden nicht sonderlich bekannt sein dürften, etwa „Bewitched (Bothered and Bewildered)“, welches als Show Tune im Musical „Pal Joey“ von 1940 bekannt wurde. Auch „If My Friends Could See Me Now“ stammt aus einem 1966er Broadway Musical namens “Sweet Charity”. Aber auch neuere Stücke wie der Outsider Music-Hit „True Love Will Find You In the End” vom großartigen Daniel Johnston (Gott habe ihn selig) wird hier adaptiert.

Die "Kopfschuss"-Geste kennen wir schon aus dem Vorgänger? Ist Harley Quinn hier nur eine Idee? © Warner Bros. Pictures

Die „Kopfschuss“-Geste kennen wir schon aus dem Vorgänger? Ist Harley Quinn hier nur eine Idee? © Warner Bros. Pictures

Die Musik, die aus alten populären Shows und Musicals stammt, ist ganz klar so gewählt, dass Arthur selbst, der ja den Musikgeschmack vor allem von seiner Mutter übernommen haben dürfte, mit ihr sozialisiert worden sei – mit den Fred Astaires, mit den Judy Garlands und den anderen pompösen, großen Namen dieser Ära.

Wer an dieser Mische keinen Geschmack findet, könnte auch hier von Joker – Folie á Deux vor den Kopf gestoßen werden. Ich muss gestehen, ich fand die Übergänge zwischen Musical Darbietung und regulärem Soundtrack nicht immer stimmig, weil häufig zu abrupt. Im Grundsatz konnte ich aber mit dem Konzept etwas anfangen und fand auch die Musikwahl und die Interpretation vonseiten Phoenix und Gaga gelungen.

Wo ist die Kohle hin?

Ein Trollversuch von Phillips wird vermutlich auch das Budget von Joker – Folie á Deux sein. Der erste Teil war mit seinen schmalen 60 Mio. US-Dollar Produktionskosten für Hollywood-Verhältnisse beinahe ein Low Budget-Titel. Joker – Folie á Deux hingegen kostete mit 200 Mio. US-Dollar mehr als das Dreifache des Vorgängers. Das ist insofern interessant, weil der Film ja abseits von Lady Gagas Mitwirken nicht nach dem „Bigger is Better“-Prinzip funktioniert. Während Joker noch eine trübe Darstellung  des 1980er New Yorks bzw. Gothams abbildete, spielt sich Folie á Deux vor allem in Arkham ab und hat somit deutlich stärkere Kammerspiel-Vibes.

Todd Phillips sagte in einem Interview mit der Variety, man solle froh sein, dass er Warner Bros. diese große Menge Geld aus den Rippen leiern konnte, und dass er die vielen, vielen Beteiligten in der Film-Crew des Films besser bezahlen könne, die damit wiederum ihre Familien ernähren. Die Kritik an zu hohen Budgets wirke, als seien die lauten Kritiker auf der Seite der ah so armen multinationalen Konzerne.

Zwar glaube ich persönlich, dass vor allem Phoenix und Lady Gaga, aber auch Phillips selbst, von dem wesentlich höheren Budget profitieren, letztlich hat der Mann aber Recht. Wenn Warner Bros. den Kreativen 200 Mille in den Rachen werden, warum sollte man das ablehnen?

Betörend schöne Bilder

Für die Bilder ist, wie schon beim ersten Teil, Lawrence Sher zuständig, der hier abermals einen herausragenden Job macht. Die Farbwerte sind reduziert und unterkühlt wie bei Fincher-Filmen, ein leichter Grünstich hängt über allem, der eine diffuse Stimmung vermittelt. In den Gerichtssälen haben wir eine Dominanz von schweren Braun- und Grautönen, Arkham selbst wirkt wie der Todestrakt aus The Green Mile, aber wesentlich weniger heimelig. Dem gegenüber stehen die Jukebox Musical-Momente, die farblich natürlich komplett überzeichnet sind. Auch hier wird mit Reproduktion gearbeitet: Viele optische Gestaltungsmerkmale und Einstellungen kennen wir aus dem Vorgänger, die hier aber neu arrangiert werden.

Der Handlungsstrang im Gericht nimmt erst so richtig Fahrt auf, als Arthur seine Verteidigung selbst übernimmt ... als Joker © Warner Bros. Pictures

Der Handlungsstrang im Gericht nimmt erst so richtig Fahrt auf, als Arthur seine Verteidigung selbst übernimmt … als Joker © Warner Bros. Pictures

Die visuelle Komponente ist vermutlich die tragende Stützsäule für jene, die gar nichts mit Joker 2 anzufangen wissen. Denn die verankert Folie á Deux noch im Vorgänger, während alles andere konsequent gegen den oder die Zuschauer*in gerichtet zu sein scheint.

Fazit:

Joker – Folie á Deux wird für viele Zuschauer*innen eine herbe Enttäuschung sein. Es gibt kaum erzählerischen Fortschritt in der Transformation des erbärmlichen Arthur Fleck zum charismatischen Joker. Vielmehr zelebriert Todd Phillips gar den Rückschritt – Folie á Deux tritt gefühlt bewusst auf der Stelle und relativiert auch einige Handlungspfeiler des Vorgängers. Harley Quinzel, gespielt von Lady Gaga, nimmt eine bedeutend kleinere Rolle ein als man ursprünglich suggeriert bekommt. Die „Folie á Deux“ – Der gemeinsame Wahn – bleibt aus, stattdessen wird das Prinzip des „unzuverlässigen Erzählens“ auf ein Hoch getrieben und die beiden vermeintlich Liebenden sind die Einzelkämpfer ihrer eigenen Obsession. Auch die Musical-Sequenzen dürften nicht jedermanns Sache sein. ABER: Ich empfinde Joker – Folie á Deux als spannenden Nachfolger, der bei weitem nicht so viel Kritik verdient hat, wie er es aktuell abbekommt. Er dekonstruiert die Dekonstruktion des Erstlings, spielt mit Erwartungshaltungen der Zuschauer*innen, konterkariert sie und liefert mit dem kontroversen Finale vielleicht die spannende Erkenntnis, dass mit den beiden Filmen lediglich die Origin-Story einer Idee erzählt wurde. Das heißt nicht, dass Joker – Folie á Deux perfekt ist: Die 2 Stunden und 20 Min sind zu lang geraten – Die Wechsel zwischen Jukebox Musical, Gerichtsdrama und Gefängnisfilm greifen nicht intuitiv ineinander, so mancher abrupter Wechsel ist dem Pacing nicht zuträglich. Im Kern halte ich Joker – Folie á Deux aber für einen spannenden Film und für einen fast schon überheblich-frechen Trollversuch von Todd Phillips.

 

 

 

Fazit

Regie - 6.9
Drehbuch - 7.5
Visuelles - 8.1
Score/Soundtrack - 8.5
Cast - 8

7.8

Joker 2 könnte für Fans des ersten Teils eine herbe Enttäuschung sein. Im Grunde hat Todd Phillips aber einen kantigen, unangepassten und spannenden Nachfolger abgeliefert, der ein Fuck You an gesetzte Erwartungshaltungen ist. Nicht alles funktioniert hier gut, aber das muss es auch nicht zwingend.

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