Das französische Studio Dontnod hatte mit dem narrativen Coming-of-Age-Adventure Life is Strange 2015 einen ziemlichen Hit für Square Enix gelandet, der in fünf Episoden die Luft von Filmen, Büchern und Serien wie Donnie Darko, Stephen King’s ES, Twin Peaks und Butterfly Effect atmete – also Stories, welche die Merkwürdigkeit des Heranwachsens um eine fantastische Mystery-Komponente erweitern. Damit schien man einen Nerv getroffen zu haben – Die Geschichte um die junge Max Caulfield, die in ihrer Heimatstadt Arcadia Bay, Oregon entdeckt, dass sie die Kraft hat, die Zeit zurückzudrehen aber zugleich feststellen muss, dass das Rumpfuschen in der Zeit mit erheblichen Komplikationen einhergeht, vermengte zärtliche Young Adult-Ästhetik mit einem ebenso düsteren, wie twistreichen Serienkiller-Plot. Und in Anlehnung an die oben genannten Werke auch mit einer großzügigen Portion Mindfuck. Das (mal mehr, mal weniger) sympathische Figurentableau, mit dem man sich leicht identifizieren konnte, rund um die rebellische Chloe Price, die vermisste Rachel Amber, die fromme Christin Kate Marsh aber auch den psychisch instabilen Soziopathen Nathan Prescott, holte emotional ab und lieferte (vor allem aktuell) die Blaupause für eine ganze Reihe ähnlich gelagerter Indie-Hits.
Bereits mit dem zweiten erschienenen Life is Strange-Titel durfte das US-amerikanische Studio Deck Nine Games ran. Diese haben bereits das 2017 erschienene Prequel LiS: Before the Storm verantwortet und sind spätestens seit den getrennten Wegen von DONTNOD und Square Enix die Hauptverantwortlichen für die Marke: Mit Life is Strange: True Colors erschien dann 2021 auch das erste Spiel der Reihe, das im Vorfeld nicht in episodischer Form veröffentlicht wurde.
Und nun sind wir Anno 2024 wieder zurück bei den Anfängen: Das Ende Oktober erschienene Life is Strange: Double Exposure greift die Geschichte der nun irgendwie erwachsenen Max Caulfield erneut auf. Für die Nostalgiker sollte das eigentlich ein Grund zur Freude sein. Stattdessen scheint der Titel aber die Fanbase zu spalten wie kein anderes Spiel der Marke bisher – der Metacritic Userscore liegt aktuell bei mauen 4.1. Und als sei die eher desaströse Fanresonanz nicht Hiobsbotschaft genug, hat Deck Nine erst am 6. Dezember getwittert, dass man eine Reihe von Mitarbeiter*innen kündigen musste. Die Besprechung zum genannten Titel zielt also auch ein bisschen darauf ab, zu schauen, warum Life is Strange: Double Exposure so sehr spaltet.
Geschichte, die sich wiederholt
„Double Exposure“ verhält sich als direktes Sequel zum originären Life is Strange von 2015 und spielt zehn Jahre nach den Ereignissen, die sich im Kleinstädtchen Arcadia Bay und an der privat geführten Blackwell Academy zugetragen haben. Wir schlüpfen abermals in die Rolle von Maxine Caulfield, der Heldin des ersten Life is Strange-Teils, die nun mit ihren 28 Jahren eine gestandene Frau ist und als Dozentin und Fotografin-in-Residenz an der renommierten Caledon Universität unterrichtet.
Nach den traumatischen Erlebnissen in Arcadia Bay zog sie erstmal für eine Weile als Fotografin durch das Land und konnte sich als solche eine ordentliche Reputation erarbeiten – ihre Zeit lässt sich über die in Caledon ausgestellten Werke rekonstruieren. Hingegen scheinen wir nicht mehr im Besitz unserer Zeitmanipulations-Fähigkeiten zu sein, die haben wir offenbar in unserer Heimatstadt zurückgelassen.
Nun also ein neues Leben: Während wir eine leerstehende alte Bowlinghalle auf der Suche nach einem guten Motiv für unsere Kameralinse durchforsten, lernen wir erstmalig unsere neue Freundin Safi Llewellyn-Fayyad kennen, die ihrerseits die Tochter der Universitätsdirektorin Yasmin Llewellyn-Fayyad ist. Safi ist, ähnlich wie damals Chloe, ein Gegenpol zur eher introvertierten und leicht verschrobenen Max: Sie ist laut, sie ist forsch und sie trägt das Herz auf der Zunge. Über Graffitis lernen wir auch die Gegebenheiten vor Ort ein bisschen näher kennen: Etwa, dass auch an der Caledon eine Geheimgesellschaft/Studentenverbindung namens Abraxas am Werk ist. Nach einem kleinen Unfall mit dem Modell eines Planetensystems in der zum Lost Place verkommenen Bowlinghalle, finden wir uns in der lokalen Studentenkneipe, dem Turtle Snap, wieder. Hier treffen wir dann auch bereits auf einen großen Teil des später wichtigen Figurentableaus: Wir lernen Safis besten Kumpel Moses Murphy kennen, einen gutmütigen und nerdigen Astrophysik-Masterstudenten, außerdem die Freunde Reggie und Diamond, die ebenfalls in künstlerischen Studiengängen aktiv sind. Diamond versucht sich gegen den Abraxas-Vorsitzenden Vinh Lang zu stellen, dem sie einen zu autokratischen Führungsstil vorwirft. Außerdem lernen wir die süße Barkeeperin Amanda kennen, die zu unserem Love Interest werden kann. Hier werden also auch erstmals die Dynamiken zwischen den Charakteren angedeutet.
Nach dieser typischen Slice-of-Life Exposition geraten die Dinge langsam ins Rollen: Safi, Moses und Max hängen am Observatorium rum. Während Moses die Sterne beobachtet, hat Safi eine Flasche Champagner aus dem Turtle Snap mitgebracht. Offenbar hat sie eine positive Nachricht erhalten, die sie aber noch nicht mit uns teilen will.
Alles gerät aus den Fugen, als Max eine mysteriöse Eule auf einer Statur auf dem Campus entdeckt, die ein gutes Motiv abgeben würde. Just in dem Moment, in dem sie das Foto schießt, klappt sie zusammen – die Nase blutet. Kenner*innen des Originals wissen, was das heißt. Die Erinnerungen an den Sturm über Arcadia Bay brechen über Max herein. Als sie scheinbar wieder zu sich kommt und im Zuge dessen nach den anderen schaut, merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Sie findet eine tödlich verwundete Safi vor, erschossen. Aber wer steckt hinter dem Schuss? Warum sollte man der offenherzigen Safi nach dem Leben trachten?
Als Max dann zu allem Überfluss feststellt, dass sie ein Portal zwischen verschiedenen Iterationen der Wirklichkeit – einer, in der Safi verstorben ist und einer, in der Safi weiterhin lebt – öffnen kann, ab dem Zeitpunkt dreht der Plot voll auf.
Mit ihrer neuen Fähigkeit wird Max also Detektivin in einer interdimensionalen Murder-Mystery, bei welcher sie dem oder den Mördern von Safi auf der Spur ist. Und wie so üblich, hat jeder am Campus sein kleines oder großes Geheimnis zu verbergen.
Willkommen im Multiversum
Life is Strange: Double Exposure ist im Grunde ein erweiterter Take auf den Multiversums-Ansatz, der im Finale des Originals schon formuliert wurde. Im alten Life is Strange wurde über die Rückspul-Kraft von Max jedes Mal eine neue Zeitlinie geschaffen, als Max in die rückversetzte Vergangenheit eingriff. Alles begann mit der Verhinderung des Todes von Chloe in der Schultoilette der Blackwell Academy – es gab also eine zeitliche Linie, in der Chloe starb und eine, in der sie fortlebte. Der Zeiten-Vortex, der am Ende als Sturm über Arcadia Bay hinwegtobt, sind die sich chaotisch ineinander windenden Zeitlinien. Hier konnten wir seinerzeit entscheiden, ob wir Chloe retten und dafür die Kleinstadt mit ihren vielen Biografien dem Sturm überlassen, oder ob – pragmatisch – viele Leben das Einzelne doch überwiegen.
In Double Exposure kann Maxine nicht mehr die eine Zeitlinie manipulieren, sondern zwischen entstandenen Zeitlinien hin- und herwechseln. Hier wird im Sinne des Titels vor allem auf die Dualität von Safis Leben/Tod und den entstandenen Konsequenzen gesetzt. Viele der eher simplen Rätseldesigns fußen also wie schon im Vorgänger auf der Prämisse, dass wir in einer Realität Erkenntnisse erlangen, und sie in der anderen einzusetzen imstande sind. Passend dazu können wir aber auch Brücken schlagen: So können wir in der jeweils einen Parallelwelt die Silhouetten und Stimmen aus der anderen vernehmen, was unseren Ermittlungsarbeiten natürlich dankbar ist. Ab und an, in besonderen dramatischen Sequenzen, können wir aber auch komplette materielle Elemente der jeweils anderen Dimension in unsere aktive hineinversetzen: Beispielsweise wird an einer Stelle ein See mit seinem gefrorenen Counterpart ausgetauscht. Doch auch hier gilt: Der Einsatz der Kräfte hat seinen Preis.
Life is Strange: Double Exposure ist die achte Star Wars Episode des Life is Strange-Franchise
Warum also ist Life is Strange: Double Exposure angesichts der doch eher coolen Grundidee zumindest aktuell ein so ungeliebtes Kind des Franchise? Ich würde behaupten, dafür gibt es mehrere Gründe:
a) Das Marketing – Die Trailer suggerierten, dass Chloe eine wesentlich größere Rolle einnehmen würde. Relativ zu Beginn des Spiels wird auch suggeriert, dass das Spiel unterschiedliche Wege in der Hinsicht einschlagen könnte. Wir werden von Safi nämlich nach dem mysteriösen blauhaarigen Mädchen gefragt, dessen Foto sich in unserem Portemonnaie findet. Hier können wir auf die möglichen Enden des Originals verweisen: Wir können auf ihr Ableben deuten oder aber auf die Option, dass man sich schlicht auseinandergelebt habe. Tatsächlich hat die Antwort aber keinen wirklichen Einfluss auf die Story. Entscheidet man sich für letztere Option, dann postet Chloe ab und an auf der fiktionalisierten Social Media Plattform – ansonsten ist Chloe immer wieder als Stimme aus dem Off präsent – das war es dann aber auch schon. Es ist wohl berechtigt zu sagen, dass man sich hier nicht so recht entscheiden konnte, wie mit dem Fanliebling umgegangen wird. Und die Fans sind sichtlich entzürnt darüber, dass man Chloe Price in Sachen Writing so wenig Respekt gezollt hat. Natürlich hat Deck Nine die künstlerische Freiheit, Max Caulfield als Charakter von ihrer Vergangenheit zu emanzipieren. Und das scheint auch eine Kernintention des Autorenteams gewesen zu sein. Marketing und Auftakt wirken aber wie falsch beworben, denn der eigentlich gut ausformulierte Charakter Chloe bleibt hier reiner Nostalgiebait.
b) Die große Menge an Plotholes – Die Parallelwelten-Mechanik als Basis für ein mysteriöses postlineares Whodunnit finde ich grundsätzlich ziemlich cool. Aber Deck Nine scheinen keine Idee gehabt zu haben, wohin die Reise führen soll. Gerade die ersten zwei Episoden sind m.E. sogar hervorragend: Sie werfen ein Mysterium um das Ableben von Safi auf, das eine spannende, tiefgehende und twistreiche Handlung verspricht. Die ersten Abschnitte führen ein sympathisches Figurentableau auf, mit dem man mitfühlt; Sie bringen einen Aufhänger für die weitere Handlung ein, der emotional packt und liefern Versatzstücke für mehr Handlung hinter der Handlung. Am Ende fühlt sich der Plot aber extrem unrund an: Ab Kapitel 3 wird etwa der Polizist und Detektiv Vince Alderman eingeführt. Nicht nur verdächtigt er Max, etwas mit dem Mord an Safi zutun zu haben. Er scheint auch ihren Fähigkeiten auf der Spur zu sein und wird damit grundsätzlich zu einem spannenden Antagonisten. Doch nur wenig später ereilt ihn ein alternativloses Schicksal, dass ihn komplett aus der fortlaufenden Handlung rausnimmt. Ab dem Zeitpunkt spielt er so gut wie keine Rolle mehr. Dasselbe gilt auch für andere Charaktere und Institutionen innerhalb der Spielwelt: Die Abraxas-Geheimgesellschaft spielt, obwohl anfänglich recht prominent gefeaturt, kaum eine Rolle. Lediglich deren Anführer Vinh hat eine etwas zentralere Funktion. Charaktere wie die penetrante Podcasterin- und Wannabe-Investigativ-Boulevard-Journalistin Loretta, aber auch unser mögliches Love Interest Amanda, werden eingeführt und kurz darauf wieder für lange Zeit fallengelassen. Die Entscheidungen, die wir im Bezug auf diese Figuren treffen, haben im direkten Vergleich zu anderen Life is Strange-Titeln kaum Gewicht.
Double Exposure ist außerdem maßlos überfrachtet. Der Multiversen-Ansatz lässt eigentlich genügend Raum für Ausflüge in die Vergangenheit, für Spekulationen und Theorien – für cleveres und vertracktes, Mindfuck-lastiges Storytelling. Zum Ende hin wird aber ein komplett neuer großer Twist eingeführt, der das Life is Strange-Prinzip ein bisschen ad absurdum führt, sich nach X-Men (Magneto vs. Charles Francis Xavier) anfühlt und viele Twists des Spiels retrospektiv in neuem, etwas diffusen Licht erscheinen lässt. Ohne groß spoilern zu wollen – primär hat das etwas mit der Charaktertransformation von Safi zutun. Ich bleibe an dieser Stelle vage: Aber Deck Nine haben hier etwas mit dem Franchise getan, wofür schon Rian Johnson mit Star Wars Episode 8: Die letzten Jedi oft gescholten wurde und weshalb dieser Franchise-Eintrag auch nachhaltig reichlich kontrovers bleiben wird.
c) Mit dem vorangegangenen letzten Punkt habe ich die Kernproblematik benannt: Life is Strange: Double Exposure beginnt als typisches gutes Serien-Spiel, endet aber als etwas Anderes – etwas Unausgehandeltes. Das Life is Strange-Prinzip entsprach immer ein bisschen der Stephen King-Formel: Dass ein alltägliches, gewöhnliches Leben von einer nicht-weltlichen Kraft aus den Fugen gehoben wird. Das ist auch die Triebkraft hinter erfolgreichen Serien wie Stranger Things. Hier wird aus einer adoleszenten Mystery-Story quasi ein Marvel Cinematic Universe-Flick und das macht irgendwie ein klein bisschen Angst vor einem weiteren Max Caulfield-zentrierten Spiel.
Diese Punkte kann man definitiv kritisieren. Und für Deck Nine und das Life is Strange-Franchise kommt erschwerend hinzu, dass DONTNOD selbst mit Lost Records: Bloom & Rage einen spirituellen Nachfolger zu ihrem geistigen Kind in der Pipeline haben, das sich scheinbar auf die Kernstärken des Coming of Age-Genres zu besinnen scheint, und damit erhebliche Konkurrenz für Square Enix bildet. Auch das Entwickler*innen-Studio Beethoven and Dinosaur schickt sich mit dem gut aussehenden Mixtape an, die von LiS eröffnete Nische erfolgreich zu beackern. Hier müssen sich Deck Nine und Square Enix also zwingend tiefgehende Gedanken machen, wohin sie mit einem weiteren Teil hin wollen. Denn die Fans werden jeden weiteren Titel abstrafen, wenn die Essenz vergessen wird.
Was mir an der Story gefallen hat
Ich habe nun viel kritisiert – gleichzeitig hat mir Double Exposure aller narrativen Schwächen zum Trotz aber ganz gut gefallen: Das liegt primär am angenehmen Figurencast, den Deck Nine entworfen haben.
Ich habe letztlich doch starken Bezug zu unserer Caledon-Freundesclique aufbauen können: Ich mochte den ruhigen, besonnenen Fulltime-Nerd Moses, ich mochte die großmäulige Safi, aber auch ihre gleichsam nahbare wie unnahbare Mutter Yasmin, die als Leiterin der Universität immer schon chronischer Overachiever gewesen zu sein scheint. Auch die Darstellung von Queerness und Diversity ist angenehm natürlich und unforciert: Ob der bisexuelle Abraxas-Leader Vinh Lang, die als Creative Writing-Dozierende tätige und tendenziell forsche Transfrau Gwen Hunter, unsere süße Barkeeperin Amanda – sie alle sind vor allem gut geschriebene Charaktere, die in dieser Form komplett Sinn ergeben.
Auch moralisch eher graue Charaktere wie der schmierige Literaturprofessor Lucas Colmenero sind interessanter und vielschichtiger, als sie an der Oberfläche vermuten lassen.
Mir ist zwar partiell etwas missfallen, dass die Dialoge in Double Exposure immer noch merkwürdig fremdschämig und edgy sind, immerhin sind die Figuren in Double Exposure ja keine Jugendlichen mehr, zugleich konnte man als Spieler*in an der Front immer ein bisschen mitschmunzeln. Es wirkt nämlich dezent merkwürdig, dass eine im Leben stehende 28-jährige Max Caulfield, die so viel gesehen und erlebt hat, im Kern immer noch wie ein recht unbedarfter Teenie denkt. Life is Strange: Double Exposure ist trotz ernster bis düsterer Ausrichtung am Ende immer noch Feel Good-Kost und eine Story, welche Freundschaft über alles hebt. Trotzdem kleine Triggerwarnung: Es gibt eine Passage, in welcher sich Max nochmal mit den Dämonen ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. Hier wird in Ansätzen auch sexuelle Gewalt thematisiert und grafisch bebildert.
Charmante Visuals und mediokre Technik
Life is Strange: True Colors sah m.E. schon ganz gut mit seiner herbstlichen, indiesken Farbgebung und den etwas organischeren Figurendesigns aus und hier bauen Deck Nine konsequent drauf auf. Im Vergleich zu den etwas älteren DONTNOD Einträgen sehen die Figuren in Double Exposure deutlich weniger wächsern aus, sondern können vor allem mimisch so viel mehr ausdrücken. Gerade beim Motion Capturing wurde also scheinbar ordentlich nachgebessert.
Der in New England beheimatete Caledon-Campus ist umgeben von malerischer Natur. War True Colors noch mit eher warmen Farben versehen, spielt Double Exposure im Vermonter Winter. Der Campus ist in tiefen Schnee gehüllt, der sich im Sonnenlicht spiegelt. Die Gebäude an der Caledon sind im typischen Stil der Colonial-Revival-Architektur gehalten. Die Locations wiederum sind recht übersichtlich gehalten: Wir besuchen im Verlauf der Handlung die Innenräumlichkeiten der Universität, die Studentenkneipe Snapping Turtle, wir haben das Observatorium, unser eigenes Loft und das äußere Campus-Areal als Hubgelände, das die Locations miteinander verbindet. Im Vergleich zu True Colors, wo wir das ganze Bergdörfchen Haven Springs begehen konnte, wirkt Double Exposure wieder gedrungener – und ist gefühlt nur etwas größer als der Blackwell-Campus aus dem Original.
Life is Strange schöpft grafisch nicht aus den Vollen. Das kann es aber auch nicht – denn natürlich gibt es auch einen Switch-Release und die Serie war jetzt noch nie für ihre grafische Opulenz bekannt. Aber es sieht so hübsch aus, wie ein LiS-Titel eben aussieht. Es gibt viele kleine witzige Details zu beobachten und der Artstyle entspricht konsequent der Ästhetik von Indie-Filmen aus den 00er Jahren – im positivsten Sinne.
Leider gibt es technische Probleme: Selbst auf der PlayStation 5 ruckelt Double Exposure gerne mal spürbar vor sich hin. Meine Vermutung ist Folgende: Man kann, an mit Leuchtpartikeln markierten Spots, zwischen der toten und der lebendigen Welt hin- und herwechseln. Das passiert mehr oder minder „on the fly“. Die jeweiligen Welten bringen natürlich einen unterschiedlichen Satz an NPCs und Assets mit. Das Spiel berechnet die Szenerie also doppelt, die passive Welt läuft im Hintergrund mit, was zu Lasten der Performance geht. Diese Vermutung rührt daher, weil die Ruckler bei mir erst mit der Einführung der Parallelwelten-Mechanik auftauchten. Hier muss via Patch dringend nachgebessert werden.
Zugleich gibt es hier zwar die Möglichkeit, zwischen Grafik- und Performance-Modus zu wechseln. Aber ich habe in Sachen Performance keine spürbaren Unterschiede vernommen, gerade weil es in beiden Modi hakt. Hier kann man demzufolge beinahe eher den Grafik-Modus wählen, weil dann die Lichtreflektionen ein bisschen realistischer gesetzt sind.
Toller Soundtrack mit zärtlichen Singer/Songwriter-Beiträgen
Life is Strange hatte immer schon einen grandiosen Soundtrack, der die Spiele erheblich mitgetragen hat: Den originalen OST mit namhaften Indie-Bands wie Foals, Get Well Soon, Alt-J und co. pumpe ich bis heute gerne via Spotify. Nach Life is Strange: Before the Storm mit der tollen Untermalung der Londoner Band Daughter kamen die OSTs der weiteren Spiele nicht mehr so ganz ran. Hier freue ich mich, dass Deck Nine wieder ein gutes Händchen für die Künstler*innen-Auswahl hatten: Gerade die speziell für das Spiel geschriebenen zärtlich-wehmütigen Songs von Musikerinnen wie Tessa Rose Jackson oder Dodie prägen (etwa „So, This Is Lonely“) prägen den Vibe des Spiels ungemein. Auch das Stück im Startmenü von Dodie – „Someone Was Listening“ – gibt mit seiner verhaltenen, gleichzeitig gesetzten wie ätherischen Stimmung – einen Ausblick auf den Erzähltenor von „Double Exposure“. Auffallend ist, dass beim Double Exposure-OST vor allem Musikerinnen gelistet werden, während der Soundtrack des Erstlings noch von diversen Indie-Männers getragen wurde. Aber hey, find ich gut. So bin ich u.a. auf Mathilda Mann gestoßen, die ich mir in Kürze in Köln gebe.
Solide Sprecherleistungen
Life is Strange: Double Exposure wartet grundsätzlich mit guten deutschen Sprecher*innen auf, die in den wichtigsten Punkten auch die Stimmung der Vorlage matchen. Ich muss aber gestehen, ich hatte im Verlauf des ersten Kapitels dennoch zur originalen Tonspur gewechselt. Das „Vernuschelte“ der originalen Sprecher*innen passt zur post-adoleszenten Stimmung des Unikontextes. Hier ist mir das deutsche Voicing beinahe zu clean, das hat für mich die Immersion ein bisschen getrübt.
Etwas unrunder spielmechanischer Twist
Der Titel „Double Exposure“ ist ein Terminus aus der Fotografie – im Deutschen die sogenannte Doppelbelichtung, bei der mehrere Einzelaufnahmen zu einem gemeinsamen Bild überlagert werden. Tatsächlich ist das eine Technik, die in den letzten Kapiteln dieses Life is Strange-Teils auch spielmechanisch zum Tragen kommt.
Nachdem aber im ersten 2/3 des Spiels vor allem die Parallelwelten-Mechanik und sich daraus ergebende Rätseleinlagen das Spiel dominiert haben, wirkt die Doppelbelichtungs-Mechanik zum Schluss etwas willkürlich „reingeklatscht“ – analog zu den eher weniger gut funktionierenden losen Handlungssträngen lässt dieser spielerische Teil den Verdacht zu, dass das Spiel nicht ganz zu Ende gedacht wurde. Da der Part nicht nervt, ist das ein eher kleiner Kritikpunkt.
Fazit:
Life is Strange: Double Exposure hatte eigentlich das Zeug, die Max Caulfield-Geschichte aller Nostalgiebait-Vorwürfe zum Trotz sinnvoll weiterzuspinnen. Die Parallelwelten-übergreifende Murder-Mystery ist eine frische Spielmechanik, die Spaß macht. Der diverse Figurencast ist weitgehend gut und sympathisch geschrieben. Die Caledon University ist ein kompakter, aber schön gestalteter Schauplatz und der Soundtrack des Spiels vermag den bittersüßen Vibe des Titels auch auditiv zu vermitteln. Die ersten zwei Kapitel sind m.E. hervorragend und holen emotional voll ab. Aber Deck Nine haben irgendwie nicht so richtig durchdacht, wohin die Reise gehen soll. Ab irgendeinem Zeitpunkt zerfasert das Spiel inhaltlich und offenbart tiefe Logiklöcher, die sich in Ansätzen auch auf das Gameplay niederschlagen. Auch technisch muss vonseiten Deck Nine nachgebessert werden. Denn die Ruckler auf der PlayStation 5 wirken vermeidbar. Die Negativ Rezeption durch die Fanbase erscheint mir zwar irrational und emotionalisiert, aber die Kritikpunkte auf der narrativen Ebene sind im Kern trotzdem berechtigt. Ich für meinen Teil hatte aber tatsächlich trotzdem viel Spaß mit dem Spiel, weil für mich die positiven Aspekte letztlich überwiegen und weil mir die etwas hanebüchene Auflösung letztlich doch mehr taugte als das unterwältigende Finale von True Colors. Life is Strange ist für mich bittersüßer Indie-Eskapismus. Aber angesichts starker Konkurrenz (Mixtape/Lost Records) müssen sich Deck Nine und Square Enix gut überlegen, wie sie den nächsten Teil aufziehen.
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Grafik / Art Style - 7.2
Story / Inszenierung - 6.6
Technik - 6
Umfang - 6.9
Gameplay / Spielspass - 7.5
6.8
Life is Strange: Double Exposure hat erzählerisch recht viele starke Einzelmomente. Die Schwächen ab Kapitel 3 wiegen aber zu schwer, weil man als Spieler*in unweigerlich merkt, dass Deck Nine hier nach anfänglicher Euphorie über ihre eigene Storyline stolpern. Für mich dennoch ein befriedigender Serieneintrag, der mit der Parallelwelten-Mechanik frischen Wind bringt.