The Dark Pictures Anthology: Man of Medan für Nintendo Switch – Maritimer Horror nun auch für unterwegs?

Die in dem beschaulichen britischen Städtchen Guildford, Surrey beheimateten Supermassive Games sind mittlerweile unumstrittene Platzhirsche im Bereich von narrativen Horror-Spielen. Ihren Durchbruch haben sie zweifelsohne 2015 mit Until Dawn für die PlayStation 4 geschafft, welches zugleich die Blaupause für ihre episodische Dark Pictures Anthology Reihe (erschienen über Bandai Namco) und zuletzt den Backwood-Horror The Quarry (2K, Review hier) lieferte. Erstgenannte Anthologie wurde 2019 mit Man of Medan (PS4, Xbox One) gestartet – welches nun jüngst überraschend und quasi aus dem Nichts für Nintendos Hybrid-Konsole umgesetzt wurde. Wir haben uns die portable Fassung des maritimen Gruselschinkens näher angeschaut und wollen vor allem der technischen Performance auf dem Nintendo-Gerät „auf den Grund gehen“ (kleiner Wortwitz, höhö), aber auch klären, ob Man of Medan gerade im Vergleich zu anderen Supermassive Produktionen immer noch funktioniert.

Man of Medan Soldier

Im Prolog schlüpfen wir in die Rolle eines jungen Militärrekruten in der Mandschurei © Bandai Namco

College Horror auf hoher See

Ähnlich wie auch bei Until Dawn und The Quarry haben wir ein fünfköpfiges Figurentableau aus überwiegend jungen Menschen, die im Laufe der Handlung in eine potentiell tödliche Ausnahmesituation geraten. Und ähnlich wie in den genannten Spielen entsprechen die Figuren gängigen Stereotypen aus dem College Horror-Genre, das in den späten 90ern und frühen 00er Jahren florierte: Nach einem intensiven Prolog, der kurz nach dem zweiten Weltkrieg an Bord eines US-amerikanischen Kriegsschiffes in der Mandschurei spielt und in dessen Zuge die gesamte Besatzung angesichts vermeintlich übernatürlicher Phänomene stirbt, treffen wir erstmalig auf die Gruppe, die aus dem aktiven Paar Alex und Julia besteht, Alex‘ introvertiertem und geschichtsinteressierten Bruder Brad sowie Julias ebenso eitlen wie snobistischen Bruder Conrad. Das Grüppchen befindet sich inmitten der Weiten des südpazifischen  Ozeans an Bord der Duke of Medan und wird von der toughen Kapitänin Fliss begleitet. Konkret sind sie auf der Suche nach einem versunkenen Flugzeug aus dem zweiten Weltkrieg, das bislang ungeborgen war. Während Alex und Julia hinuntertauchen, um nach verborgenen Schätzen und Erkenntnissen zu tauchen, geraten Fliss und Conrad in einen Konflikt mit den einheimischen Fischern Danny, Junior und Olsen. Eine Begegnung, die schicksalhaft sein soll, denn entpuppen sich die Fischer später als Piraten, die auf der Suche nach mandschurischem Gold die Crew der Duke in Geiselhaft nehmen.

Kurator Man of Medan

Der zwielichtige Kurator führt uns durch die Handlung von Man of Medan © Bandai Namco

Im Laufe der Handlung kollidiert die Duke auf der nun tosenden See mit einem scheinbar verlassenen Militärfrachter, der SS Ourang Medan – Hierbei handelt es sich um das Schiff aus dem Prolog. Die Fünfergruppe, immer noch in der Hand der Piraten, geht an Bord des alten Kahns, nicht ahnend, dass sich der Seelenverkäufer für alle Parteien als pure Todesfalle entpuppt – denn die Gefahr, an der die einstige Crew zugrunde ging, ist immer noch an Bord.

Duke of Milan Man of Medan

Es beginnt alles friedlich an Bord der Duke of Milan… © Bandai Namco

Ähnlich wie bei The Quarry und Until Dawn (und eben auch Little Hope, House of Ashes und The Devil in Me) wird die fortlaufende multilineare Erzählung in einer episodischen Struktur erzählt, zusammengehalten durch den sogenannten zwielichtigen Kurator, der die vierte Wand durchbricht, uns als Spieler*innen direkt anspricht und unsere Handlungen und Entscheidungen kommentiert. Auch das ist ein fixes Trademark von Supermassive Games. Bei Until Dawn schlüpfte noch der schwedische Schauspieler Peter Stormare in die Rolle des ebenso undurchschaubaren Psychiaters und Analytikers Dr. Hill und bei The Quarry fiel diese Erzählerrolle der hexenhaften Wahrsagerin Eliza (verkörpert von Grace Zabriskie) zu. Das funktioniert bei der Dark Pictures Anthology Reihe ebenso und weckt Erinnerungen an Horrorformate wie X-Factor, Twilight Zone oder der Cryptkeeper aus Geschichten aus der Gruft.

Tagebuch Man of Medan

Das Mysterium des verlassenen Seelenverkäufers wird über Tagebucheinträge und Notizen erzählt © Bandai Namco

Die Geschichte von Man of Medan bringt einerseits ein unverbrauchtes maritimes Setting mit, das man so auch im Horror Bereich eher vereinzelt kennt, etwa durch Ghost Ship, The Ship oder Survival Horror-Spiele wie Cold Fear und Resident Evil Revelations, krankt auf der anderen Seite aber an den üblichen Supermassive Games-Altlasten: Die Charaktere sind weitgehend eher uninspiriert geschrieben und typische Genre-Archetypen, welche die Attribute proaktiv, tough, introvertiert, großmäulig und mutig mitbringen. Die Dramen, die Supermassive Games zwischen den Suspense-lastigen Gruselsequenzen inszeniert, sind im besten Falle nette Dreingabe, im schlechtesten Fall schlicht überflüssig. Was extrem spannend beginnt, zerfällt zum Schluss erzählerisch ein wenig – das war aber schon bei den geistigen Vorgängern und Nachfolgern so. Am besten gelang die Inszenierung der Handlung immer noch bei Until Dawn, die nachvollziehbarsten Charaktere hatte aber The Quarry. Bei Man of Medan fehlen mir hingegen ein bisschen die Sympathieträger*innen, die die Handlung tragen können. Dafür hat die Nintendo Switch-Fassung ein erweitertes Kapitel („Geflutet“) gegenüber dem Ur-Spiel, das die Klimax des Spiels sinnvoll ausbaut, ohne sich wie ein Fremdkörper anzufühlen.

Anspruchsvollere Reaktionsspielchen als bei den Nachfolgern

Der spielerische Kern jeder Supermassive Produktion bleibt weitgehend gleich – Wir wechseln zwischen den fünf Figuren (d.h. Alex, Julia, Conrad, Brad, Fliss) und erleben die Handlung aus der jeweiligen Perspektive – Unsere Handlungen wirken sich auf die Geschichte aus und bestimmen am Ende des Tages, wer die Geschichte überlebt und wer nicht. Unsere Aktionen und Reaktionen bestimmen das Verhältnis zwischen den Figuren, aber auch mit welcher Grundlage wir in bestimmte Situationen gehen. Die Aufnahme bestimmter Objekte wie etwa eines Messers kann beispielsweise dafür sorgen, dass wir bei der Konfrontation mit den Piraten bewaffnet sind, aber auch unter anderen Umständen zum Ableben bestimmter Hauptfiguren führen. Das Geheimnis des Frachters entspinnt sich durch Notizen, Briefe, Fotos aus der Vergangenheit, sodass es hinter dem vordergründigen Überlebenskampf der Gruppe noch eine weitere Handlungsebene gibt. Gemälde, die man betrachtet, schalten vage Visionen von wichtigen Momenten frei, die mitunter für besondere Achtsamkeit bei spezifischen Situationen sorgen kann.

Corpse Man of Medan

Man of Medan arbeitet mit besonderen fixen Kamerawinkeln, die Grenzen zwischen Realität und Wahn scheinen mit der Zeit zu verschwimmen. © Bandai Namco

Hauptindikator für die weitere Plotentwicklung sind neben den konkreten Entscheidungen auch die bekannten Quick Time Events, die in besonders intensiven Momenten zum Tragen kommen. Hier zeigt sich Man of Medan deutlich unbarmherziger als die Nachfolger und setzt ein ähnlich präzises Timing voraus wie damals Until Dawn. Das empfinde ich tatsächlich als dem Suspense-Gedanken zuträglich, kritisierte ich doch bei The Quarry noch, dass die QTEs extrem unanspruchsvoll sind und ein viel zu großes Zeitfenster lassen und man Charaktere teilweise wirklich bewusst sterben lassen muss. Bei der Switch-Fassung habe ich für mich selbst festgestellt, wie irritierend ich die Umstellung auf das Nintendo-eigene Button Layout empfand, sodass das tatsächlich zwei Charaktere beim ersten Spieldurchgang nur dadurch verstorben sind.

Es gibt neben der reinen Solisten-Option auch mehrere Mehrspieler-Funktionen, die mit ihren Stärken und Schwächen dem Original entsprechen. Größte Schwäche ist nach wie vor, dass der Koop-Modus nur Online verfügbar ist und eine separate Cartridge erfordert. Wie auch die anderen interaktiven Horror-Filme von Supermassive Games ist dieses Spiel quasi prädestiniert für heimeligen kooperativen Couch-Grusel, hier sabotiert sich das Spiel also selbst. Die Movie Night für bis zu fünf Mitspieler*innen, wo jeder der Reihe nach die Joycons wechselt, ist eine spaßige Sache, letztlich aber marginaler Ersatz für einen vollwertigen lokalen Koop.

Technische Umsetzung auf Nintendos Hybrid-Konsole

Dieser Abschnitt dürfte vermutlich der wichtigste dieser Besprechung werden, behandelt er doch dezidiert die Performance auf der Nintendo Switch. Tatsächlich ist Man of Medan auf der Nintendo Switch naturgemäß limitierter als auf den potenteren stationären Konsolen, grundsätzlich aber eine ziemlich beeindruckende Leistung, die für das grundsätzliche Spielgefühl nicht viele Federn lassen musste.

Supermassive Games waren von Anfang an ziemlich transparent, was die Bildwiederholrate auf der Switch angeht. Dabei ist Man of Medan hier auf (recht konstante) 24 FPS gelockt, was natürlich erstmal aufhorchen lässt. Die 24 FPS sind aber eine gute Kompromisslösung, denn bekanntlich ist das eine gängige Bildwiederholrate aus dem Kino. Da es sich bei Man of Medan explizit um einen filmisch inszenierten Titel handelt, fiel die reduzierte Wiederholrate gerade im Handheld-Modus kaum auf. Framerate-Einbrüche sind weitgehend sehr moderat gehalten, zum Ende hin, wenn viel auf dem Bildschirm passiert, der Sturm tost und die Action mitunter intensiver wird, gerät die Hardware aber durchaus ins Straucheln. Im Handheld-Modus empfand ich diese Ruckler als akzeptabel, im Docked-Modus auf dem Fernseher zeigte sich das Geschehen dann aber merklich abgehackter.

Man of Medan Hallway

Die Texturen wurden merklich runterskaliert, die Licht- und Schattenverhältnisse wurden aber gekonnt auf die Hybrid-Konsole übertragen © Bandai Namco

Festzuhalten ist aber, dass die Einbrüche in den seltensten (bis keinen) Fällen für misslungene QTEs sorgen. Der Titel zeigt sich präzise und reaktiv auf Spieler-Eingaben, was extrem wichtig für diese Art von Spiel ist.

Die Texturen sind im Vergleich zum Original natürlich deutlich runterskaliert – Gerade die Mimiken der Charaktere, von Supermassive üblicherweise via Motion Capturing sehr realistisch eingefangen, sehen hier deutlich mehr nach Videospiel aus und muten zwischenzeitlich ein bisschen „uncanny“ an. Dafür sind aber die Licht- und Schattenverhältnisse gut von den „großen“ Versionen übertragen worden. Auch hier gilt natürlich: Im mobilen Betrieb sieht das Spiel teilweise supergut aus, im Docked-Modus auf dem Fernseher sieht man die Abstriche signifikant deutlicher. Auditiv bietet das Spiel weitgehend denselben atmosphärischen Score wie das Original, und pendelt zwischen sinistren Ambient-Sounds und wuchtigen Arrangements in den Action-Passagen.

Piraten Angst Man of Medan

Auch die Piraten werden mit der Zeit von Furcht zerfressen © Bandai Namco

Aber nicht nur audiovisuell hat Supermassive den Titel deutlich angepasst: Es gibt jetzt neben dem Extra-Kapitel („Geflutet“ bzw. „Flooded“) auch Verbesserungen bei der UI und neu eingeführte Accessibility-Features wie beispielsweise einen „Single Action Button“, der im Zweifel die QTEs erleichtert oder anpassbare Schriftgrößen. Hier bin ich Supermassive ganz dankbar, dass man keinen schnöden Port für die Switch hingeklatscht hat, sondern sich tiefergehende Gedanken bei der Portierung gemacht hat.

Gutes Preis-/Leistungsverhältnis

Man of Medan funktioniert also summa summarum ohne große Abstriche auf der Switch und bietet auch Anno 2023 mit den erwähnten Down- und Upgrades ein schönes heimeliges Gruselvergnügen. Gerade die Möglichkeit, das Spiel ganz gemütlich unter der Bettdecke zu zocken war für mich eine willkommene Art und Weise, das Spiel nachzuholen. Passend dazu find ich die Preisgestaltung extrem fair: Derzeit kostet das Spiel im Nintendo eshop 19,99 EUR und entspricht damit in etwa dem aktuellen Preis des Originals. Oft genug sind ja auch die Ports für Switch deutlich teurer, im englischsprachigen Raum wird gerne von der sogenannten „Switch Tax“ gesprochen. Insofern ist es erfreulich, dass man als Switch User Man of Medan für einen modernen Einstiegspreis zocken kann.

Fazit:

Der erste Teil der Dark Pictures Anthology von Supermassive Games ist quasi aus dem Nichts für Nintendos Hybrid-Konsole erschienen. Inhaltlich funktioniert der maritime Horror auch heute noch recht gut und portiert die cineastische Erfahrung bestmöglich auf die betagte Hardware der Switch. Die Geschichte vereint die üblichen Stärken und Schwächen der Supermassive-Formel, die zuletzt bereits bei The Quarry und The Devil in Me präsent waren, wirkt aber trotzdem immer noch erfrischend, gerade wenn man was mit Horror-Filmen wie Ghost Ship anfangen kann. Die Switch-Version läuft mit runterskalierten Texturen und einer reduzierten Bildwiederholrate von 24 FPS, die aber dank der filmischen Inszenierung nicht so sehr ins Gewicht fällt. Generell ist die Portierung aber eine beeindruckende Leistung und wenngleich Man of Medan auf der Switch nicht die bestmögliche Version des Spiels ist: Supermassive Games haben sich viel Mühe gegeben und bieten zum wirklich fairen Preis von 19,99 EUR einige spürbare Verbesserungen: Ein zusätzliches Kapitel („Geflutet“), angepasste UI und moderne Accessibility-Features, die beim Urspiel noch nicht dabei waren. Insofern dürfen reine Switch-User mit Horror-Faible gerne zugreifen.

 

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Man of Medan [Nintendo Switch]

 

The Dark Pictures Anthology: Man of Medan [Nintendo Switch]

Grafik - 8
Story - 6.5
Technik - 7.5
Umfang - 7
Spielspass - 7.5

7.3

Technisch beeindruckender Port von Man of Medan für die Nintendo Switch. Durch die technischen Limitierungen zwar nicht die beste Erfahrung, das Spiel zu erleben, dennoch funktioniert der maritime Horror auch auf der Nintendo Hybrid-Konsole ganz gut.

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