Das 2019 über ATLUS erschienene 13 Sentinels: Aegis Rim ist ein beinahe archetypischer Geheimtipp, ein Kritikergünstling mit eingeschworener Fanbase, der aber außerhalb der Bubble von ohnehin japanophilen Spieler:innen unverdient wenig Beachtung erfahren hat. Unverdient deshalb, weil das Spiel eben doch eine ganze Reihe von Preisen verbuchen konnte, bei den renommierten The Game Awards 2020 sogar eine Nominierung für „Beste Erzählung“ neben Big Budget Schwergewichten wie The Last of Us Part II oder Final Fantasy 7 Remake. Verantwortlich für 13 Sentinels ist das in Osaka beheimatete Studio Vanillaware, die bereits mit Odin Sphere (PlayStation 2), Muramasa: The Demon Blade (Nintendo Wii) und Dragon’s Crown (PlayStation 3/Vita) einen sehr trademarkigen Stil entwickelt haben: Wunderschöne, handgezeichnete Grafiken unter Verwendung 2D-Side-Scrollender Perspektiven gehend Hand in Hand mit oft episodisch gehaltenen Stories multipler Protagonisten und dem Vermischen verschiedener Genres. Das ist bei 13 Sentinels: Aegis Rim nicht anders – Der eigenwillige Grafikstil und die Vermischung von Taktik-Rollenspiel, Echtzeit-Strategie und Visual Novel sind zweifellos eine nischige Angelegenheit, können aber durchweg begeistern. Vanillaware und ATLUS haben dem Kleinod nun jüngst einen Switch-Port spendiert, der Mitte April 2022 auf den Markt gekommen ist. Und wer weiß, vielleicht erreicht 13 Sentinels: Aegis Rim damit doch nochmal wesentlich mehr Leute.
Komplex und stimmig erzählte Visual Novel
Einen großen Reiz bezieht 13 Sentinels: Aegis Rim aus der vielschichtig angelegten und absolut non-linearen Handlung, die gar nicht so einfach widerzugeben ist. Wir schlüpfen in den einzelnen multiperspektivischen Episoden in die Haut von einer der je 13 Figuren. Größtenteils handelt es sich dabei um High School-Schüler:innen, die sich vermeintlich mit allerlei Teenager Problemen rumschlagen müssen – in diesen Momenten bedient man sich ordentlich bei klassischen Slice-of-Life-Tropen – allerdings mit einem ordentlichen Twist, denn die Protagonisten stammen aus unterschiedlichen Epochen der Menschheitsgeschichte (die Zeitspanne umfasst die Jahre 1945 – 2025) und diese befindet sich an der Schwelle zur Apokalypse – die japanischen Nachrichten verkünden zu Beginn den Absturz eines großen unidentifizierbaren Objekts, das eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. 13 Sentinels führt uns dabei behutsam in die Materie ein: Die ersten zwei Stunden verbringen wir mit dem „Tutorial“, in welchem wir langsam mit den Charakteren vertraut gemacht werden – wir treffen zu Beginn etwa auf Juro Kurabe, einen höflichen jungen Mann und Schüler der Sakura-Oberschule, der im Japan der 1980er aufwächst (die Handlung beginnt im Mai 1985) und zusammen mit seinem Kindheitsfreund Kyuta Shiba auf trashige Sci-Fi Filme mit Kaiju-Monstern und Mechs steht. So weit, so gewöhnlich. Doch mit der Zeit bemerkt er, dass er niemandem so richtig vertrauen kann, da alle Menschen in seinem Umfeld eine mysteriöse Agenda zu verfolgen scheinen.
Auch Shu Amiguchi ist ein Kind der 80er, ein extrovertierter Typ mit loser Zunge, der beliebt bei den Mädchen ist – außerdem ein Kumpel von Kyuta Shiba, mit dem er häufig Videospiele nach der Schule zockt. Doch als eines Nachts durch seinen wie von Geisterhand eingeschalteten Fernseher ein bekanntes Idol um Hilfe ruft und sich dabei direkt an ihn wendet, scheint es mit der Zeit der Sorglosigkeit vorbei. Megumi Yakushiji wiederum schien mit Juro Kurabe in einer romantischen Paar-Beziehung gewesen zu sein, doch kann sich ihre große Liebe nicht mehr daran erinnern. Eine merkwürdige Katze taucht auf und sie schließt einen mysteriösen „Vertrag“ ab, den sie in der Hoffnung eingeht, dass das Geheimnis um Juros‘ Amnesie gelüftet wird. 13 Sentinels bringt weitere Archetypen mit, die ihre eigene Geschichte haben: Wir haben den klassischen Halbstarken mit goldenem Herz, die Verschwörungstheoretikerin Natsuno, die plötzlich einer zeitreisenden Alien-Rasse auf die Spur kommt, wir haben Kriegsveteranen aus den 1945ern, die sich plötzlich in einer neuen Zeit zurechtfinden müssen und merken, dass die Feinde aus dem zweiten Weltkrieg gar nicht die größte Bedrohung darstellen und wir haben Mädchen mit starken Psychosen, die mysteriöse Tabletten aus unbekannter Quelle einnehmen, um ruhig gestellt zu werden. Natürlich überschneiden sich die Geschehnisse und die einzelnen Plotlines miteinander und offenbaren immer wieder neue Puzzlestücke im großen Ganzen – die Konstante dabei: Die Existenz von sogenannten Sentinels: Gigantische, mit ihren menschlichen Piloten verbundene Kampfroboter aus Stahl, welche Angriffe von sogenannten Deimos – riesigen Kaiju-artigen Monstern – abwehren müssen, die es im Untergrund auf zentrale kritische Terminals abgesehen haben – die namensgebende Aegis-Technologie ist dabei ein wirkstarker Verteidigungsmechanismus, der aber im Angriffsfall erst ein wenig Anlaufzeit braucht. Die Verbindung von Teenager Charakter-Drama und Untergangs Mech-/Kaiju-Sci-Fi-Szenario erinnert dabei an vielen Stellen an Manga/Anime wie Neon Genesis Evangelion oder RahXephon. Sind im anfänglichen Tutorial sowohl die Charakter-Episoden als auch die Abfolge der Erzähl- und Strategie-Parts komplett fix vorgegeben, öffnet sich 13 Sentinels: Aegis Rim spätestens im Anschluss in einer cleveren Weise, dass man den Titel auf ganz eigene Weise genießen kann.
Die Freiheit der Erzählung
Denn das Spiel ist in drei Teile aufgeteilt, die wir frei bespielen können: Der sogenannte „Erinnerungs“-Part macht dabei einen erheblichen Teil von 13 Sentinels: Aegis Rim aus und führt uns durch die anfangs beschriebenen Visual Novel-Teile der Geschichte – Wir können dabei zwischen den Charakteren frei wählen und jeweils ihre Geschichte bespielen. Interaktionen mit der Spielwelt gibt es tendenziell wenig – Man latscht mit den Figuren durch die handgezeichneten Szenerien, treibt den Plot primär über Dialoge voran und verlässt sich dabei beinahe vollständig auf die hervorragend erzählte Handlung. In Gesprächen können wir Schlüsselwörter aufschnappen, über die wir in monologischer Form nachdenken können, um weitere Stichpunkte freizuschalten, um diese dann wiederum in Interaktion mit wichtigen Figuren zu nutzen. Dabei ist es von Vorteil, wenn man ab und an auch die tratschenden NPCs berücksichtigt, denn auch hier lassen sich nutzbare Key Words erfassen. Natürlich gibt es partiell Sackgassen oder Irrwege, im Endeffekt kann man aber als Spieler:in wenig falsch machen. Über die Gedankenwolken lassen sich Gespräche triggern und physische Objekte nutzen. Die Stories finden wie bereits eingangs erwähnt zu unterschiedlichen Zeitpunkten statt, aber es gibt in jeder Story Schnittpunkte mit jeweils anderen Episoden, die in dramatischen Klimaxen kulminieren.
Man ist zwei frei, was die Herangehensweise an die Episoden angeht – manche fortgeschrittene Handlungsstränge können aber gesperrt sein, bis man in einer anderen Story oder in einem Mech-Kampf weit genug fortgeschritten ist. Diese fragmentierte, mit perspektivischen Twists versehene Erzählweise trägt viel zum enigmatischen, mysteriösen Flair der Story bei. Man rätselt aktiv mit, um sich einen Begriff vom großen Ganzen zu machen und wie man den Untergang abwenden kann. Dabei ist 13 Sentinels: Aegis Rim reich an Zitaten und greift Elemente aus der Sci-Fi Popkultur auf: Es finden sich Anspielungen auf Krieg der Welten, E.T., Terminator, aber immer wieder auch Bezüge auf zahlreiche japanische Werke wie „Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“ oder die Macross-Serie. Die Figuren sind dabei allesamt sehr gut geschrieben, mit durchdachten Biografien und Motivationen, sodass man eine emotionale Bindung aufzubauen vermag. Die Charakter-Arcs sind dabei intelligent mit der größeren Handlung verwoben, sodass man sich gerne in den verworrenen Gesamtplot hineinarbeitet.
Die zweite zentrale Spielmechanik ist der „Zerstörungs“-Modus, bei dem man aus einer isometrischen Perspektive heraus in Echtzeit die Sentinels befehligt. Das Ganze funktioniert als eine Mischung aus Tower Defense und Taktik-Rollenspiel. Man kommandiert bis zu 6 Mechs auf dem Tableau, um das Terminal gegen Wellen von Gegnern zu verteidigen. Jede Einheit hat dabei unterschiedliche Fähigkeiten und Rollen – es gibt Sentinels, die sind eher im Nahkampf stark, andere sind Support, wieder andere sind taktisch effizient gegen fliegende Widersacher, indem sie EMP-Wellen ausstrahlen. Die Fähigkeiten sind jeweils offensiver und defensiver Natur und können mit der Zeit über „Meta Chips“ ausgebaut werden, die sowohl in den Kämpfen- als auch im „Erinnerungs“-Modus verdient werden können. Siegbedingung ist aber in jedem Falle entweder die Zerstörung aller Einheiten auf dem Feld oder aber die Sicherung des Terminals über einen spezifischen Zeitraum. Der Strategie-Part ist auf normalem Schwierigkeitsgrad eher eine Ecke zu leicht, es ist aber eine launige Sache, wenn man Strategien ausprobiert, die aufgehen. Man kann entweder die komplette Energie für besonders verheerende, großflächige Angriffe nutzen oder aber die Sentinels in ihrer Wirksamkeit passend einsetzen. Dabei muss man sich in die Rollenverteilungen der einzelnen Sentinels zwar ein bisschen reinfuchsen, richtig vertrackt wird es aber nie. Der Semi-RTS Modus hat aber das Problem, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt aufhört, neue Elemente einzuführen und ab dem Zeitpunkt relativ redundant wird. Das geht so weit, dass man sich dann doch manchmal zurück in den Erinnerungs-Teil zurückwünscht, vorher aber zwingen muss, bestimmte Gegner-Wellen auszuschalten, um eben weitere Stränge im Novel-Modus freizuschalten. Auch dass einige interessante Plotelelemente und Charakter-Interaktionen vor und nach einer Kampfsequenz abgespult werden lässt immer Raum für das Bedürfnis nach mehr Visual Novel. Erschwerend kommt hinzu, dass der Look im RTS-Modus eher zweckdienlich ist und kein bisschen mit der hübschen und detaillierten Optik des Erinnerungs-Modus mithalten kann. Der Zerstörungs-Modus ist nicht per se doof, aber er reißt einen schon ein wenig aus dem Geschehen raus. Ein wenig mehr Komplexität hätte da sicherlich nicht geschadet, zumal der Level-Cap absurd hoch ist. Man kann alle Sentinels bis Lvl. 99 hochzüchten, mit Level 30 erreichen sie aber alle verfügbaren Fähigkeiten. Komplettisten werden sicherlich versuchen alle optionalen Bedingungen zu erfüllen, um möglichst alle S-Ränge zu bekommen. So klingt mein Gemeckere also vielleicht tatsächlich tragischer als es ist, denn irgendwie auf eine merkwürdige Art und Weise ist dann 13 Sentinels: Aegis Rim doch mehr als die Summe der einzelnen Teile. Übrigens: Die Switch-Fassung hat zwei zusätzliche Waffen-Optionen für jeden Sentinel. Das ist nett, verändert die Spieltiefe aber nicht allzu sehr.
Der letzte Part „Analyse“ ist dann eher eine Art „Recap“ oder Collectible-Feature, um die Handlungsstränge beisammen zu halten und die Lore der Welt offenzulegen – Um 100 % aller 250 Geheimakten zu bekommen, muss man alle zusätzlichen Ziele und S-Ränge in den Kämpfen und alle manuell über Mystery Points erhältlichen Akten erzielen. Das wird reine Durchspieler zwar weniger interessieren, aber grundsätzlich ist die Erschließung der Lore über Collectibles ein legitimer Ansatz.
Prima Lokalisierung und toller Soundtrack
Der Soundtrack von 13 Sentinels: Aegis Rim ist über alle Maßen erhaben: Der von Hitoshi Sakimoto komponierte Score schafft es immer wieder die passenden Töne zu finden, die diese weirde, beinahe sakrale Sci-Fi Atmosphäre des Spiels unterstreichen. Technoid pulsierende Synthies mit Drum ’n‘ Bass-Einschlag, hämmernder Industrial, apokalyptische Streichorchester, zarte Klavierklänge, die aber immer stark elektronisch unterfüttert werden. ATLUS-Titel sind beim Score immer recht stilsicher gewesen und hier macht auch das Vanillaware-Stück keine Ausnahme. Die Sprecher der Charaktere machen sowohl im japanischen O-Ton, als auch im Englischen einen wunderbaren Job und auch die deutsche Übersetzung der Bildschirmtexte erlaubt sich m.E. keine Schnitzer.
Wie macht sich die Switch-Fassung?
Tatsächlich hervorragend! Hier spielt natürlich das wunderschöne Artdesign des Spiels eine große Rolle. Weil das Spiel optisch auf 2D-Scrolling mit handgezeichneten Backgrounds setzt, 3D vor allem dann nutzt, um einen Parallax-Effekt zu erzielen, kann das ursprünglich PlayStation-exklusive Spiel natürlich ohne große technische Hürden auf die Switch portiert werden. Die Umgebungen strotzen dabei vor Details und auch die Animationen der Figuren lassen diese lebendig und greifbar wirken. Kurzum: Künstlerisch ist das Spiel große Klasse und trägt damit viel zum Genuss der Handlung bei. Auch bei den RTS-Sequenzen ist die fade Optik immerhin ein Garant dafür, dass die Switch davon nicht überfordert wird – lediglich wenn sehr viel passiert, gibt es kleinere kaum wahrnehmbare Slowdows. Gegenüber der PlayStation 4-Fassung müssen demnach wenig bis keine Abstriche gemacht werden. Damit gehe ich soweit, zu behaupten, dass 13 Sentinels: Aegis Rim auf der Nintendo Switch beinahe besser aufgehoben ist als auf der PlayStation 4. Denn die kompakten Strategie-Sequenzen und die episodenhafte Erzählweise machen das Spiel zu einem Go-To Titel für langweilige Zugfahrten. Generell kann ich mir vorstellen, dass man mit der Zielgruppe der Switch-Spieler*innen nochmal ein passenderes Publikum ansprechen dürfte.
Fazit:
13 Sentinels: Aegis Rim ist ein sonderbares Must-Play, weil es so angenehm einzigartig ist und dabei doch mehr als die Summe der einzelnen Teile. Der Visual Novel-Teil ist spielerisch vielleicht basal, die multiperspektivisch angelegte, epische Story gehört aber mit zum Besten, was das Videospielmedium in den letzten 5-10 Jahren zu leisten imstande war. Die Einreihung neben erzählerische Kracher wie The Last of Us Part II, The Witcher 3 oder Red Dead Redemption 2 ist also wohlverdient. Die detailverliebte 2D-Side-Scroller Optik ist handwerklich liebevoll gestaltet, der Soundtrack opulent. Dem gegenüber stehen als schwächstes Glied die Quasi-RTS Momente, die zwar durchaus knackig-kurzweilig anmuten, spielmechanisch aber kaum fordern und zudem ab einem gewissen Zeitpunkt viel zu redundant wirken. Man kann sie aber nicht skippen, weil Handlungsstränge dann geblockt werden. Bei einem möglichen Nachfolger könnte man also an dieser Schraube ansetzen. Dennoch darf man sich diesen Geheimtipp nicht entgehen lassen, zumal der Nintendo Switch-Port hervorragend gelungen ist. Mehr noch: Das Spiel ist auf der Switch besser aufgehoben als auf der PlayStation.
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Grafik - 8
Technik - 7.5
Umfang - 8.5
Handlung - 9.5
Gameplay - 8
8.3
Ein Kleinod, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Vor allem erzählerisch und inszenatorisch unglaublich stark! Trotz Schwächen beim Echtzeit-Strategie-Part ist das Spiel mit dem gelungenen Port ein absolutes Must Play auf der Nintendo Switch.