Comic Review: Naoki Urasawa – Hatschi! Kurze Geschichten – Die ganze Storytelling Bandbreite des Meisters in Kürze

Vorab: Ich bin wirklich, wirklich großer Fan von Naoki Urasawa. Seine oftmals im Seinen-Bereich angesiedelten Geschichten sind hervorragend geschrieben, wunderschön gezeichnet und leben von einer beispiellosen Akribie für feine Details. Gerade „Monster“, das ursprünglich zwischen 1994 und 2001 erschien, und seit einiger Zeit in einer empfehlenswerten Perfect Edition bei Carlsen erhältlich ist, ist mein Alltime-Fave – ein hervorragend recherchierter Psycho-Thriller, der im Deutschland und später auch Tschechien der 1960er spielt. Aber auch seine anderen Werke wie 20th Century Boys, Pluto, Billy Bat, Master Keaton oder das jüngere Asadora! verhalten sich kongenial zu seinem (wohlgemerkt subjektiven) Referenzwerk.

Eine zentrale Stärke von Urasawas Writing ist die Vermengung von ultrarealistischen, epischen Settings, hochgradig natürlich gestalteten Charakteren und Momenten, in denen die Realität jeweils ihre Brüche abbekommt – häufig durch eine übernatürliche Macht. Während 20th Century Boys etwa als Slice-of-Life Geschichte einer Clique von Jungs beginnt, die sich spielerisch ein irrwitziges Endzeit-Szenario ausmalen, nur damit dieses später langsam Wirklichkeit werden soll, ziehen zwei in Opposition zueinanderstehende Cartoon-Fledermäuse in Billy Bat die Strippen der Menschheitsgeschichte, deren Fortbestehen auf der Kippe steht. Und auch wenn Monster ohne okkulte oder übernatürliche Phänomene auskommt, und deutlich geerdeter wirkt als vieles aus dem Urasawa Oeuvre, agiert der schöne und androgyne Johann Riebert ebenfalls wie eine Naturgewalt. Die Erzählungen von Urasawa erinnern mich oft an das Storytelling eines Stephen King, der mit ähnlichen Versatzstücken arbeitet. Wo das Gewöhnliche vom Ungewöhnlichen überwältigt wird. Parasite und Snow Piercer-Regisseur Bong Joon-ho nannte Urasawa mal „den größten Geschichtenerzähler unserer Zeit“.

Während die Hauptwerke aber vor allem als groß angelegte Epen funktionieren, haben wir nun mit dem jüngst veröffentlichten „Hatschi!“ einen Kurzgeschichtenband von Urasawa. Acht kleine, in sich geschlossene Stories werden hier erzählt, die sich teils durch ihre autobiografische Note stark von den klassischen Urasawa-Geschichten abheben, teils aber auch mit den klassischen Trademarks seines Schaffens operieren. Erschienen sind diese zwischen 1995 und 2018 in verschiedenen Magazinen und Publikationen. Ursprünglich wurde der Band von Shogakukan im April 2019 veröffentlicht. Eine englische Lokalisierung gab es dann 2020 via Viz Media. Seit dem 1. Oktober 2024 ist Hatschi! nun also auch in deutscher Sprache via Carlsen Manga! erhältlich.

Der onomatopoetische Ausdruck eines Niesers ist hierbei nicht willkürlich gewählt: Das japanische Äquivalent für das Wort „Niesen“ ist kushami – welches im Japanischen offenbar auch die Bezeichnung für Kurzgeschichten im Gegensatz zu längeren Geschichten ist. Insofern ist Hatschi! ein denkbar treffender Titel.

Carlsen Manga! hat uns dankenswerterweise ein Exemplar des Mangas zukommen lassen, auf den ich mich wirklich sehr gefreut habe. Wir gehen die einzelnen Geschichten durch, und bewerten sie jeweils für sich. Naturgemäß soll aber auch auf das Gesamtwerk eingegangen werden.

Damiyan!  (erschienen in der 49. Ausgabe 2016 im Weekly Big Comic Spirits von Shogagukan)

Die Short Story Damiyan! beginnt mit einer seltsamen Unterredung in einem Diner zwischen zwei seltsamen Vögeln, einem quirligen kleinen Kerlchen und einem moppeligen Typen mit Topfhaarschnitt, sowie ziemlich offensichtlichen Mitgliedern der Yakuza.  Man könnte nun meinen, dass der kleine Typ und sein Kumpel in Schwierigkeiten geraten sind. Tatsächlich wird hier aber ein Deal abgewickelt. Der Yakuza Komoto hat von seinem Vorgesetzten Kikuchi die Aufgabe bekommen, den neuen Patriarchen des Honami-Clans, Ryuzo Kanzaki, aus dem Weg zu räumen. Dieser steht im Verdacht seinen Vorgänger Nomoya ebenfalls getötet zu haben. Einen Anschlag auf denen eigenen Boss zu verüben ist aber mit reichlich Komplikationen verbunden. Am besten also möglichst diskret. Hier kommt der Topfhaar-Dude ins Spiel: Der dümmlich dreinblickende Junge mit der 666 auf seinem Shirt hat offenbar telekinetische Fähigkeiten, ist sonst aber sozial nicht gerade sonderlich kompetent. Deshalb vermittelt sein wieseliger Partner, der offenbar eine Schwäche für Gacha Mobiles Games und deren Mikrotransaktionen hat, seine Dienstleistungen.

Die Auftakt Story "Damiyan!" ist ein Mischung aus abgründiger Horrorkomödie und Yakuza-Thriller - Der dümmlich dreinblickende Namensgebender ist mit seinem Topfschmitt an den japanischen Comedian Yuki Himura angelehnt © Carlsen Manga!

Die Auftakt Story „Damiyan!“ ist ein Mischung aus abgründiger Horrorkomödie und Yakuza-Thriller – Der dümmlich dreinblickende Namensgebender ist mit seinem Topfschmitt an den japanischen Comedian Yuki Himura angelehnt © Carlsen Manga! – KUSHAMI URASAWA NAOKI TANPENSHU by Naoki URASAWA © 2019 Naoki URASAWA / SHOGAKUKAN.

Komoto aber hat darüber hinaus seine eigenen familiären Päckchen zu tragen. Sein Sohn wird von älteren Mitschülern gepiesackt und leider darunter; seine Frau aber will von ihm, ob seiner Mitarbeit im Organisierten Verbrechen, verständlicherweise nichts mehr wissen. Während er wieder die Nähe zu seiner Familie sucht, wird er zugleich zum Spielball diverser Intrigen innerhalb der Yakuza-Clanstrukturen. Damiyan und sein weirder Kumpel helfen ihm dabei, sich durch diese Gemengelage durchzumanövrieren.

Urasawa sagte zu der Story, dass sie „Nonsense“ sei, er sie aber trotzdem möge. Beim Charakterdesign der namensgebenden Figur habe er sich an Yuki Himura vom japanischen Comedy-Duo Bananaman orientiert. Ansonsten haben wir hier Charakterdesigns, die wir ähnlich auch in Billy Bat wiederfinden. Komoto etwa sieht aus wie der junge Fake-Chuck Culkin aus Billy Bat, der zugleich eine Persiflage auf Walt Disney gewesen ist.

Hatschi! - Damiyan! - Farbseiten

Auch die zahlreichen Farbseiten machen ordentlich was her. © Carlsen Manga!
KUSHAMI URASAWA NAOKI TANPENSHU by Naoki URASAWA © 2019 Naoki URASAWA / SHOGAKUKAN.

Obwohl die Story insgesamt einen eher albern-grotesken Vibe mitbringt, gibt es auch immer wieder ernste Momente. Ich fand das Yakuza-Setting gelungen. Durch die Mischung aus bierernstem Yakuza-Pathos und klamaukiger Horrorkomödie mit einem skurrilen Duo als Hauptprotagonisten hat sich das Ganze angefühlt wie eine Substory bei Yakuza / Like A Dragon. Die Familiengeschichte ist zwar eher loses Beiwerk, trotzdem fühlte sich Komotos Situation dringlich und stressig genug an, um emotional mitzunehmen. Als Auftakt empfand ich die Story als recht passend: 7.5/10

Wirf das Ding Richtung Mond! (2006, Zusammenarbeit mit Takahashi Nagasaki, Erstveröffentlichung im Aera Mook, zur Jubiläumsausgabe anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Ozamu Tezuka Kulturpreises)

„Wirf das Ding Richtung Mond!“ Ist eine Kurzgeschichte, die eine Urasawa-Story ist, wie sie im Buche steht (höhö). Sie erinnert vom Gefühl her partiell an Pluto, partiell wieder an Billy Bat. Das kommt nicht von ungefähr: Denn auch bei den beiden Werken war Nagasaki bereits beteiligt.

Hier wird Politisches, Verschwörungstheoretisches mit einer mystischen Komponente vermengt. Die Story beginnt in der Kindheit von Jesse – der Bub hat gerade Äpfel von einem fremden Grundstück gestohlen und ist auf der Flucht. Im Rennen sieht er am Straßenrand einen alten, verwahrlosten Mann liegen. Als er ihm einen seiner Äpfel offeriert, verschlingt der mysteriöse Mann diesen wie wild, der Apfel habe ihm sein Leben gerettet, er prophezeit dem Jungen, dass dieser eines Tages den Pulitzer-Preis bekäme und gibt ihm dafür einige Handlungsanweisungen für sein weiteres Leben. Diese bleiben in Jesse verhaftet – allerdings gibt es für ihn keine glanzvolle Karriere, stattdessen schreibt er viele Jahre später als Redakteur die Todesanzeigen in einem provinziellen Lokalblättchen. Doch als der alte Mann von früher bei der Zeitung eine Todesanzeige für seinen herannahenden Tod beauftragen lässt, und zwar offenbar konkret bei Jesse, gerät dieser in eine handfeste Verschwörung um einen ominösen Mordfall, der mit der Granite Bank in Illinois, Chicago zusammenhängt. Der Man entpuppt sich als prominentes Medium Lenny Zinnemann, das oft vom FBI konsultiert wurde. Bei dem konkreten Mordfall lag er aber in der Vergangenheit offenbar falsch, wurde letztlich sogar als Mittäter gehandelt. Für Jesse beginnt hier eine nicht ganz ungefährliche Recherche, die ihm vielleicht tatsächlich den Pulitzer-Preis einbringen könnte.

Die Kollaboration zwischen Pluto/Billy Bat-Co-Autor Takashi Nagasaki und Naoki Urasawa kam zustande, weil die beiden einen Beitrag zum 10-Jährigen Geburtstag des Osamu Tezuka Kulturkreises bringen sollten, den sie selbst seinerzeit für ihre Gemeinschaftsarbeit an Pluto erhalten haben. Wie Urasawa selbst sich erinnert, gab es lediglich ein intensiveres Arbeitstreffen in einem Café, bevor er erste grobe Layouts auf Basis des Gesprächs entwarf.

Gleichsam enthält die Geschichte trotz ihrer Kürze aber alle Trademarks, die eine Urasawa-Nagasaki Kollaboration ausmacht und kondensiert auf vergleichsweise wenig Seiten die Epik und den Suspense der großen Geschichten.  Die Kompaktheit tut dem Pacing hier auch keinen Abbruch. Gäbe es die Story ausformulierter als ganze Serie, ich hätte Freude damit: 8.5/10

Die alten Knacker (2013 und 2014 erschienen in Jump X, Shueisha)

„Die alten Knacker“ ist eine Serie, die aus drei 2-Seitern besteht, die Urasawas Liebe zur Musik illustrieren. Die erste Story handelt von Urasawa und zwei Freunden, wie sie sich in eine alte Musik Kneipe verirren, wo sie einem „Teufel der Folkmusic“ begegnen, der die drei mit seinem Geklimper „in die Dunkelheit der Showa-Ära“ zurückzerrte. Die zweite Story handelt von den frenetischen Fanmassen älteren Semesters bei einem Paul McCartney Konzert, die passioniert mitsingen und weinen und kreischen wie Swifties bei einem Konzert von Taylor. Die letzte Story ist eine Geschichte über ein Bob Dylan Konzert in Tokyo, dem Urasawa beigewohnt hat und das trotz technischer Schwierigkeiten eine hervorragende Erfahrung für die Anwesenden gewesen ist.

Die drei Story sind wie kleine persönliche Anekdoten aufgebaut, funktionieren als putzige kleine Illustrierungen des eigenen Musik-Nerdtums, geben mir letztlich aber zu wenig, als dass ich sie zwingend gebraucht hätte. Das liegt zum Teil auch ein bisschen an der künstlerischen Umsetzung, die hier ein wenig skizzenhafter aussieht als bei anderen Urasawa-Werken: 5.5/10

Henry und Charles (Erstveröffentlichung Okina Pocket, April 1995)

Die 1995 erstveröffentlichte Kurzgeschichte, in der es um die zwei namensgebenden Mäuseriche geht, die sich auf dem Weg nach einem Kuchenstück für Charles‘ angebetete Mäusedame Diana auf ein gefährliches Abenteuer durch die Küche einlassen, ist inspiriert von amerikanischen Cartoons aus der Looney Toons-Ära.

Das Ganze ist als klassische Laurel & Hardy Nummer aufgezogen: Charles ist eher ein dümmlich-verträumter Opportunist, während Henry eher ein vernunftorientierter Pragmat ist, der sich nur widerwillig auf dieses Abenteuer einlässt. Der Humor ist dabei ähnlich wie in westlichen Cartoons auf slapstick-artige Situationskomik ausgelegt.

Da der Comic primär Kinder als Zielgruppe hatte, ist er vollständig coloriert. Und das tut dem Ganzen extrem gut. Die Geschichte ist charmant und witzig, doch vor allem die wirklich hübschen Zeichnungen und die rustikale, warme Farbgebung tragen den Comic. Der Comicstrip arbeitet mit tollen Einstellungen, gelungener Panelaufteilung, dynamischen Action-Sequenzen. Die schlecht gelaunte Hauskatze ist natürlich auch hier der Hauptantagonist, aber auch berstende Teller, umgestoßene Küchenmesser oder Salatöllachen bilden hier ganz alltägliche Gefahrenquellen. Ganz große klasse: 8/10

It’s a Beautiful Day (Erstveröffentlichung Monthly Spirits, November 2018)

Die wohl poetischste Short Story beruht auf einem Konzept des japanischen Folk Musikers Kenji Endo, der Ende 2017 verstorben ist. Er hatte Urasawa einige Jahr zuvor eine autobiografische Anekdote erzählt, die er als Manga adaptiert sehen wollte. Doch da die Umsetzung erst 2018 erschien, konnte Endo sie nicht mehr selbst lesen.

Die Geschichte erzählt von den Erlebnissen nach einem Konzert in den 1970ern. Kenji Endo, Yosui Inoue, Wataru Takada und drei Mitglieder der Gruppe Garo besuchten nach dem Gig einen Strip Club, wo sie in From Dusk Till Dawn Manier einer Frau auf der Bühne zusahen, die mit einer Riesenschlange performte. Am nächsten Morgen sahen sie die Tänzerin des Vorabends ganz unschuldig mit einem weißen Kleid und einem breiten Hut einen Kinderwagen entlang des Flussufers schieben. Der Blaue Himmel war von wenigen Wolken bedeckt. Die Schönheit dieses Bildes erinnerte sie an das Album Artwork des gleichnamigen Debüts der US-amerikanischen Psychedelic Rock Band It’s a Beautiful Day.

It's a beautiful Day beruht auf einem Konzept des Folk Musikers Kenji Endo - die vermutlich poetischste kleine Story in Hatschi! © Carlsen Manga! KUSHAMI URASAWA NAOKI TANPENSHU by Naoki URASAWA © 2019 Naoki URASAWA / SHOGAKUKAN.

It’s a beautiful Day beruht auf einem Konzept des Folk Musikers Kenji Endo – die vermutlich poetischste kleine Story in Hatschi! © Carlsen Manga!
KUSHAMI URASAWA NAOKI TANPENSHU by Naoki URASAWA © 2019 Naoki URASAWA / SHOGAKUKAN.

Urasawa machte bei dieser Kurzgeschichte alles in Eigenregie – um dem Multi-Instrumentalisten Endo seinen Respekt zu zollen, zeichnete er alle Hintergründe, inkte, radierte und rasterfolierte selbst. Gewissermaßen ist It’s a Beautiful Day also ein pures Autorenstück. Wie es heißt, verleitete ihn die Arbeit an dieser Short Story auch dazu einen großen Anteil der Hintergründe bei Asadora! selbst zu zeichnen. Die Geschichte ist simpel, aber schön, die Pointe hat Herz und die Darstellung des ruralen Japans der frühen 1970ern ist hübsch geworden. Auch hier also ein recht starker Eintrag, bei dem man allerdings zwangsläufig den Kontext braucht, um noch mehr Gefühl daraus schöpfen zu können: 7/10

Musica Nostra (Erstveröffentlichung 2015 und 2017 im Grand Jump)

Ähnlich wie „Die alten Knacker“ besteht „Musica Nostra“ „erneut aus mehreren 2-seitigen Short Short Stories, wenn man so will, sieben an der Zahl. Hier erzählt Urasawa in kompakten Episoden von E-Gitarren, und wie männliche und weibliche Gitarristen performen. Diesen Abschnitt mochte ich tatsächlich gar nicht, weil Urasawa hier ein bisschen nach Gitarren-Mario Barth klingt. Ansonsten haben wir Urasawas Reise in die USA, zu den Sunset Sound Tonstudios in L.A., wo er gemeinsam mit Mike Viola und dem Schlagzeuger Jim Keltner Musik aufnahm. Ansonsten haben wir wieder einen Konzertbesuch von Neil Young und Paul McCartney beim Desert Trip, und ein Gespräch mit dem Apple Music Record Executive Jack Oliver.

Durch die assoziative, schwelgerische Art des Erzählens nimmt man Urasawa zwar seine Leidenschaft für das Erzählte ab, es berührt aber nur bedingt. Es ist mehr oder minder ein zweiter Teil der „alten Knacker“ und bildet als solcher die schwächsten Abschnitte der Anthologie, zumal ich hier auch die künstlerische Komponente am egalsten finde – es ist halt autobiografisch-anekdotischer, vergleichsweise spröder Slice-of-Life: 5.5/10

Das Königreich der Kaiju (Erstveröffentlichung 2013 im Big Comic)

Hier dreht Urasawa wieder ordentlich auf: Ähnlich wie Pluto mit kontrafaktischer Geschichtsschreibung und einer Welt gearbeitet hat, in der Roboter und künstliche Intelligenzen vollkommen normal in friedlicher, ko-existenzieller Weise in den Alltag der Menschen integriert sind, geht „Das Königreich der Kaiju“ von der Prämisse aus, dass Kaijus in der dargestellten Welt ein reales Phänomen sind – aber ausschließlich in Japan. Anders als in den meisten Godzilla-, Destoroyah, Mothra und Monsterverse-Produktionen hat die japanische Regierung die Situation hier ganz gut im Griff. Die Militäreinsätze sind routiniert, die Kaiju-Sichtungen werden als Touristenattraktion inszeniert.

Der französische kaiju-versessene Otaku Pierre hat sich mit seiner Reise nach Japan einen Traum erfüllt. Endlich kann er die mächtigen Kaiju-Monster in Persona sehen. In Tokyo begegnet er der toughen Regierungswissenschaftlerin Misaki, die das Aufkommen der Kaijus untersucht und zu ihnen angesichts eines persönliches Verlustes ein angespanntes Verhältnis pflegt. Obwohl die Monster zunächst auf den südlichen Inseln aufgetaucht sind, tauchen sie seit 1954 (was zugleich das Erscheinungsdatum des ersten Godzilla Films von Ishirō Honda ist)  beinahe regelmäßig in Tokyo auf, und verwüsten gezielt spezifische Abschnitte der Stadt.

Gemeinsam versuchen sie den Grund für dieses Phänomen aufzudecken und geraten abermals in eine Verschwörung.

Das Königreich der Kaiju ist eine Liebeserklärung von Urasawa an das Kaiju-Genre und setzt auf eine Reihe von Trademarks, die sein Werk auszeichnen. Gewissermaßen lässt es sich auch als Fingerübung für sein späteres Werk Asadora! betrachten, wenngleich der Vibe ein anderer ist. Aber wie auch bei Asadora! wird hier die Prämisse riesiger Monster, mit denen man sich schlicht auseinandersetzen muss, wie mit anderen Naturgewalten nochmal eine Ecke weitergedacht. Zugleich vermengt die Story ernsthafte, dramatische Momente mit einem eher skurrilen Humor. Künstlerisch mochte ich die Set Pieces und Charakterdesigns in diesem Stück, auch die farbigen Seiten sehen toll aus.

Neben „Wirf das Ding Richtung Mond!“ war diese Kurzgeschichte tatsächlich mein Lieblingswerk in Hatschi! und ist unbedingt empfehlenswert: 8.5/10 

Tanshin Funin/Solo Mission (Erstveröffentlichung 2016 in Humanoid’s „The Tipping Point“)

Das Ding hier ist eine Besonderheit – erstmalig erschienen in The Tipping Point, einer Kurzgeschichten-Anthologie im französischen Humanoids-Verlag wird die Sci-Fi Geschichte entgegen der klassischen Manga-Lesart im westlichen Stil von links nach rechts gelesen. Durch die westliche Veröffentlichung ist die Geschichte, ebenso wie Henry & Charles, komplett in Farbe gehalten.

Wir begegnen einem humanoiden, außerirdischen Paar – der Mann, eine Art Berufsheld, ist in ein Streitgespräch mit seiner Frau verwickelt. Wieder soll er auf eine selbstmörderische Rettungsmission auf einen gefährlichen Planeten geschickt werden, deren Ausgang ungewiss ist. Er argumentiert, dass er für seine Familie sorgen müssen, das Haus sei nicht abbezahlt, und die teuren Schulgebühren für den Sohnemann müssen aufgebraucht werden, um ihm eine einfachere Zukunft zu ermöglichen.

Die Rettungsmission endet ebenso lakonisch, wie unerwartet.

Die künstlerische Seite hat mir ganz gut gefallen, die umfassend kolorierten Sci-Fi Szenerien erinnerten mich ein klein bisschen an Moebius-Werke. Die Geschichte hatte ihren unterschwellig ernsthaften Ton, richtig investiert war ich aber nicht. Dazu war die Geschichte auch letztlich zu abrupt in ihrem Erzählrhythmus.

Zugleich wirkt der Titel aber auch wie eine bissige, gesellschaftliche Kritik: Tanshin Funin bezeichnet wortwörtlich „irgendwo in die Einsamkeit hin entsandt werden“ und ist ein Terminus, der das Außendienstler-Leben japanischer Geschäftsleute fernab ihrer Familien umreißt. Vielleicht ist die Geschichte tatsächlich ein lakonisches Plädoyer für mehr Fokus auf das Familiäre. Was bringt es, der aufopferungsbereite, in klassischen Rollenmustern verhaftete Provider einer Familie zu sein, wenn man dabei im schlimmsten Fall alles verliert. In dieser Lesart kann man der Geschichte vielleicht ein bisschen mehr abgewinnen, aber letztlich hat sie mir nicht allzu viel gegeben: 6/10 

Zeichnungen und Art Style

Weitgehend zieht sich durch alle Short Stories der klassische, detaillierte Urasawa-Stil mit seinem Hyperfokus auf Einzelheiten und den expressiven Gesichtern. Trotz allem haben wir durch die zeitliche Spanne der Veröffentlichungen und durch den Charakter der jeweiligen Publikationen eine ganze Bandbreite an Nuancen im unverkennbaren Stil: Wir haben das cartoon- und slapstickhafte in Henry & Charles, wir haben den schnellen, skizzenhaften Look in den anekdotischen, tagebuch-ähnlichen Musik-Ausflügen (Die alten Knacker, Musica Nostra) und die Anlehnung an franko-belgische Sci-Fi Stories in Tanshin Funin. Auch bei den größeren Short Stories gibt es verschiedene Facetten aus dem Urasawa-Oeuvre – ein „Königreich der Kaiju“ ist eine ähnlich nostalgische Liebeserklärung an das Kaiju-Genre wie das spätere Asadora!; „Wirf das Ding Richtung Mond!“ erinnert sowohl erzählerisch, als auch künstlerisch an die Billy Bat-Reihe, was sich auch in den Charakterdesigns wiederspiegelt.

Wer also den zeichnerischen Stil von Naoki Urasawa mag, kommt bei Hatschi! voll auf seine Kosten.

Aufmachung und zusätzliche Inhalte

Carlsen Manga! vertreibt den Band als Paperback mit Klappenbroschur im größeren Format von 14,5 x 21 cm mit 194 Seiten. Der Band ist für 15 EUR erhältlich und als solches außerordentlich fair bepreist.

Die Autorenkommentare geben spannende Insider-Informationen zum Entstehungskontext der jeweiligen Geschichten und sind ein ziemlich Mehrwert für Fans (und Einsteiger). Die Übersetzung von Martin Gericke (u.a. für die Lokalisierung von „Slam Dunk“ verantwortlich) ist weitgehend gut gelungen, die originären SFX wurden beibehalten, Textboxen und Lettering sind so gesetzt, dass sie optisch korrespondieren. Insofern macht sich Hatschi! mit Blick auf seine Wertigkeit ganz gut im Manga-Regal.

Fazit:

Hatschi! ist eine wirklich tolle Kurzgeschichten-Anthologie, die für Urasawa-Ultras ebenso interessant ist, wie für Einsteiger. Die zwischen 1995 und 2018 erschienenen Kurzgeschichten zeigen die ganze Bandbreite des Meisters und vermitteln in ihrer Kompaktheit die künstlerische und erzählerische Raffinesse, für die Urasawa so sehr geliebt wird. Ob irrwitziger Slapstick bei „Henry & Charles“,  schwarzhumorige Abgründigkeit bei „Damiyan!“ oder anekdotisches „aus dem Leben erzählen“ bei den Musik-Tagebüchern „Die alten Knacker“ und „Musica Nostra“ – Die Geschichten sind überbordend kreativ und zeigen eindrücklich, was für ein Tausendsassa dieser Mann ist. Natürlich zünden nicht alle Stories gleichermaßen, aber als Gesamtwerk ist das Ding eine absolute Empfehlung!

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Hatschi!: Travelogue, Musikjournal, Kaiju-Parodie, Comedy und mehr Lieblingsthemen von Naoki Urasawa

ISBN-13 978-3551801227 ISBN-10 3551801223

Umfang: 194 Seiten

Maße: 14.6 x 1.68 x 21 cm

Paperback, flexibler Einband, mit Klappbroschur

Preis: EUR 15,00, erschienen bei Carlsen Manga!

 

 

 

Hatschi! Kurze Geschichten von Naoki Urasawa

Damiyan! - 7.5
Wirf das Ding Richtung Mond! - 8.5
Die alten Knacker - 5.5
Henry & Charles - 8.5
Its's a Beautiful Day - 7
Musica Nostra - 5.5
Das Königreich der Kaiju - 8.5
Tanshin Funin/Solo Mission - 6
Illustration - 9.1
Umfang - 8

7.4

Hatschi! ist eine wirklich tolle Kurzgeschichten-Anthologie, die für Urasawa-Ultras ebenso interessant ist, wie für Einsteiger.

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