Game Review: Clair Obscur: Expedition 33 für PlayStation 5 – Moderner Klassiker, der in Teilen die Videospielindustrie entlarvt

Ich muss gestehen, mit Blick auf Clair Obscur: Expedition 33 war ich von Anfang an ein bisschen gehypt – ich bin grundsätzlich Fan von frischen IPs und als das Ding erstmalig auf einem Xbox Games Showcase im vergangenen Jahr gezeigt wurde, war ich ziemlich direkt Feuer und Flamme für den Titel des jungen französischen Studios Sandfall Interactive, welches in Montpellier beheimatet ist.

Das lag an mehreren Gründen: Der Trailer verwies bereits im Enthüllungstrailer direkt auf In-Game Material und nicht nur reine Rendersequenzen: Und das Gezeigte sah brachial gut aus. Das französische Studio hat sich schon früh eine ganz eigene Handschrift angeeignet – das Art Design von Clair Obscur oszilliert zwischen dem stilisierten Steampunk- und Victorian Age-inspirierten Look eines Dishonored, ist dabei aber deutlich surrealer und farbenfroher, orientiert sich in der Hinsicht an Architektur und Figurendesigns, die man mit der französischen Belle Époque verbindet.

Die Kampfsequenzen wirken hingegen klar dem JRPG-Genre entlehnt. Die rundenbasierten Kämpfe scheinen einerseits in Bezug auf die stylishen User Interfaces und die Stabübergabe-Mechanismen von den neueren Persona-Titeln inspiriert, das rhythmische Element beim Einsatz von Fähigkeiten sowie bei Parier- und Ausweich-Manövern erinnert hingegen angenehm an Lost Odyssey.

Clair Obscur: Expedition 33 thematisiert das Thema Verlust auf eindringliche Weise. Hier sehen wir Gustave und seine große Liebe Sophie bei der Gommage. Schon bald wird sie ins Nichts entschwinden. © Sandfall Interactive© Kepler Interactive

Clair Obscur: Expedition 33 thematisiert das Thema Verlust auf eindringliche Weise. Hier sehen wir Gustave und seine große Liebe Sophie bei der Gommage. Schon bald wird sie ins Nichts entschwinden. © Sandfall Interactive
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Kurzum: Clair Obscur: Expedition 33 schien westliche und östliche Einflüsse in gänzlich frischer Weise neu zu arrangieren, und sah in den ersten Trailern derart hervorragend aus, um wirklich Vorfreude zu wecken. Als ich dann später die mehrstündige Demo in der PC-Fassung antesten durfte, wurde diese noch weiter angeregt, denn hier funktionierte wirklich alles.

Mittlerweile ist Clair Obscur: Expedition 33 seit dem 24. April 2025 draußen, hat sich in der Zwischenzeit extrem gut verkauft (1 Mio. abgesetzte Einheiten in nur 3 Tagen, mittlerweile über 3 Mio. verkaufte Einheiten) und wurde derartig gut bewertet (Metacritic-Score: 92, User-Score liegt sogar bei 9.7), dass es das Zeug zum modernen Klassiker hat.

Ein letzter Abschied... visuell eindrucksvoll bebildert © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Ein letzter Abschied… visuell eindrucksvoll bebildert
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Ich muss hier einleitend gar nicht die übliche rhetorische Frage stellen, ob das Spiel was kann. Das Spiel ist nämlich durchweg fantastisch. Ich will aber gleichzeitig darauf eingehen, warum das Ding mit so manchem AAA-Titel der großen Publisher den Boden aufwischt, warum das Spiel ein solides Zeichen gegen den grassierenden Preiserhöhungswahn und wie das Internet hier krasse Talente zusammengebracht hat.

From Reddit With Love – Wie sich Sandfall Interactive im Zuge der Covid-Pandemie zusammen fand und warum Clair Obscur: Expedition 33 die Videospielindustrie entlarvt

Die Geschichte von Sandfall Interactive ist absolut bemerkenswert, weil sie auf der Plattform Reddit ihren Ursprung hat. Und auch die Größe des Studios ist beachtlich, besteht es doch aus gerade mal 30 kreativen Köpfen, die hinter Clair Obscur stecken. Die hier verwerteten Informationen stammen größtenteils aus dem BBC Interview, sind insofern auch Teil eines spezifischen Underdog-Narrativs – nichtsdestotrotz ist Clair Obscur, zusammen mit Titeln wie Baldur’s Gate 3, ein maßgebliches Zeichen dafür, dass es eben NICHT umfangreiche Marketing-Analysen, Investorenbedürfnisse, dauermonetarisierende Games-as-a-Service Formate und aufgeblähte Teams sind, die ein Spiel zum Erfolg werden lassen, sondern in erster Linie kreativer Geist, Leidenschaft und ein Händchen für gute Geschichten.

Die Geschichte der Clair Obscur-Entwicklung nimmt 2020 ihren Lauf, auf dem Zenit der Covid-Pandemie. Guillaume Broche, der Creative Director hinter Clair Obscur, arbeitet zu diesem Zeitpunkt bei Ubisoft und ist, nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Lockdowns, gelangweilt von seinem Job. Er entwickelt die Idee für ein eigenes Projekt, ein Rollenspiel, das von seinem Kindheits-Favoriten Final Fantasy inspiriert ist. Diese Vision wird allerdings bekanntlich nicht bei Ubisoft umgesetzt. Stattdessen beginnt die Story von Sandfall Interactive bei Reddit.

Der Abend vor dem Aufbruch der Expedition 33: Gustave hat hier nur noch ein Jahr zu leben, die Expeditionsteilnahme ist sein Dienst an der Gesellschaft. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Der Abend vor dem Aufbruch der Expedition 33: Gustave hat hier nur noch ein Jahr zu leben, die Expeditionsteilnahme ist sein Dienst an der Gesellschaft.
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Broche postet ein Gesuch in einem entsprechenden Subreddit – er sucht Sprecher*innen, die kostenlos etwas für eine Demo einsprechen. Ein Gesuch von vielen auf der Plattform. Doch tatsächlich antwortet Jennifer Svedberg-Yen auf diesen Post, die sich zeitgleich im Lockdown in Australien befindet. Sie sendete ihm eine Demo Audition und erhielt die Zusage. In einer frühen Version des Spiel sollte sie eine der Hauptfiguren vertonen.

Doch es kam anders. Stattdessen wurde sie schließlich die Lead Autorin des Spiels. Ein glücklicher Zufall, denn die mitreißende, komplexe und emotionale Story von Clair Obscur ist eine tragende Säule des Spiels. Aber auch die anderen Teammitglieder wurden auf ähnlich unkonventionellen Wegen gefunden.

Der wirklich grandiose orchestrale Soundtrack stammt von dem Musiker und Komponisten Lorien Testard, der zuvor keine Erfahrung mit Videospielproduktionen vorweisen konnte und den das Team über soundcloud ausfindig machte. Der hat mit seinen episch-chansonesquen Klängen, die auch immer ein bisschen den Yann Tiersen-typischen Pathos mitschwingen lassen, ein Brett von einem Soundtrack kreiert.

In der Zwischenzeit wurde Sandfall Interactive ein ausgewachsenes Studio, aus ursprünglich 6 Köpfen wurden in der Zwischenzeit 30. Es wurde ein Vertrag mit dem britischen Publisher Kepler Interactive geschlossen, die das Spiel natürlich mitfinanzierten und zudem das Mitwirken durchaus namhafter Schauspieler*innen wie Charlie Cox, Andy Serkis sowie den Videospiel-Veteran*innen Jennifer English und Ben Starr ermöglichten. Nichtsdestotrotz betont Jennifer Svedberg-Yen, dass das Kernteam sich trotz spezifischer Funktionen im Team immer wieder auch „andere Hüte“ aufziehen musste. So hat sie, obwohl primär natürlich Autorin, teils auch Lokalisierungsarbeit geleistet.

Jennifer betonte, dass Broche grandios darin sein, talentierte Leute um sich zu versammeln. Und auch Broche selbst betont den immens hohen Stellenwert der Team-Arbeit: „Wir haben, so denke ich, ein grandioses Team, das größtenteils aus Junior-Entwickler*innen besteht, aber sie sind so unglaublich investiert in das Projekt und so talentiert.“

Und hier denke ich mir: Wir wissen als Außenstehende natürlich nicht ganz, unter welchen Umständen die Anfänge von Clair Obscur finanziert wurden, aber die Tatsache, dass hier ein extrem talentiertes und vor allem auch junges Team mit überschaubarer Größe ein solch bildgewaltiges, und dabei auch spielmechanisch wertiges Projekt stemmt, in Kooperation mit einem eher kleinen Indie-Publisher wie Kepler, da darf man auf jeden Fall aufhorchen. Und es lässt sich feststellen, dass Ubisoft, EA und Konsorten mit ihren dreistelligen Millionen-Budgets und mehreren Studios, die an einem Spiel werkeln, vielleicht einfach relativ ineffizient arbeiten.

Es wirkt befremdlich, wenn die Videospielindustrie den Konsument*innen vermitteln will, warum Blockbuster-Spiele künftig 90 EUR und mehr kosten sollen. Aktuell leistet das kommende Mario Kart World mit seinem kontroversen 90 EUR-Preisetikett Pionierarbeit, Nintendo will hier ein Dynamic Pricing mit Production-Value Relation einführen, und Gerüchten zufolge soll ein Grand Theft Auto VI um die 100 EUR kosten.

Dann aber kommt ein extrem poliertes, erzählerisch schwergewichtiges, audiovisuell starkes und spielmechanisch durchdachtes Game wie Clair Obscur daher und verlangt für dieses liebevolle Machwerk den Launch Preis von 49,99 EUR – wer wundert sich da nun, dass sich ein solcher Titel mittlerweile über 3 Mio. mal verkauft hat, und dass 10 Mio. abgesetzte Einheiten durchaus absehbar sind? Für Kepler dürfte sich das Vertrauen durchweg gelohnt haben.

Insofern ist Clair Obscur: Expedition 33 neben Titeln wie zuletzt Split Fiction auch hoffentlich ein Industrie-Game Changer, der zeigt, dass da ein Markt für unique Ideen besteht, die zu bezahlbaren Konditionen an die Spieler*innen gebracht werden.

Der gemalte Tod – eine melancholische Erzählung über Verlust und Hoffnung

Die Story Prämisse von Clair Obscur: Expedition 33 ist vergleichsweise schnell erklärt und trotzdem existenzialistisch: Der Titel spielt in einer Welt, die sich an der französischen Belle Époque orientiert, also einer geschichtlichen Periode, die zwischen 1871 und dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 verortet wird und die von Optimismus und Fortschrittswille geprägt war. Der Optimismus der Bevölkerung in Lumière, einem isolierten Eiland, hält sich aber in Grenzen. Denn Jahr für Jahr werden die Menschen dort von der sogenannten „Gommage“ heimgesucht – ein Ereignis, bei dem eine scheinbar überirdische Entität, welche als „Die Malerin“ bezeichnet wird, hinter dem Meer eine Ziffer auf einen gewaltigen Monolith malt. Mit der Kennzeichnung beginnt ein Countdown für diejenigen im Alter der entsprechenden Zahl, ab dem Zeitpunkt haben sie noch ein Jahr zu leben, ehe sie ins Nichts entschwinden. Jahr für Jahr wird die Zahl niedriger und die Sterbenden somit jünger. Die Gommage wird in Lumière als Fest des Verlustes gefeiert, ein Abschied von den Geliebten.

Die Malerin - eine gottgleiche Entität - malt Jahr für ein Jahr eine Zahl auf den Monolithen. Für diejenigen im Alter der aufgemalten Zahl beginnt ein Countdown. Sie haben dann nur noch ein Jahr zu leben. © Sandfall Interactive
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Die Malerin – eine gottgleiche Entität – malt Jahr für ein Jahr eine Zahl auf den Monolithen. Für diejenigen im Alter der aufgemalten Zahl beginnt ein Countdown. Sie haben dann nur noch ein Jahr zu leben.
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Seit 67 Jahren findet dieses Phänomen statt. Die Ältesten der Gesellschaft sind zu Beginn gerade einmal 33 Jahre alt, unter ihnen Sophie, die große Liebe und Ex-Partnerin unseres 32-jährigen Helden Gustave (gespielt von Charlie Cox, der aber eher nach Robert Pattinson ausschaut). Sie wird am Tag der Gommage unwiderruflich verschwinden und ihn wird in einem Jahr dasselbe Schicksal ereilen.

Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass mit der Beseitigung der Malerin der Zyklus ein Ende nimmt und dass Lumière so eine Zukunft aufrecht erhalten kann. Jedes Jahr wird deshalb eine Expedition entsandt, mit dem Ziel, die Malerin zu töten, bevor sie eine neue Ziffer an den Monolithen pinselt. Die namensgebende Expedition 33 ist die aktuellste Delegation, die hinter das Meer, auf eine ebenso rätselhafte wie menschenfeindliche Terra Incognita entsandt wird.

Als die Expedition an Land geht, verläuft bereits der Auftakt absolut desaströs. Ein mysteriöser alter Mann taucht auf und schlachtet das Team regelrecht ab. Gustave ist der Verzweiflung nahe und versucht sich kurz darauf das Leben zu nehmen, nur um im letzten Moment von seiner Expeditionsgenossin Lune (Kirsty Rider) gefunden zu werden. Nach eine hitzigen Diskurs finden die beide Hinweise auf den Verbleib von Maelle (Jennifer English), der jüngsten freiwilligen Expeditionsteilnehmerin. Obwohl Lune hier eine Falle wittert, sieht Gustave hier eine besondere Dringlichkeit in der Angelegenheit, ist Maelle doch seine Ziehtochter. Und auch die Kämpferin Sciel (Shala Nyx) wird im Laufe des Abenteuer Teil der Crew. Sie durchqueren fremdartige, surreal verzerrte Lande – gehisste Flaggen deuten auf die Präsenz früherer Expeditionen hin – die von den sogenannten Nevronen, geheimnisvollen Kreaturen, bevölkert werden, die in der Regel feindselig sind.

Die Expedition zur Beseitigung der Malerin beginnt verheerend. Ein alter Mann, der eigentlich nicht existieren dürfte, taucht auf und nimmt die Crew komplett auseinander © Sandfall Interactive
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Die Expedition zur Beseitigung der Malerin beginnt verheerend. Ein alter Mann, der eigentlich nicht existieren dürfte, taucht auf und nimmt die Crew komplett auseinander
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Doch die Expedition bekommt auch unverhoffte Hilfe von nicht-menschlichen Wesen wie dem mythischen Wesen Esquie, mit dessen Hilfe wir auch die Meere ohne Boot überqueren können, dem Gestral Monoco, der die Gestalt eines Nevrons annehmen kann, und dem mysteriösen Fremdling Verso, der über die Expedition zu wachen gedenkt und anscheinend deutlich älter ist, als er den Anschein macht. Und auch eine bedrohlich wirkende Entität, die als Kurator vorgestellt wird, wird zu unserem passiven Mitstreiter. Die zentrale erste Frage der Expedition lautet zunächst nicht, wie die Malerin zu beseitigen ist, sondern wer der alte Mann ist, und warum er trotz Gommage so lange hat überleben können.

Gustave ist verzweifelt und versucht sich das Leben zu nehmen. Zum Glück wird er im letzten Moment von Lune gefunden. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Gustave ist verzweifelt und versucht sich das Leben zu nehmen. Zum Glück wird er im letzten Moment von Lune gefunden.
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Die Geschichte, die aus Prolog und drei Akten besteht, ist nicht nur tieftraurig und emotional, sondern auch unverhofft reich an Plot Twists, die mit Wucht in die Magengrube schlagen und nicht nur einmal einen Kloß im Hals hinterlassen. Ab einem gewissen Zeitpunkt bekommt die Story dann noch eine zweite Ebene, die eröffnet wird und für viele „Oha“-Momente sorgt.

Wir kämpfen gegen die sogenannten Nevronen in rundenbasierter Manier. Das UI wirkt klar Persona 5-inspiriert. Es gibt allerdings einen fordernden Echtzeit-Einschlag, der präzises Timing erfordert. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Wir kämpfen gegen die sogenannten Nevronen in rundenbasierter Manier. Das UI wirkt klar Persona 5-inspiriert. Es gibt allerdings einen fordernden Echtzeit-Einschlag, der präzises Timing erfordert.
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Das Writing ist phänomenal. Sowohl das von seinen kunstgeschichtlichen Einflüssen geprägte World Building, die emotional greifbaren Charaktere, die einzigartige Fantasy-Komponente mit wundersamen Wesen wie dem kampflustigen Pinsel-Volk der Gestrale sind eine Klasse für sich. Und obwohl der angeschlagene  Ton ähnlich melancholisch ist wie bei Yoko Taros NieR-Reihe oder zuletzt Stellar Blade (Review hier), platziert das Spiel auch immer wieder humorige und herzerwärmende Momente. Dadurch, dass die (starken) weiblichen Charaktere hier auch weniger sexualisiert werden als bei den oben genannten koreanischen und japanischen Produktionen, konnte ich mit den Charakteren aus Clair Obscur ein bisschen mehr anfangen. Erzählerisch dürfte das Spiel einer der stärksten Titel des Jahres werden und ich könnte mir vorstellen, dass mit dem aktuellen Hype, die Streaming-Dienste á la Netflix, Amazon und co. durchaus schon nach einer Serienumsetzung lechzen.

Komplexe, rundenbasierte JRPG-Kost mit fordernden Echtzeit-Elementen

Clair Obscur: Expedition 33 ist natürlich eine Liebeserklärung an das traditionelle japanische Rollenspiel – zwar sollte vor allem Final Fantasy eine zentrale Inspirationsquelle sein, aber man kommt nicht umhin zu bemerken, dass auch Persona 5 (Royal) hier starker Einfluss gewesen ist.

Beim mysteriösen Kurator können wir mit Chroma Katalysatoren unsere Waffen aufwerten und unsere Lumina-Punkte aufwerten.© Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Beim mysteriösen Kurator können wir mit Chroma Katalysatoren unsere Waffen aufwerten und unsere Lumina-Punkte aufwerten.
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Wir haben also im Grundsatz ein rundenbasiertes Rollenspiel vorliegen, in welchem es keine zufälligen Begegnungen mit den Nevronen gibt, stattdessen sehen wir die obskur designten Monster in den Arealen umherwandeln und können im Bedarfsfall Kämpfe vermeiden. Ähnlich wie in Persona können wir Gegner aus dem Sprint heraus angreifen, und somit einen „Erstschlag“ generieren. Wenn Gegner uns hingegen auf der Map entdecken, laufen sie aber auch gerne hinterher. Im Falle, dass uns die Kreaturen einholen, haben diese naturgemäß den ersten Zug.

Sobald der Kampf initiiert wird, wechselt das Spiel in einen separaten Kampfbildschirm. Hier lässt sich dann auch tatsächlich nicht ohne weiteres pausieren. Die aktive Party besteht aus drei Expeditionsmitgliedern aus insgesamt sechs verfügbaren Charakteren. Wenn die Main Party im Kampf fällt, und wir weitere Crewmember in Petto haben, kann sich die nachrückende Reserve die Zähne am Kampf ausbeißen.

Hier befinden wir uns im versteckten Dorf der pinsel-köpfigen Gestrale, eine freundliche, aber hitzköpfige Spezis. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Hier befinden wir uns im versteckten Dorf der pinsel-köpfigen Gestrale, eine freundliche, aber hitzköpfige Spezis.
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Unser Handlungsspielraum pro Zug ist an Aktionspunkte gekoppelt. Standardangriffe generieren Aktionspunkte, ebenso erfolgreiche Paraden, die in mehrfacher Abfolge zudem einen besonders verheerenden Konterangriff ermöglichen. Wenn Paraden zu riskant erscheinen, kann man etwas einfacher ausweichen, erhält dann aber keine Boni. Fähigkeiten und Elementarzauber verbraten hingegen AP. Zudem können wir, ähnlich wie in Persona, Schusswaffen nutzen, um auf konkrete Schwachpunkte, die häufig über Lichtpunkte markiert sind, zu zielen. Auch das braucht jeweils mehrere Aktionspunkte auf, sodass das Handlungsrepertoire dann eingeschränkt bleibt. So weit, so klassisch.

Natürlich gibt es auch entsprechende Typ-Affinitäten und -Schwächen. Die werden von unseren ausgerüsteten Waffe bestimmt, die sich auch beim Kurator hochleveln lassen.

Clair Obscur arbeitet mit einem recht interessanten System, das auf sogenannten Pictos und Luminas beruht, und mit denen sich dann doch vergleichsweise umfangreiche Charakter-Builds schaffen lassen und das gleichermaßen flexibel wie komplex ist.

Die freundliche mythische Kreatur Esquie wird später unser Fortbewegungsmittel. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Die freundliche mythische Kreatur Esquie wird später unser Fortbewegungsmittel.
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Pictos sind externe Objekte, die sich in je drei Slots pro Charakter legen lassen. Die Pictos statten unsere Party mit Fähigkeiten und passiven Eigenschaften aus. Am ehesten dürften sie konzeptuell von den Substanzen bzw. Materia aus Final Fantasy 7 beeinflusst worden sein. Beispielhafte Fähigkeiten sind neben Elementar-Immunitäten auch so Geschichten wie „Automatisch Gepanzert“, das unsere Party zu Beginn mit mehreren Panzerungen versieht,  oder „Beflügelndes Parieren“ – hier sorgen erfolgreiche Paraden für Buffs, die unsere Standardangriffe verstärken. Es gibt auch risikobehaftete Pictos: Das Pictos „Selbstsicher“ etwa reduziert den einkassierten Schaden zwar um 50 %, dafür lässt sich der ausgestattete Charakter weder mit „Heilfarben“-Fähigkeiten, noch Gesundheitstränken heilen. Doch nicht nur die Fülle an Pictos sorgt für Abwechslung, sondern auch das damit verknüpfte Lumina-System: Denn sobald wir mit einem Pictos erfolgreich vier Kämpfe bewältigt haben, wandert die Fähigkeit des Pictos in den dauerhaften Pool, welcher der kompletten Party zur Verfügung steht, und im Austausch gegen sogenannte Lumina-Punkte beliebig aktiviert und deaktiviert werden kann. Das System klingt vielleicht auf dem Papier recht einfach, ist aber ungemein komplex.

Willkommen zum nervigsten Mini Game der letzten paar Jahre: Das Gestral Beach Volleyball Spielchen ist einfach purer Frust und ultraschwer. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Willkommen zum nervigsten Mini Game der letzten paar Jahre: Das Gestral Beach Volleyball Spielchen ist einfach purer Frust und ultraschwer.
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Abgesehen davon spielen sich aber auch die individuellen Charaktere in der Party immer leicht anders: Gustave ist etwa mit einem mechanischen Arm ausgestattet, den wir im Verlauf des Kampfes aufladen können (bis zum Wert von 10/10), um dann die „Überladen“-Fähigkeiten auszuführen, die verheerenden Schaden anrichtet, und einen „Bruch“ beim Gegner provoziert, der diesen betäubt und eine Runde aussetzen lässt. Bei Lune werden über Fähigkeiten sogenannte Pigmente heraufbeschworen, die Elementarladungen entsprechen. Mit den Pigmenten werden dann wiederum andere Elementarfähigkeiten verstärkt. Maelles Kampf ist haltungsbasiert, es gibt eine Angriffshaltung, eine Verteidigungshaltung und die sogenannte Virtuoso-Haltung, die wir ebenfalls über unsere Angriffe einnehmen können. Auch die anderen Charaktere wie Verso und Sciel haben natürlich ihre ganze eigenen Mechaniken. Aber die Kombination aus dem Picto- und Lumina-System und den charaktereigenen Trademarks im Kampf sind einfach extrem befriedigend.

Eine weitere Tragsäule ist das Ausweich- Parier- sowie das Quick Time-basierte Angriffssystem, das wohl vor allem von Broches‘ Liebe zur Devil May Cry-Serie geschuldet ist (immerhin hat er einige beeindruckende No Damage-Videos auf seinem privaten YouTube Kanal veröffentlicht). Dieses ergänzt das eigentlich rundenbasierte System um einen starken Echtzeit-Einschlag, der einerseits an das Ring-System von Lost Odyssey erinnert, andererseits etwas sehr rhythmusbasiertes an sich hat. Denn die Angriffe der Widersacher sind in der Regel verheerend, es gilt hier also immer im passenden Moment auszuweichen, oder noch besser zu parieren – denn das bringt AP und bei mehrfachem Gelingen besonders starke Konterattacken. Das Zeitfenster für Ausweich- und Pariermanöver ist klein, und wir müssen gleichzeitig auf visuelle als auch akustische Hinweise achten. Auch wenn wir unsere eigenen Fähigkeiten spielen, dann können wir diese mit erfolgreichen Quick Time-Reaktionen verstärken.  Das ist in jedem Falle fordernd und auch der Kampf gegen vermeintlich einfache Gegner kann durchaus bei mangelnder Konzentration fehlschlagen. Der Schwierigkeitsgrad von Clair Obscur ist nicht ohne und einige Kämpfe können durchaus frustrierend sein, weitgehend ist die Lernkurve aber fair gesetzt, sodass das Spiel nie unmöglich schwer wirkt. Dennoch ist der Schwierigkeitsgrad etwas, was potentielle Interessent*innen auf dem Schirm haben sollten.

Im späteren Verlauf werden neue Konter-Mechaniken wie der verheerende Gradient-Konter eingeführt. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Im späteren Verlauf werden neue Konter-Mechaniken wie der verheerende Gradient-Konter eingeführt.
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Obwohl Clair Obscur nämlich beileibe kein Soulslike ist, erinnert es partiell durchaus an das Genre, oder aber an das parierlastige Hack and Slay-Gameplay von Stellar Blade, dazu aber später noch mehr, wenn es um die Level-Architektur geht.

Lineare Abschnitte mit vielen optionalen Verzweigungen und eine offene Hub Welt

Clair Obscur: Expedition 33 setzt neben emotional mitnehmender Story und forderndem Kampf mit komplexen Mechaniken auch auf Exploration der surrealen, farbenfrohen Welt. Dabei orientiert sich das Spiel auch an den JRPGs der 90er und 2000er Jahre, erinnert zuweilen in seinem Aufbau aber auch an Stellar Blade.

Es gibt schlauchige Abschnitte, die zwar grundsätzlich linear aufgebaut sind, die aber trotzdem exploratives Free Roaming ermöglichen, und in ihren vielen Verzweigungen noch optionale Geheimnisse und Bosse enthalten. Diese Zonen sind häufig einem bestimmten Thema untergeordnet: Die „Fliegenden Gewässer“ etwa wirken, als sei man in einer aquatischen Unterwasser-Welt, mit dem Himmel als Wasseroberfläche, aber einer regulären Gravitation. Das „Vergessene Schlachtfeld“ wirkt tatsächlich wie eine unwirtliche in Brauntönen gehaltene Zwischenwelt, in welcher die Grausamkeiten der Schlacht konserviert worden sind. Überall finden sich auch Hinweise auf die Schicksale vergangener Expeditionen, ihren jeweiligen Stärken und Schwächen.

Immer wieder gibt es subtil platzierte Nebenquests - etwa von weiß getünchten Nevronen, die uns merkwürdigerweise nicht feindlich gesonnen sind. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Immer wieder gibt es subtil platzierte Nebenquests – etwa von weiß getünchten Nevronen, die uns merkwürdigerweise nicht feindlich gesonnen sind.
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Eine Ähnlichkeit zu Stellar Blade und zum Soulslike-Genre lässt sich dadurch begründen, dass wir unsere Fähigkeiten- und Attributpunkte nicht unmittelbar nach Levelanstieg ausweiten und erhöhen können, sondern nur an fixen Punkten. Die gehissten Flaggen vergangener Expeditionen gelten als Lager und Schnellreisepunkte innerhalb der Map, in denen wir uns ausruhen können, in denen wir unsere Charaktere und die umfangreichen Skilltrees bearbeiten können und in denen wir unsere Vorräte an Heil- Wiederbelebungs- und Aktionspunkt-generierenden Tränken aufstocken können. Zugleich sind sie natürlich auch Speicherpunkt, aber hier zeigt sich das Spiel deutlich barmherziger als die o.g. Vertreter.

Haben wir die Nevronen auf der Map beseitigt, sind sie auch erstmal weg. Sie respawnen allerdings dann, sobald wir uns an einem Expeditionspunkt regeneriert haben. Hier lassen sich also klare Parallelen zu Stellar Blade, Star Wars: Jedi Fallen Order und co. erkennen.

Zudem lassen sich überall in den einzelnen Zonen kleine subtil platzierte Nebenquests finden. Mal sind es merkwürdig gestimmte, weiß getünchte Nevronen, die aus irgendeinem Grunde nicht feindlich gesonnen sind, und die auf der Suche nach bestimmten verloren gegangenen Objekten sind. Mal sind es merkwürdige Schemen von Menschen, deren Gommage anscheinend nicht abgeschlossen ist. Und auch verschollene Gestrale müssen wir wiederfinden. Belohnt werden wir mit nützlichen Dingen wie starken Pictos, Chroma, Lumina-Punkte oder neuen Waffen, manchmal sind die Belohnungen aber auch kosmetischer Natur, etwa neue Kostüme und Frisuren für unsere Charaktere.

Hier wiederum bleibt Clair Obscur auf seine Weise sperrig: In den Zonen gibt es keine Möglichkeit auf Kartenmaterial zurückzugreifen. Auch Automapping findet hier nicht statt. Damit soll vermutlich der Terra Incognita-Gedanke der Expedition aufrechterhalten werden, unten wird lediglich ein klassischer Kompass angezeigt. Und auch die Nebenquests werden weder über Questmarker, noch über ein Questlog festgehalten. Man muss sich schlicht an sie erinnern. Das ist aber definitiv kein Versäumnis, sondern konkrete Designentscheidung, die für mich auch wirkt.

Zudem beinhaltet Clair Obscur das wohl nervigste und härteste Mini Game der letzten Jahre: Auf einer Gestral-Insel gibt es das sogenannte Gestral Beach Volleyball Mini Game – dort schleudert der gegnerische Gestral von einem Floß aus Baby-Gestrale als Geschosse auf unser Floß. Ziel ist es, die Geschosse via R1 passend getimt zurückzuschleudern. Beide Parteien haben eine fixe Anzahl an Lebenspunkten, die bei Treffern runterreduziert werden. Während der leichteste und mittlere Schwierigkeitsgrad noch irgendwie machbar sind, das Spiel fordert hier wirklich exakte Eingaben, ist der härteste Schwierigkeitsgrad einfach nur kompletter Abfuck. Es wirkt beinahe, als hätten die Entwickler das Ding nicht getestet. Es ist SOOO VERDAMMT SCHWER. Ich habe locker 50-70 Anläufe gebraucht, bis ich das Ding gepackt habe. Wer nun glaubt, dass dafür eine Trophy winkt, der irrt. Als Belohnung gibt es ein retroeskes Badeanzug-Kostüm für Sciel. Immerhin muss man für den Fanservice hier was tun.

Wir können die Fähigkeiten der umfangreichen Skilltrees an den Expeditionsflaggen ausbauen. © Sandfall Interactive
© Kepler Interactive

Wir können die Fähigkeiten der umfangreichen Skilltrees an den Expeditionsflaggen ausbauen.
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Eine weitere Parallele zu Persona 5 hingegen sind die sogenannten Petanks – Das sind Leuchtkugel-artige Spezialgegner, die vor uns flüchten. Sobald wir sie in die Ecke treiben, in der Regel gibt es hier einen farblich markierten Spot, wird der Kampf initiiert. Die Petanks sind extrem zäh und fliehen zudem nach einigen Runden. Beim Erlegen geben sie aber extrem wertvollen Loot ab.

Die Petanks sind einerseits eine typisch französische Referenz, nämlich auf das Spiel Pétanque als Unterart des Boule-Sports. Andererseits sind sie ganz klar an die Treasure Hands aus der Persona-Reihe angelehnt, die ein ähnliches Verhaltensmuster aufzeigen, und ebenfalls viel Beute bei einem Sieg erbringen.

Sobald wir uns außerhalb der linear aufgebauten Zonen bewegen, wird die Welt über eine Oberwelt als Hub zusammengehalten. Hier lassen sich auch optionale Areale finden, die erneut verschiedene Geheimnisse, Boni und optionale Gegner beinhalten. Im Gegensatz zu den Zonen können wir hier auf eine Map zugreifen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Spiel fungiert die mythische Figur Esquie als Fortbewegungsmittel durch Wasser und Luft. Esquies Fähigkeiten-Repertoire lässt mit der Zeit ausweiten, sodass bestimmte Orte auf der Map erst dann zugänglich sind. Dadurch bekommen die Oberwelt-Reisen auch einen leichten Metroidvania-Touch.

In der Oberwelt können wir zudem an den meisten Stellen Lager aufschlagen. An einem abendlichen Lagerfeuer können wir mit unseren Mitstreiter*innen reden, und unsere Beziehung zu ihnen intensivieren. Auch etwas, dass sich Sandfall Interactive bei den Jungs und Mädels von ATLUS und der Persona-Reihe abgeschaut haben.

Beim mysteriösen Kurator, der sich ab einem gewissen Zeitpunkt in der Nähe unseres Lagers befindet, können wir unsere Waffen mit sogenannten Chroma Katalysatoren aufwerten, aber auch unsere verfügbaren Lumina-Punkte erweitern.

Optional lassen sich auch, fernab von den anderen Expeditionsmitgliedern, Tagebuch-Einträge in Gustavs Journal niederschreiben, die an seine Lehrlinge gerichtet sind und immer mit der fatalistischen Abschlussformel „For those who come after“ beendet werden, „Für jene, die nach uns kommen“. Obwohl diese Aktivität vermeintlich optional ist und lediglich für die Charakterzeichnung implementiert wurde, wird sie im späteren Verlauf auch spielmechanisch bedeutsam. Clair Obscur nimmt also nicht sonderlich an die Hand, sondern belohnt optionale Aktivitäten durchaus auch erst im Endgame. Da steht Clair Obscur ganz in der Tradition japanischer Titel, die erst im Postgame so richtig aufdrehen.

Spielzeittechnisch bleibt Clair Obscur: Expedition 33 angenehm kompakt, für die Hauptstory sind ca. 40 Stunden vonnöten, mit den optionalen Quests werden ca. 60 Stunden angezeigt. Gerade mit Blick auf die 49,99 EUR Launchpreis bekommt hier viel, und vor allem grandioses Spiel fürs Geld.

Stilsichere Präsentation und der wohl grandioseste Soundtrack der letzten Jahre

Auch audiovisuell überzeugt Clair Obscur auf ganzer Linie. Das ganze Design der Welt überzeugt durch die überbordende Kreativität des Teams. Die Anlehnung an die französische Belle Époque mit ihrer Architektur und Mode, die ganze kunstgeschichtliche Motivik des Spiels mit ihrer Canvas-artigen Bildsprache und dem fragmentierten, zersplitterten Surrealismus wirkt absolut einzigartig. Egal ob die malerische Insel Lumière, oder die oftmals verzerrte Version des Eiffelturms, die am Horizont beobachtbar ist. Auch der Umstand, dass der mit der leuchtenden 33 in der Ferne aufragende Monolith omnipräsent sichtbar ist, verstärkt die Dringlichkeit dieser Tour de Force. Es wird klar, dass man hier zum Teil assoziativ mit allerlei Versatzstücken und Ideen hantiert hat, die in diese Vision hineinpassen.

Das Spiel eröffnet zahlreiche Geheimnisse - was etwa hat es mit dem mysteriösen Herrenhaus auf sich, in dem wir erstmalig den Kurator antreffen, und in welchem Maelle zunächst Zuflucht findet. © Sandfall Interactive
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Das Spiel eröffnet zahlreiche Geheimnisse – was etwa hat es mit dem mysteriösen Herrenhaus auf sich, in dem wir erstmalig den Kurator antreffen, und in welchem Maelle zunächst Zuflucht findet?
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Die Kunst-Referenzen finden sich an allen Ecken: Schon der Titel Clair Obscur verweist auf den italienischen Begriff Chiaroscuro, die Hell-Dunkel-Malerei, die in der Spätrenaissance und im Barock entwickelt wurde und sich durch starke Konstraste auszeichnet. Hier ist die Malerin eine enigmatische, gottgleiche Entität – Mit den Gestralen haben wir kleine Pinselartige Geschöpfe, und auch die Umgebungen arbeiten immer wieder mit Motiven, die man aus der Literatur und Malerei der romantischen Ära kennt. Im späteren Verlauf wird der Stellenwert der Kunst auch erzählerisch auf einer Meta-Ebene aufgegriffen. Ganz stark!

Auch die Charakterdesigns gefallen mir ausnehmend gut. Unsere Expeditionsmitglieder sind gestalterisch verspielt, sympathisch und nahbar – die Facial Animations gehören mit zu den besten der letzten Jahre. Die starken, expressiven Gesichter vermitteln die Emotionen hervorragend und gehören zusammen mit der Hellblade-Reihe zu meinen Favoriten, wenn es um charaktergetriebenes, schauspielerisches Storytelling geht. Jeder Verlust, jede Emotion wiegt hier schwer. Ganz kleine Kritik gibt es höchstens bei den Haaren – die sind nämlich ziemlich detailliert und fast schon übersaturiert, aber zum Teil derart fein, dass die Texturen manchmal etwas glitchy wirken, wenn viel Bewegung im Spiel ist.

Auch die Kampf- und Bewegungsanimationen wirken stark. Gerade im Kampf wirken alle Bewegungen extrem organisch und fließend. Die Geh- und Sprintanimationen außerhalb des Kampfes wirken besser als vieles aus den letzten Monaten, wenngleich hier die Kollisionsabfrage mit den Umgebungen so manches Mal ein bisschen ungelenk wirkt. Das heißt, es kann durchaus passieren, dass man an einem kleinen Steinchen hängen bleibt. Auch ist bei den Umgebungen nicht immer ganz klar, welche Areale begehbar sind und welche nicht, auch wenn immer kleine visuelle Hinweise geliefert werden. Die haben sich aber nicht immer so perfekt von der Umgebung ab.

Bei Stellar Blade hatte ich noch trotz starker Optik die etwas hüftsteif animierten Kletterabschnitte kritisiert – die ähnlich „automatisiert“ funktionieren wie bei Uncharted und co.- die finden sich so ähnlich auch bei Clair Obscur wieder, sind aber deutlich besser animiert.

Wo man bei Clair Obscur vielleicht noch den AA-Hintergrund wahrnehmen könnte, ist die Dichte der Spielwelt. Die einzelnen Abschnitte wirken in ihrer Statik zwar unglaublich hübsch, aber auch nicht so recht belebt. Wenn wir auf die Bloodborne-artig designten, rätselhaften Nevronen treffen, dann wirken sie wie schwerfällige Apparaturen, die durch eine Kulisse wandeln und nicht wie Teil der Welt. Das vermittelt natürlich einen konkreten „einsamen“ Vibe – wirkt aber auch wie Budget-bedingtes Zugeständnis.

Nichtsdestotrotz kann man festhalten, dass Clair Obscur visuell einzigartig und gerade mit Blick auf den Produktionsprozess grandios ausfällt. Die Kritikpunkte sind wirklich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auf auditiver Ebene ist Clair Obscur dann auch schlicht ein Highlight: Hier stimmt alles – der Soundtrack von Lorien Testard und Sängerin Alice Duport-Percier ist theatralisch, dramatisch, pathosgeschwängert und emotional mitnehmend wie selten in einem Videospiel-Soundtrack. Hier wird Chanson und beinahe die ESC-artige Liebe zum Überschwang zelebriert. Und es passt so gut zur Stimmung des Spiels. Gerade das Lumière-Theme ist für mich Vorzeigetitel, deshalb habe ich es nachfolgend eingebettet. Ein Vinyl-Release ist übrigens bereits angekündigt.

Aber auch die englischen Sprecherleistungen für unsere liebgewonnenen Charaktere und das generelle Sounddesign wirken extrem wertig und cineastisch. Ich bin an der Front schlicht beeindruckt und ergriffen von der Finesse des Studios.

Fazit:

Clair Obscur: Expedition 33 ist ein Märchen-Release. Ein kleines Studio, das mit schierem Talent einen solchen Evergreen stemmt, das Ganze zu einem relativ schmalen Taler vermarktet, und dann folgerichtig nach kurzer Zeit auch enorme Erfolge erzielen kann – das ist eine absolut bemerkenswerte Geschichte, die in einer besseren Welt ein Industrie-Game-Changer sein sollte. Clair Obscur überzeugt durch visionäre Ästhetik, beeindruckende auditive Qualitäten, eine emotional mitreißende, komplexe Story und durchdachte, fordernde Spielmechaniken. Ohne Zweifel wird Clair Obscur zu den stärksten Releases dieses Jahr zählen und sollte entsprechend bei den Game Awards am Ende des Jahres bedacht werden. Warnen muss man allenfalls von dem doch ordentlichen Schwierigkeitsgrad – wer sich davon nicht abschrecken lässt, und mit dem Genre was anfangen kann, für den ist das Spiel schlicht ein Must Play. Game Pass sei Dank ist die Einstiegshürde auch nicht sonderlich groß.

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Grafik / Art Style - 9
Story / Inszenierung - 9.5
Technik - 8.9
Umfang - 9.2
Spielspass / Gameplay - 9.4

9.2

Clair Obscur: Expedition 33 überzeugt durch visionäre Ästhetik, beeindruckende auditive Qualitäten, eine emotional mitreißende, komplexe Story und durchdachte, fordernde Spielmechaniken - das alles von einem gerade einmal 30-Kopf starken Team zum Budget-Preis. Der Titel sollte ein Industrie-Game Changer sein, wird er doch unter dieser Prämisse ein moderner Evergreen werden.

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