Game Review: Sovereign Syndicate für PC – Disco Elysium meets Jack The Ripper

Immer, wenn ich mich mit Leuten zusammensetze und über Videospiele abnerde, muss ich früher oder später über Disco Elysium sprechen. Das Spiel, das vom Gameplay her deutlich eher ein Roman als sonst was ist, holt mich einfach ab. Meistens wird kurz darauf das Thema gewechselt. Kunstbanausen. Naja, aber so ganz alleine kann ich nicht sein, denn neben den ganzen Preisen, die Disco Elysium eingeheimst hat, hat es scheinbar auch Sovereign Syndicate inspiriert, Grund genug mich, mit einigem an Vorschusslorbeeren, ins Spiel zu stürzen! Ob es eher Steampunk Elysium oder doch nur heißer Dampf ist, erfahrt ihr in unserer Review! 

Sovereign Syndicate Cover

Manchmal wird die Story auch in Comicpanels erzählt. Stilistisch halte ich das eigentlich für die bessere Wahl @ Crimson Herring Studios

Story – Shadowrun mit Dampfantrieb

Sovereign Syndicate erzählt eine Krimigeschichte im Film Noir Style. Dabei trifft man insgesamt auf drei Spielercharaktere, die alle einen Fall lösen, der dabei in verschiedene Unteraufgaben aufgeteilt ist. Da es sich bei dem Spiel fast um Graphic Novel handelt, also die Handlung völlig im Zentrum des Spiels liegt, möchte ich dabei nicht zu sehr ins Detail gehen. Ich hätte mir das aber ehrlich gesagt von den Entwicklern schon gewünscht. Zwar ist das ganze Szenario rund um die steampunkige Fantasywelt des fiktionalisierten viktorianischen London ein noch weitgehend frisches Setting und mit seinen Fabelwesen ist die Welt auch optisch direkt interessant, dabei nutzen die kanadischen Crimson Herring Studios diesen Umstand zu häufig als Krücke. Denn die einzelnen Charaktere sind häufig gar nicht so spannend und würden  als Normalos eigentlich weitgehend genauso agieren. Auch die Story selbst ist gut, aber wenig innovativ und die Entwickler haben auch keine Angst vor Klischees. Allen voran ist da der erste Charakter, der zwar als Minotaurus ein spannender Typ sein könnte, aber vom abgegriffenen Storyaufhänger der Amnesie nicht verschont geblieben ist. Und so startet man total beliebig in eine neue Welt ohne Erinnerungen. Die anderen Charaktere sind etwas weniger lahm aufgezogen und lösen ihre Quests durchaus spannend und sorgen am Ende dafür, dass man das Spiel durchaus empfehlen kann, nur halt nicht jedem.

Wäre als Comic vermutlich charmanter… @ Crimson Herring Studios

Spielmechanik – Sind Visual Novels eigentlich Spiele?

An der Spielmechanik könnten sich die Geister scheiden, aber ich habe schon einen leisen Verdacht, dass sie es gar nicht  tun müssen. Auf den ersten Blick haben wir alles, was ein klassisches Rollenspielgame so ausmacht: Aus einer isometrischen Perspektive klickt man sich durch eine Welt, unten rechts sieht man ein groß angelegtes UI, das eigentlich die meiste Zeit über wenig macht, aber halt dazu gehört. Und dann kann man sich per Tastendruck noch das ganze Zeug hervorheben lassen, mit dem man interagieren kann. Hier hört das Gameplay dann aber ehrlich gesagt auch schon auf, denn der Rest spielt sich im erzählerischen Teil als Visual Novel ab. Es gibt kein Kampfsystem und während der Dialoge steht eigentlich immer die Welt still. Man liest sich einfach durch die Welt. Ich hab es schon ein paar mal gesagt und sag es bestimmt auch noch mal, ich bin Fan von Disco Elysium und lese gerne, daher ist das an sich kein Minuspunkt. Aber richtig geil wird es hier leider auch nicht. Klar, Sovereign Syndicate gibt einem das Lippenbekenntnis Neues zu bieten, aber die Tatsache, dass Tarotkarten statt Würfeln verwendet werden, verkommt beispielsweise auf dem PC zur absoluten Nebensache, denn man sieht den Card Draw gar nicht, stattdessen kann man sich an einer Prozentanzeige orientieren, die einem beim Einschätzen hilft und direkt dafür sorgt, dass man vergisst, wie das Ergebnis zustande kommt. Und dass das ein Problem ist, ist an sich schon problematisch. Die Entwickler haben sich eigene Namen für die Eigenschaften ausgedacht, die sich an der Vier Säfte Lehre orientieren und so bei bestimmten Ereignissen Boni und Mali verleihen. Klingt etwas kompliziert, ist es aber leider in der Praxis aber überhaupt nicht, denn man kommt so beispielsweise in Situationen, in denen man vor eine Wahl gestellt wird. Das muss in einem Videospiel fast immer eine mehr oder weniger flexible, aber dennoch geschlossene Frage sein, denn schließlich kann das Spiel keine wirklich neue Situation erschaffen. Gelingt das schlecht, dann nennt man das im Rollenspieljargon „Railroading“. Wenn man es gut macht, dann hat man Disco Elysium oder den Genreprimus Baldurs Gate 3. Sovereign Syndicate hat man dann nicht, denn klar, man kann eine Wahl treffen, tatsächlich ändert sich aber nur ein wenig Flavourtext, es ist fast immer egal, ob man den Check überhaupt besteht. Wirklich wichtig wird das erst gegen Ende, wo die Wahlen dann auch wirklich das Ende beeinflussen können.

Das ist übrigens Gameplay @ Crimson Herring Studios

Grafik und Design – Blick in die Vergangenheit?

Grafik und Design sind bei Sovereign Syndicate leider echt ein Problem. Die Idee Fabelwesen, wie Zentauren und Zwerge mit einer Fantasy Version des Viktorianischen London zu vermengen ist zwar nicht völlig brandneu, aber als Szenario noch ziemlich unverbraucht und ehrlich gesagt auch bärenstark. Gleich der erste Spielercharakter Atticus Daley ist, anders als man bei dem Namen vermuten möchte, nämlich ein Minotaurus mit Zylinder und damit konzeptionell natürlich ein Hit. Leider sieht er ein wenig matschig und einfach so gar nicht, wie aus einem Videospiel aus dem Jahr 2024, aus. Und damit ist er in seiner Spielwelt in bester Gesellschaft, denn das ganze Game sieht nicht nur aus wie eine Hommage an die Vergangenheit, es sieht aus, als wär es tatsächlich aus einer anderen Zeit. Dabei ist es egal, ob es um die Animationen, die Charaktere, die Umgebung oder sogar die Menüs geht. Das ist total schade und nicht wirklich mit einem niedrigen Budget alleine zu erklären. Disco Elysium beispielsweise hatte einen ganz eigenen Art Style und wirkte durch seine fast Guache-artige Farbgebung absolut zeitgemäß. Und Sovereign Syndicate halt leider gar nicht. Da ist dann auch die eigentlich stabile Technik kein echter Trost. Warum sollte man auch lange Ladezeiten haben, wenn es praktisch keine Vertonung gibt? Ähnlich sieht es bei den Dialogen aus. Die sind halt irgendwie ganz gut, aber die Tiefe oder Schärfe der Feder ihres geistigen Wegbereiters erreichen die Entwickler von Crimson Herring Studios nur selten.

Fazit:

Sovereign Syndicate hat ein recht unverbrauchtes Setting und bringt mit dem Tarot-System auch etwas Abwechslung ins rundenbasierte Rollenspiel. Leseratten und die Alte Garde, die sich noch an Arcanum erinnert, machen hier nicht viel falsch. Aber man muss schon Genrefan sein, um bei Sovereign Syndicate über die erzählerischen und technischen Schwächen hinwegzusehen. Disco Elysium ist ein verdammt gutes, aber auch schwieriges Vorbild – das leider in allen Belangen nicht erreicht wird. Ich will die Rezension gar nicht als Verriss verstanden wissen, Sovereign Syndicate war cool, ist aber an allen Ecken noch spürbar ausbaufähig. Ich hoffe, dass Crimson Herring Studio für das nächste Projekt mehr Budget zur Verfügung haben, um auch bei den Schauwerten und bei den Spielmechaniken ranzuklotzen. Es steckt eine Menge Potential drin.

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Sovereign Syndicate [PC]

Grafik - 5.8
Story - 7.8
Technik - 7
Umfang - 8.5
Gameplay - 5

6.8

Es gibt viel Text in Sovereign Syndicate. Das ist beileibe nicht verkehrt, Rollenspielfans mit Leseaffinität werden ihren Spaß haben. Durch den Mangel an Gameplay verleitet Sovereign Syndicate aber leider so gar nicht dazu, über erzählerische und audiovisuelle Schwächen hinwegzusehen.

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