„In welchem Spiel wärst du gerne viel besser, als du bist?“
Diese einfache Frage trage ich schon eine Weile mit mir herum und neben meiner Evergreen-Antwort Starcraft 2, gibt es auch ein Spiel, dass mich immer schon fasziniert hat: Jagged Alliance 2. Der Rundentaktiker aus dem letzten Jahrtausend ist seit Release immer mal wieder in meiner Liste aufgetaucht, woraufhin ich ein paar Stunden in den Klassiker investiert habe und mit ziemlich blutiger Nase davonschleichen musste. Aber irgendwas hat das Spiel ja schon… Und das sehe scheinbar nicht nur ich so, denn die Fangemeinde besteht nach 20 Jahren und diversen eher fragwürdigen Reboots fort und denen jucken jetzt natürlich die Finger. Aber haben wir mit Jagged Alliance 3 einen würdigen Nachfolger oder eine weitere Fußnote in der Geschichte gefloppter Fortsetzungen?
Arbeiten, wo andere Leute Urlaub machen…
Grand Chien hat ein riesiges Problem. Das pseudoafrikanische Land bietet neben wunderschöner Natur und Anbindung ans Meer nämlich auch einen Bürgerkrieg, bei dem der amtierende Präsident von Separatisten entführt wurde. Und somit droht die ganze Nation einem blutrünstigen Warlord in die Finger zu fallen. Das geht natürlich nicht klar, schließlich spielt Jagged Alliance 3 im Jahr 2001 und somit steht der Bevölkerung von Grand Chien die ganze Macht des Internet zur Verfügung. Es dauert demnach auch nicht lange, dass man als Spielende*r eine Email erhält. Man ist schließlich nicht irgendwer, sondern führt ein Unternehmen, dass sich auf paramilitärische Aufgaben spezialisiert hat. Frisch angeheuert geht es also darum, den Präsidenten zurückzuholen und für Ruhe und Ordnung in Grand Chien zu sorgen.
Von der Handlung her erinnert Jagged Alliance 3 stark an den Vorgänger und diese beinahe traditionsbewussten Referenzen finden sich beinahe überall im Spiel. Statt Funkgesprächen und Kameraschnitten zur Hauptbösewichtin Deidranna, wird die Story hier aber in der Regel etwas näher an der Arbeit der eigenen Söldner erzählt.
Laptop aufklappen, Regierung stürzen, Kohle einsacken – Der Gameplayloop von ganz oben
Fans des Vorgängers wissen was sie erwartet: Jagged Alliance lässt euch in die Rolle des Managers eines Söldnerunternehmens schlüpfen und als solcher bevorzugt man natürlich einen gewissen Hands-Off Approach und klemmt sich statt hinter das MG-Nest lieber hinter einen Laptop. Hier kann man sich dann auch organisatorisch gut austoben. Aus der Meta-Perspektive sieht man alles auf einmal: Die Karte der Spielwelt, man hat aber auch Zugriff auf Emails und Newsletter, kann sich einen eigenen Söldner erstellen oder passende Krieger anheuern und ihnen auch Befehle geben.
Das läuft in einer Art Echtzeit, die bei Ereignissen kurz die Zeit stoppt. Auf der Karte und dem dazugehörigen Zeitbalken ist nämlich ziemlich viel los. Man muss Söldnern Befehle geben, damit sie beispielsweise Milizen ausbilden, um Orte zu verteidigen; man kann ihnen aber auch Fortbildungen in Sachen Zielgenauigkeit anordnen oder sie schlichtweg auf die Reise schicken. Gleichzeitig arbeitet der Gegner gegen euch an und sendet Angriffe an Schwachpunkte oder transportiert Diamanten durch die Gegend.
Diese sind übrigens bitter nötig, denn das Spiel hat ein ziemlich kontroverses Feature: Zwar kann man mit Überfällen und Zufallsfunden an Geld kommen, die Haupteinnahmequellen sind aber Minen, die regelmäßig Geld abwerfen. Bis sie es nicht mehr tun, denn von Haus aus haben die Minen ein Limit und sind schon recht schnell nicht mehr profitabel. Für Hardcorefans mag das funktionieren und ordentlich Druck machen. In meinen Augen ist das aber ein massiver Schnitzer, denn das eigentliche Gameplay lädt eher dazu ein, sich auch Zeit zu lassen. Darf man aber nicht. Ich muss dafür Punkte abziehen, möchte eventuelle Käufer aber nicht komplett abschrecken:
Das Spiel hat bereits umfassenden Mod-Support, der in diesem Fall auch mittels entsprechender Fan-Modifikationen dafür sorgt, dass die Minen permanent Geld liefern.
Mercs, Guns and Roleplaying!?
Strategische Übersicht schön und gut, aber den Löwenanteil von Jagged Alliance verbringt ihr in der isometrischen Vogelperspektive. Da zeigt sich gleich, dass es bei Jagged Alliance einen Entwicklerwechsel gegeben haben muss, denn die Leute, die auch die Tropico-Reihe entwickelten, versuchen sich jetzt an einem neuen Genre und zeigen dabei keine falsche Scheu. Das Spiel ist definitiv nicht der Genreprimus in Sachen Optik (das ist vermutlich Gears Tactics, ein unglaublich unterschätzter Titel), aber es sieht trotz leichter Überzeichnung beim Art Design absolut klasse aus! Die Animationen passen zum Geschehen und manchmal geht beim Geballer auch die Umgebung kaputt. Aber überstürzen wir nichts, vor dem Kampf kommt… der Vorkampf? Denn beim Betreten der Map übernehmt ihr die Kontrolle über eure bis zu 6 Söldner starke Gruppe, und zwar in Echtzeit. Ähnlich wie in einem RTS bewegt ihr euch also über die Map, auf der die Umgebung einsehbar ist, Gegner aber im großzügigen Fog of War verschwinden. Und sobald ihr auf die trefft, geht der rundenbasierte Teil aus. Da es im normalen Spiel keine Stoptaste gibt, kann das mitunter ziemlich hektisch werden, wenn man, überrascht vom Gegner, vor dessen Reaktion noch einen Schuss abgeben will.
Der Gegner schlägt dann in der Regel Alarm und positioniert sich um. Dabei wird in der Regel nicht geschossen, die Initiative liegt also immer bei den Spielern. Die können dann loslegen und handeln alle ihre Söldner ab, bevor an die KI übergeben wird. Jeder Charakter hat eine gewisse Anzahl an Aktionspunkten und darf die dann auch frei verteilen um sich zu bewegen, in Deckung zu gehen oder zu feuern. Beim Zielen kann man übrigens verschiedene Körperteile anvisieren und so unterschiedliche Mali erzeugen. Das ist meistens aber schwerer als ein zentraler Treffer. Dazu kommen verschiedene Multiplikatoren ins Spiel, die berechnen, wie wahrscheinlich ein Treffer ist, ob er kritischen Schaden anrichtet oder am eigentlichen Ziel vorbei in einen eigenen Kameraden geht. Die genauen Zahlen behält das Spiel dabei für sich, es erfordert also ein wenig Erfahrung um einzuschätzen, ob sich ein Schuss überhaupt lohnt.
Natürlich lässt sich das Chaos auch ordnen, indem man einen Hinterhalt vorbereitet. Die Overwatch-Funktion ist nämlich ziemlich mächtig und erlaubt häufig sogar mehr Angriffe, als man in der eigenen Runde raushauen könnte. Man kann dem Gegner auch durchaus ein Schnippchen schlagen, wenn man sich an einem festmontierten Maschinengewehr verschanzt oder sie mit einem Überraschungsangriff mit dem Messer still und leise abtreten lässt. Die Möglichkeiten haben praktisch keine Grenzen und laden in der sehr abwechslungsreich gestalteten Welt zum experimentieren ein.
Wie anfangs schon beschrieben haben die Charaktere Aktionspunkte, doch das ist nicht der einzige Wert. Jeder Spielercharakter hat eine ganze Reihe an Attributen, die bestimmen wie weit er laufen kann, wie gut er schießt oder ob er Schlösser knacken kann. Grundsätzlich kann jeder Charakter jede Waffe benutzen, man muss sich da nicht unbedingt spezialisieren. Aber man kann, denn neben den Werten haben die angeworbenen Krieger auch Traits, die einzigartig für die Söldner sind. Das kann die Fähigkeit sein, im 360 Grad Winkel Overwatch zu geben oder das gleichzeitige Werfen von zwei Granaten sein. So spielt sich jeder Söldner auf seine eigene Weise und Fernkampf und Nahkampf sind beides valide Builds.
Gleichzeitig haben die Charaktere auch einiges an Charakter, die besonders hervortreten, wenn es in die RPG-Elemente von Jagged Alliance geht. Die Gruppe spricht miteinander, man kann zahlreiche Quests finden und mit der Bevölkerung von Grand Chien sprechen. Und das lohnt sich, denn das Spiel hat zwar eine ziemlich harte Thematik, ist aber randvoll mit Humor, der Action-Stereotype der frühen 2000er Popkultur aufs Korn nimmt. Da ist von der Schwarzenegger-Kopie zum Solid Snak-Verschnitt alles dabei, natürlich inklusiver markiger One-Liner und einigen wenigen Dialogoptionen, die unterschiedliche Ansätze ermöglichen.
Technik ohne Schnickschnack
Mein Rechner ist nicht mehr der Rede wert, ich zocke auf einem in die Jahre gekommenen Laptop und finde, dass das eine ziemlich schwierige Prämisse für die Rezension eines PC-exklusiven Titels ist. Aber ich wurde extrem positiv überrascht: Das Spiel läuft wunderbar, einzig wenn es regnet, kommt das System ins Stottern. Ich bin allerdings auch beinharter Konsolenspieler, daher sind mir die meisten Einstellungen egal und ich arbeite mit dem, was ich kriege. Spricht aber für die Technik, dass das Spiel gleichzeitig ganz cool aussieht und gleichzeitig auf meiner alten Krücke zockbar bleibt.
Dabei bietet das Spiel allerhand: Die Biome sind nicht besonders abwechslungsreich, aber Dschungel, Wüste und Stadt haben tolle Details und wirken ein klein wenig cartoonartig, ähnlich wie bei Tropico, ich bin also Fan. Die Charaktere bewegen sich authentisch und lehnen sich selbstständig an Wände an, Blei fliegt sichtbar durch die Luft und lässt auch Umgebungstreffer zu, bei denen auch mal Umgebung zu Bruch geht. Das macht Freude und die wird durch den guten Sound verstärkt. Treffer haben ein saftiges Feedback, die Dialoge der Söldner wiederholen sich zwar gelegentlich, aber alle „Helden“ sind super vertont und sorgen schon mit ihrem Gesabbel für Sympathie oder lassen Kandidaten schon im Casting ausscheiden.
Es ist aber auch nicht alles perfekt. Manche Items sind schwer anzuklicken, da man manchmal den perfekten Winkel braucht und so dafür sorgt, dass sich eine Horde Spielercharaktere gegenseitig über die Füße läuft. Die KI ist grundsätzlich aber super. Sowohl die Wegfindung der eigenen Leute, als auch das Kampfverhalten der Gegner ist schlau. Sie stellen Fallen und erlauben unterschiedliche Herangehensweisen. Das führt wiederum aber auch zu Situationen, wo man als Spieler auch mal einen Kaffee aufsetzen kann. Speziell bei Belagerungssituationen mit vielen Feinden und Verbündeten werden alle Schritte einzeln abgehandelt und das kann gerne mal ein paar Minuten dauern. Bisher war das noch nicht so schlimm wie beispielsweise bei Divinity 2, aber da hätte ich mir eine schnellere Lösung gewünscht.
Fazit:
Oh Mann… selten fällt einem ein Urteil so schwer. Eigentlich ist Jagged Alliance 3 prima, ein echt würdiger Nachfolger – gerade für die zwanzigjährige Wartezeit zwischen Teil 2 und 3, die mit eher mediokren Spin-Offs gefüllt wurde. Bis auf diese verflixte Sache mit dem Zeitlimit. Das geht in dieser Form für mich leider gar nicht klar, ich ziehe dafür satte 10 Punkte ab. Das hätte Ende der 1990er und in den frühen 00er Jahren vielleicht noch funktioniert, ist mir aber für 2023 zu unnachgiebiges Spieldesign. Mit einer entsprechenden, bereits verfügbaren Mod ist das Problem nicht mehr so groß, aber man verdient gleichzeitig auch etwas bisschen viel Geld. Mit der Mod zocke ich trotzdem gerne weiter und würde das Spiel uneingeschränkt an Fans von fordernder Rundentaktik empfehlen. Für diejenigen, die das als Deal Breaker erachten, empfehle ich zum Beispiel Miasma Chronicles, das ein wenig einsteigerfreundlicher in dieser Hinsicht ist.
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Grafik - 7.5
Technik - 8
Gameplay - 7.5
Langzeitmotivation - 8.5
7.9
Die Urteilsfindung ist schwierig: Jagged Alliance 3 ist ein adäquater Nachfolger, der vieles richtig macht und gut ausschaut. Gleichzeitig ist die Sache mit dem Zeitlimit zumindest für mich ein echter Dealbreaker und für 2023 eine zu unbarmherzige Spieldesignentscheidung. Glücklicherweise gibt es bereits Mods, die das Problem beheben, sodass ich weiter am Ball bleiben durfte.