Vizepräsident des EU-Parlaments Nicolae Ștefănuță spricht sich für „Stop Killing Games“-Kampagne aus: Videospiel-Lobby reagiert besorgt

Die Bürgerinitiative „Stop Killing Games” treibt aktuell den großen Publishern den Angstschweiß auf die imaginäre Stirn. Diese richtet sich gegen das willkürliche Abschalten digitaler Spiele.

Der Angstschweiß dürfte legitim sein. Denn nun bekommt die Kampagne auch prominente Rückendeckung aus dem europäischen Parlament. Der Rumäne Nicolae Ștefănuță ist derzeit amtierender Vize-Präsident des EU-Parlaments.

Ștefănuță hat die Initiative einerseits auf Instagram beworben, andererseits auch persönlich unterzeichnet.

Der amtierende EU-Vizepräsident Nicolae Ștefănuță bekundet seine Unterstützung für die Stop Killing Games Kampagne

Worum geht es? Es geht es um das dauerhafte Recht auf Zugang zu digital erworbenen Spielen – auch nach Beendigung der Unterstützung durch den Anbieter. Vor allem Games-as-a-service Titel mit Online-Zwang dürften hier besondere Relevanz in der Debatte haben. Es geht hier um eine Auseinandersetzung mit der Rechtmäßigkeit der nachträglichen Einstellung von Online-Komponenten, die zuweilen wesentlicher Bestandteil von Vollpreis-Spielen sind.

Um von der EU in Betracht gezogen zu werden, muss eine von einer Bürgerinitiative initiierte Petition mindestens eine Million Stimmen innerhalb Europas verbuchen können. Es sieht hier ganz gut aus. Derzeit beteiligen sich 1.3 Millionen Menschen mit ihrer Unterschrift. Ștefănuțăs Beitrag dürfte sich hier zugunsten der Kampagne auswirken.

Lobbyarbeit gegen die Kampagne

Die Games-Industrie wehrt sich naturgemäß. Der größte europäische Lobbyverband, Video Games Europe (VGE), betrachtet die Kampagne kritisch und hat ein Positionspapier veröffentlicht.

In diesem proklamiert der VGE-Verband, dass Spieler*innen keine Spiele kaufen, sondern lediglich die Lizenz zur Nutzung. Demnach seien Entwickler und Publisher nicht dazu verpflichtet, derlei Zugänge unbegrenzt zu gewähren.

Der Verband warnt hier vor rechtlichen und ökonomischen Folgen – Nach Aussage des VGE seien folgende Risiken mit der Forderung verbunden:

  • Private Server sind demnach rechtlich problematisch und gefährden die Urheberrechte
  • Moderation auf privaten Servern sei nicht ohne weiteres möglich, das aber schütze die Spieler*innen
  • Die Verpflichtungen zur Offenhaltung von Spielen wird mutmaßlich Studios davor abschrecken, neue Wagnisse und Risiken einzugehen. Demnach verhindere die Forderung innovative Ideen und neue Projekte.

 

Der VGE resümmiert, dass weniger Risiko im Umkehrschluss weniger neue Spiele, weniger Jobs und langfristig höhere Preise bedeute.

Zudem verweist der VGE auf bestehende Verbraucherschutzgesetze, nach denen Nutzer*innen ohnehin rechtzeitig mitgeteilt werden müsse, wenn ein Service in absehbarer Zeit eingestellt wird. Eine angemessene Dauer des Online-Services sei geregelt – allerdings ohne fixe Zeitvorgaben, da jede Service-Form anders sei.

Eine andere Stimme gegen die Kampagne ist der Entwickler Jason Thor Hall bzw. PirateSoftware, der wohl früher bei Blizzard gearbeitet hatte, nun aber als Indie-Entwickler und Streamer tätig ist. Seine Kritik trifft aber, neben Talking Points, die bereits vom europäischen Verband ins Spiel gebracht worden sind, durchaus auch unter die Gürtellinie: So vergleicht er in einem Video den Initiator der Kampagne, Louis Rossmann aka Accursed Farms, mit einem „schmierigen Autohändler“. Die Missinterpretation konkreter Argumentationspunkte hat Thor/PirateSoftware auf der Gegenseite wiederum ordentlich Kritik eingebracht.

Von der Community wird die Kritik des Verbandes an privaten Servern geradezu verspottet. Man verweist auf gut gefüllte private World of WarCraft Server, die seit Jahren existieren. Es wirke heuchlerisch, dass man nun das Argument der Spielersicherheit bringe.

Andere Haltungen in Australien und Großbritannien

Natürlich ist eine prominente Stimme wie die von Nicolae Ștefănuță für die Kampagne enorm wichtig. Ob sie ausschlaggebend für eine Mehrheitsfähigkeit des Beschlusses ist, muss aber hinterfragt werden. Petitionen der Initiative in Australien und dem Vereinigten Königreich wurden von den Regierungen eher negativ beantwortet. Es heißt, solange sich Hersteller und Publisher an geltendes Recht hielten und in den AGB und Nutzungsvereinbarungen entsprechendes festhalten, stehe der Abschaltung von Servern und Services grundsätzlich nichts im Wege. Ähnlich wird dann vermutlich auch auf EU-Parlamentsebene argumentiert.

Unsere Meinung dazu

Wir unterstützen die Kampagne „Stop Killing Games“ aus mehreren Gründen: Wir halten die Argumentation des VGE-Verbandes für eine Farce – Wir glauben weder, dass die Spielersicherheit, noch die Innovationsfreude von Spielen im Vordergrund steht. Es geht ausschließlich und wirklich ausschließlich um den Profit und die Interessen der Publisher – nämlich deren exklusive Möglichkeit, halbgaren und wenig erfolgreichen Ideen den Stecker zu ziehen, wenn diese auf geringes Spielerinteresse stoßen. Und die Zeiträume, in denen die Server betrieben werden, werden gefühlt immer kürzer.

Das Online-fokussierte Need for Speed Rivals erschien 2013 für PlayStation 4, Xbox One, PC – aber auch die damalige Last Gen Xbox360 und PlayStation 3 – und wird nach wie vor verkauft und gespielt. Die extrem wesentliche Online-Komponente Alldrive wird ab Oktober nicht mehr verfügbar sein und damit ein erheblicher Teil der Spielerfahrung. Das von Platinum Games entwickelte Babylon Fall erschien im März 2022 und nur sechs Monate später kündigte Square Enix an, dass der Serverbetrieb ab Februar 2023 eingestellt werde. Das Spiel hat also nicht mal ein Jahr gehalten. Ein Schlag ins Gesicht für die wenigen Spieler*innen, die den Titel zum Release als Vollpreis-Spiel erworben haben. Das bekannte erste Overwatch wurde ebenfalls als Vollpreis-Titel verkauft. Die Server sind aufgrund des Free-to-Play Nachfolgers nicht mehr verfügbar. Das hart gefloppte Concorde erschien ebenfalls als Vollpreis-Spiel. Sony schaltete die Server nur zwei Wochen nach Launch ab und gab den Spieler*innen immerhin eine Rückerstattung.

Es zeichnet sich also ein Muster ab. Die Publisher sehen im Live Service Game eine Möglichkeit, langfristig Geld mit dem Spiel zu verdienen. Sobald sich das, trotz möglicherweise eingeschworener Fanbase, nicht mehr realisieren lässt, werden die Server dichtgemacht. Den Spieler*innen wird aber das mit echtem Geld erworbene Spiel nicht überlassen.

Diese Business-Praxis ist schädlich. Sie befördert, dass Spiele undurchdacht und ohne nennenswerte Marketing-Analysen auf den Markt geschmissen werden. Publisher wälzen ihr Risiko abseits der Entwicklungskosten auf die Spieler*innen ab. Der künstlerische und auch historische Wert eines Spiels gerät völlig in den Hintergrund – weil nur noch die Publisher die Teilhabe über ihre bloße Lizenz haben.

Die Videogame-Lobby kann mir mit ihrer Argumentation gestohlen bleiben. Bringt gute Produkte auf den Markt, die sich selbst am Leben erhalten können. Wenn ihr eure kommerziell unerfolgreichen Schundprodukte nicht mindestens 10 Jahre am Leben erhalten wollt, dann bringt sie so auf den Markt, dass sie im Nachhinein bei Bedarf trotzdem in irgendeiner Form gespielt werden können – durch dezidierte Server oder einen tragfähigen Solo-Modus. Wenn das nicht möglich ist, dann verkauft diese Live Service-Spiele nicht als Vollpreis-Titel auf physischen Medien. Das ist ekelhaftes Geschäftsgebahren und zudem umweltschädlich.

Ich hoffe, die EU findet hier einen Weg, dass Live Service Schnellschuss-Produktionen gar nicht erst die Chance bekommen, attraktiv für die Publisher zu sein. Nehmt das Videospiel-Medium und seine Konsument*innen ernst.

In diesem Sinne kann das ganze Ding wegen Meiner auch auf die unsäglichen virtuellen Game Cards von Nintendo ausgeweitet werden. Diese sind ähnlich unnachhaltig und perfide wie kurzlebige Live Service-Games.

Die Kampagne könnt ihr unter folgendem Link unterstützen:

Stop Killing Games – EU Petition