Game Review: The Chant und DLC The Gloom Below für PlayStation 5 – Grundsolider Sekten-Horror mit unverbrauchtem Setting

Sekten und ihre streng hierarchischen Strukturen üben eine morbide Faszination auf die Leute aus: Nicht umsonst sind diese pseudoreligiösen Gruppierungen regelmäßig Teil von True Crime-Formaten jedweden Mediums. Gerade für VOD-Anbieter Netflix scheint das Thema ziemlich ergiebig zu sein: Ob Colonia Dignidad, NXIVM, Branch Davidians, die Bhagwan-Bewegung oder die diversen Beiträge rund um Charles Manson und seine Family. Es gibt eine Vielzahl an New Age- und Sekten-Dokumentationen, die irgendwie alle verdammt erfolgreich sind. Im filmischen Horror-Bereich sind Sekten auch Thema: Midsommar oder Mandy dürften in jüngerer Vergangenheit besonders hervorzuheben sein. Im Videospiel-Horror hingegen sind sektiererhafte Gruppierungen noch nicht so richtig präsent: Der Shooter Far Cry 5 nimmt zwar Bezug auf die Branch Davidians und das Waco-Massaker und so ziemlich jedes Fantasy-Rollenspiel hat irgendwann eine Quest, die sich um eine wirre Sekte dreht – aber so richtig explizit im Zentrum der Handlung sind die Gruppierungen dann doch vergleichsweise selten: The Chant, das Debüt vom kanadischen Studio Brass Token, nimmt eine New Age-artige Sektenprämisse zum Anlass, kurzweiligen psychologischen Horror zu inszenieren, der letztes Jahr im Oktober über das Plaion Sublabel Prime Matter erschienen ist. Wir haben den Release des kostenlosen DLC „The Gloom Below“ zum Anlass genommen, um sowohl das Hauptspiel als auch den DLC unter die Lupe zu nehmen.

Ein Trauma als Ausgangspunkt – Der Antriebmotor allen psychologischen Horrors

Unsere Protagonistin Jess Briars hat offenbar ein schweres Päckchen zu tragen – welches, das wissen wir als Spielende lange Zeit nicht. Doch das Leben in der Großstadt und ihre Karriere als Biomedizinerin haben sie ausgebrannt. Da scheint eine Einladung ihrer alten Freundin Kim zu einem spirituellen Retreat genau passend. Einerseits ist das vielleicht eine Möglichkeit, ihre Vergangenheit zu verarbeiten, andererseits kann sie den Anlass nutzen, um mit ihrer alten Freundin zu reconnecten. Denn nach einer gemeinsam erlebten Tragödie, während der Teenager-Jahre, drifteten die Leben der beiden Freundinnen wenig auseinander auseinander.

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Das spirituelle Camp ist nicht ganz das, was wir uns erhofft haben © Plaion
© Prime Matter

Nach einer kurzen Exposition ist Jess also per Boot auf dem Weg auf die einsam gelegene Insel Glory Island, die bereits in den 1970ern eine Kommune beherbergte. Wir lernen eine kleine Gruppe von „festen“ Mitglieder*innen des Prismic Science Spiritual Camps  kennen: Der Guru Taylor Anton mutet mit seinen schulterlangen strubbeligen Haaren ein bisschen Charles Manson-mäßig an – ansonsten treffen wir auf Sonny Sonti, den Sohn einer wohlhabenden Unternehmer-Familie, der um die Anerkennung seines Vaters buhlt; Maya Kalani, eine ältere, freundliche Frau, die ihre eigenen familiären Verluste zu überwinden hat; Hannah Wilson, eine freundliche Spiritualistin und die Weggefährtin und rechte Hand von Taylor. Und natürlich wäre da noch unsere frühere beste Freundin Kim, die sich in der Spiritualität vor allem eine Abhilfe für ihre regelmäßigen Tobsuchtanfälle erhofft. Man merkt – das Bindemitglied zwischen allen Mitglieder*innen des Camps sind Schicksalsschläge existenzieller Natur sind.

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Immer wieder gibt es auf Glory Island auch Umgebungsrätsel – Hier müssen wir wieder den Leuchtturm in Gang bringen © Plaion
© Prime Matter

Vorher fungiert ein Rückblick allerdings noch als Prolog: Im Jahr 1972 geht auf Glory Island ein Ritual vonstatten, bei dem das Tor in eine fremde „prismatische“ Dimension“ aufgestoßen werden soll – Eine schwangere namenlose Frau flieht, die mit ihrem Prisma offenbar wesentlicher Bestandteil dieses Rituals ist. Der aufgebrachte Anführer des Kultes befiehlt seinen Leuten, sie zu verfolgen, man sei sonst „dem Untergang geweiht“. Die Flucht ist hier gewissermaßen basales Tutorial: In der Rolle der mysteriösen Frau, die von den anderen bloß als „Tochter“ bezeichnet wird, lernen wir zu rennen, Hindernisse zu überwinden und Widersacher wegzustoßen. Doch schlussendlich stehen wir am Rande einer Klippe: Vor uns bloß die Tiefe und das tosende Meer. Was wir allerdings hinter uns vernehmen, ist nicht mehr menschlicher Natur – ein Monstrum setzt zum Angriff an – und so bleibt uns nur der Sprung, um die Frau und ihr ungeborenes Leben zu retten.

Doch zurück in der Gegenwart bleibt für die ohnehin skeptische Jess ebenfalls kein Auge trocken: Das scheinbar friedliche Wochenende bleibt nämlich alles andere als ruhig: Denn die psychedelische Dimension aus dem Prolog ist in den vielen Jahrzehnten keineswegs geschlossen worden: Sie ernährt sich von negativer Energie und gebiert grauenhafte Nebelwesen. Bei einem gemeinsamen Ritual mit mehrstimmigen Kehlkopfgesang (daher der Titel „The Chant“), der die Kraft der Prismen stärken und synchronisieren soll, und bewusstseinserweiterndem Tee, kommt es wie schon damals zu einem Abbruch. Aus dem heraufbeschworenen Nebel (der im englischen „The Gloom“ genannt wird) dringen Stranger Things-artige Monster, als unsere Freundin Kim plötzlich völlig durchdreht und verschwindet. Sie scheint, unabhängig von ihrem eigenen Aggressionspotential, von irgendetwas heimgesucht worden zu sein – etwas, das aber auch auf die anderen Jünger innerhalb der Gemeinschaft nach und nach übergeht.

Die Geschichte treibt recht zügig voran, was ich für ein Spiel dieser Art nicht verkehrt finde. Obwohl man Brass Token anmerkt, dass sie sich bemüht haben, den Charakteren eine plausible Backstory und ordentlich Profil mitzugeben, bleiben sie eine kleine Ecke zu schablonenhaft – Der unzureichende Spross einer wohlhabenden Familie, eine trauernde Mutter, eine junge Frau mit psychotischen Episoden – die Schicksale werden nicht differenziert und feinfühlig auserzählt, sondern sind nur Mittel, um die Backstories checkpointartig abzuklappern und auf die entsprechenden Bosskämpfe vorzubereiten. Die Hintergrundgeschichte von Glory Island und der Prismenforschung empfand ich indes als erstaunlich gehaltvoll, was die Lore angeht. Letztlich ist The Chant aber eben doch „nur“ ein kurzweiliges spielbares B-Movie. An die rührende Beziehungsdynamik von beispielsweise Joel und Ellie in The Last of Us kommt The Chant erzählerisch zu keinem Zeitpunkt ran.

Survival Horror mit leichten Action Rollenspiel-Anleihen

Im Kern ist The Chant ein Survival Horror-Titel: Das heißt natürlich, dass wir uns gegen allerlei Monster mit limitierten Ressourcen behaupten müssen. Der Survival Horror, den The Chant aber inszeniert, ist aber durchaus mit Anleihen beim Adventure- und Action-Rollenspielbereich garniert und hebt sich damit angenehm vom Genre-Einerlei ab. Die Welt ist geschlossen offen – mit dem spirituellen Camp als Hub können wir einzelne Areale der Insel im späteren Verlauf jederzeit erneut betreten. Hier haben sich Brass Token ein ganz klein bisschen Metroidvania-DNA geliehen. Denn um die durchaus weitläufigen Passagen zu erreichen, müssen wir einerseits die entsprechenden farblich markierten Prismen mitbringen, andererseits Resident Evil-mäßig Schlüssel und prismenartige Formen einsammeln, zusammensetzen und in entsprechende Vorrichtungen und Schlösser einfügen.  Die einzelnen Areale sind an spezifischen Stellen über unterirdische wabbernde Gänge miteinander verbunden, sodass sich das Backtracking aber dankenswerterweise in Grenzen hält.

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Hier beim Kampf gegen die Kultisten: Um zu bestehen, müssen wir die drei Werte Verstand-Körper-Geist im Blick behalten © Plaion
© Prime Matter

Eine relativ große Rolle nimmt das Crafting ein: Denn wir können aus verschiedenen Komponenten verschiedene spirituelle Nahkampfwaffen basteln, die jeweils unterschiedlich stark gegen spezifische Widersacher sind. Salbeipflanzen und Zweige lassen sich zu Salbeifackeln zusammenbinden, die etwa besonders effektiv gegen Schwärme sind. Mit dornigen Zweigen und Ranken lassen sich Feuerpeitschen kreieren, die wiederum mehr Schaden bei Monstern außerhalb des Nebels verursachen. Und mit Hexenstäben können wir den Kreaturen Geist-Energie abziehen und gleichzeitig konträr zur Feuerpeitsche INNERHALB des Glooms mehr Schaden zufügen. Die Widersacher sind mit farblich markierten Lebensbalken versehen, die uns Hinweise darauf liefern, welche Waffen hier besonders wirksam sein könnten. Nebst den zu craftenden Nahkampf-Utensilien gibt es auch noch liquide Helferlein wie Salz und verschiedene ätherische Öle, die wir wahlweise als Falle auslegen- oder als Wurfobjekte nutzen können, um Gegner beispielsweise in Brand zu setzen.

A Body & Soul Complex: Oder behalt deine Werte im Auge

Zugleich sind die Crafting-Zutaten (beispielsweise Salbei oder Ingwer) aber auch klassische Heilungsmittel. Da müssen wir gleich mehrere Anzeigen beachten: Denn nicht nur unser Körper kann Schaden nehmen, sondern auch unsere Seele. The Chant unterscheidet zwischen Körper, Verstand und Geist. Das wohl gängigste Attribut ist hierbei der „Körper“-Balken, der ganz simpel auf eure Gesundheit verweist. Ist der Balken leer, gibt es den klassischerweise den digitalen Exitus. Auffüllen können wir unsere Gesundheit beispielweise mit Ingwer. Wir können im Verlauf des Spiels aber unsere Gesundheitsbalken erweitern, in dem wir Erfahrungswerte sammeln. Diese erhalten wir sowohl durch den Konsum von Ingwer (+10), als auch durch das Bekämpfen von Gegnerwellen.

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Ist unsere Verstand-Anzeige auf 0 gesunken, geraten wir in Panik – Die Sicht wird verschwommen und wir können uns nicht mehr zur Wehr setzen © Plaion
© Prime Matter

Der Verstand-Balken hingegen ist Indikator für unsere geistige Gesundheit: Bei Auseinandersetzungen, gerade innerhalb der Gloom, leidet unsere Psyche – ist der Balken leer, geraten wir in Panik und können uns nicht zur Wehr setzen. Dann können wir nicht angreifen, die Sicht wird verschwommen und wir sind anfällig für drastische One Hit Kills. Abhilfe schafft da nur, dass wir wegrennen und eine temporär sichere Zuflucht finden. Auch dieses Attribut ist erweiterbar: Erfahrungspunkte im Verstand-Bereich bekommen wir, indem wir die zahlreichen Dokumente, Tagebucheinträge und Filmrollen einsammeln und anschauen.

Hier kommt dann das dritte Attribut, der Geist, ist Spiel: Wir können unseren Geist-Wert dazu nutzen, um zu meditieren: Dieser füllt unseren Verstand-Wert wieder auf. Gleichermaßen erlaubt er uns, unter Nutzung der verschiedenen Prismensteine, die wir uns im Laufe der Geschichte aneignen, verschiedene mächtige Spezialangriffe auszuführen. Da können wir dann die Gegner verlangsamen, zurückwerfen oder aus dem Boden greifende Hände unterstützen uns beim Kampf.

Zu guter Letzt gibt es beinahe Action RPG-mäßig einen Fähigkeitenbaum, den wir mit zunehmenden Erfahrungspunkten in den einzelnen Kategorien immer weiter ausbauen können. Durch diese Anleihen bei anderen Genres, fühlt sich The Chant gleichzeitig vertraut und frisch an. Für ein Debüt im AA-Bereich ist das ja eigentlich eine ganz gute Sache.

Dynamische, fordernde Kämpfe

Ich habe The Chant für diese Review auf den ersten beiden Schwierigkeitsgraden gespielt: Mit dem Story-Modus kommt man ohne viel Mühe recht gut voran. Bereits der mittlere Schwierigkeitsgrad wirkt aber schon durchaus fordernd. Die Übersicht über die drei Werte zu wahren, das Auswählen oder vielleicht sogar noch Craften der passenden Waffe für den passenden Gegnertypus und das Dodgen von gegnerischen Angriffen erfordert eine gewisse Eingewöhnungsphase, fühlt sich aber recht befriedigend an, sobald man die durchaus dynamische Kampfmechanik so ein bisschen internalisiert hat. Bei mehreren Widersachern kann es durchaus schon mal sein, dass Flucht die bessere Wahl ist. Zugleich gehen dann aber wiederum wertvolle Erfahrungspunkte flöten. Hier muss man dann gegebenenfalls ein bisschen abwägen.

Die Designs der Nebelkreaturen haben mir durchweg gefallen und sind vermutlich durchaus auch von Stranger Things inspiriert: Zu Beginn stoßen wir vor allem auf die sogenannte Kultisten, eher humanoide Wesen, die vor allem durch ihre Bocks- Bären- und Hirsch-Schädel markant sind. Später dann auch die Mimikriecher, die bisschen wie die Demigorgons aus der oben genannten Serie anmuten, sich aber auf vier Beinen kriechend fortbewegen oder riesige Wabenkröten, die durch die Nebelwürmer mutiert sind. In den Passagen innerhalb der Gloom finden wir aber auch immer wieder pflanzenartige Manda-Samenkerne (15 an der Zahl), die das Tor zur Nebeldimension bilden. Zerstören wir diese, verschwindet der Nebel. Immer wieder finden wir, bevor ein neues Monster eingeführt wird, Einträge aus einem Bestiarium. Dieses verweist auch auf mögliche Schwachstellen der einzelnen Kreaturen.

Interessanter Artstyle, schwache Technik

Schwächstes Glied von The Chant ist ganz klar die Grafik und die Performance. Obwohl exklusiv für PlayStation 5, Xbox Series und PC, sieht der Titel aus, als könnte er problemlos auch auf der Last Gen laufen. Ein bisschen hat mich The Chant hierbei an The Medium vom polnischen Bloober Team erinnert, bei dem ich ähnliches gedacht habe. Leider sind die Charaktermodelle allesamt recht detailarm und muten wie remasterte Models aus der PS3-/Xbox360-Generation an – die leicht hüftsteifen Animationen verstärken den Eindruck. Die Umgebungen sind in ihrer Qualität durchwachsen: Manche Passagen, gerade die Abschnitte am Leuchtturm, wirken visuell sehr wertig, auch die Wälder wirken schön dicht – andere, wie etwa die Minen, wirken hingegen merkwürdig schwach texturiert. Auch die eigentlich doch recht prominenten Licht- und Schattenspiele hätten hochwertiger ausfallen können.

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Gerade in den Minen fällt die schwächere Technik von The Chant auf © Plaion
© Prime Matter

Das ist insofern schade, weil ich die generelle künstlerische Ausrichtung von The Chant ziemlich cool finde: Die Atmosphäre ist sehr dicht, wenngleich nicht unbedingt sehr creepy; Gerade die Farbpalette des Spiels mit der Dominanz und Kontrastierung dunkelblauer und purpurner Tönen trägt zu einer entrückten Stimmung bei, die irgendwie ein bisschen 80s-mäßig anmutet. Irgendwo zwischen Stranger Things, Neon Demon und dem eingangs erwähnten Nicholas Cage-Film Mandy, bei dem man sich, der Verdacht liegt wohl nahe, sowohl thematisch wie auch künstlerisch bedient hat. Hier hätte man mit schickem Raytracing und besserer Lichtdynamik so viel mehr draus machen können. Auf der anderen Seite ist Brass Token immer noch ein Indie-Studio und der ambitionierte Scope des Spiels ist nun nicht gerade klein, insofern ist das vielleicht auch einfach eine Budget-Frage.

Toller Score und erstaunlich gute Sprecherleistungen

Die deutschen Sprecher von The Chant machen einen wirklich, wirklich guten Job. Im Original wurden aufstrebende Schauspieler*innen für die Rollen gecastet, die nicht nur die Charaktere eingesprochen, sondern auch via Motion Capturing animiert haben. Die aus der Comic-Adaptierung Deadly Class bekannte Siobhan Williams etwa hat Jess verkörpert, die kanadische Schauspielerin Nicole Anthony, primär bekannt als Voice Actress für Animationsfilme, Maya. Die deutsche Fassung muss sich aber keineswegs lumpen lassen: Die Sprecher*innen bringen stimmlich alle das nötige Charisma mit, um die Charaktere glaubhaft zu vertonen. Auch die Lokalisierungsarbeit bei The Chant ist super. Hier hätte ich mir dann beinahe doch gewünscht, dass das Script den Charakteren mehr Tiefe verliehen hätte.

Der Score passt zu der angesprochenen 80s Atmosphäre – Pulsierende, wabernde Synthie Klänge, die ebenfalls ein wenig an Stranger Things erinnern, passen zu der hypnotisch-entrückten Atmosphäre, die The Chant heraufbeschwören will. In den Kampf- und Flucht-Sequenzen sowie  während der Bossfights intensivieren sich die Instrumentals natürlich deutlich und sorgen zusammen mit dem fordernden Game Loop für eine nervenaufreibende Stimmung.

The Gloom Below DLC – Kurzweiliges, kostenloses Add-On im pulsierenden Nexus

Das kürzlich erschienene DLC The Gloom Below setzt zwar unmittelbar nach dem Ende von The Chant an, doch so eine richtige inhaltliche Anbindung an das Hauptspiel gibt es dann irgendwie doch nicht. Die Prämisse ist jene, dass sich der Nebel außerhalb der Insel mit der Realität verschmolzen hat. Wir landen im sogenannten Nexus, wo wir auf Taylors Großvater Monroe Anton treffen, der irgendwie in dieser wabbernden, fleischigen Masse gefangen gehalten wird. Obwohl Anton Senior ein zentraler Antagonist ist, müssen wir irgendwie mit ihm kooperieren. Das beinhaltet, dass wir uns durch verschiedene individuell abzuarbeitende Areale des Nexus kämpfen müssen, um dort sogenannte „Prisma Masken“ aufzuladen. Auch hier schalten wir nach und nach neue Fähigkeiten frei – Das Upgradesystem unterscheidet sich aber in erheblicher Weise vom Hauptspiel – Das hat zur Folge, dass unser vervollständigter Skill Tree aus dem Hauptspiel komplett zugunsten des DLC-eigenen Ausbausystem ad acta gelegt wird. . The Gloom Below mutet mit seinem auf Repetition beruhenden Game Loop beinahe ein bisschen Roguelike-mäßig an. Obgleich ich inhaltlich mit dem DLC nicht viel anfangen konnte, fand ich den Fokus auf Kampf- und Exploration durchaus erfrischend.  Die Kämpfe fühlen sich im DLC sowohl taktischer, als auch etwas flowiger an. Die Umgebungen sind zudem surrealer als im Hauptspiel, da alles innerhalb der verzerrten Nebel-Dimension stattfindet. Generell: Der DLC bietet nochmal 2-3 Stunden zusätzliche Spielzeit. Dass Brass Token den zusätzlichen Content vollkommen kostenfrei anbieten, ist sympathisch. 

Fazit:

Mit The Chant hat das kanadische Brass Token-Studio ein ziemliches okayes Debüt abgeliefert. Die psychedelische Horror-Experience ist grundsolide inszeniert und bietet dabei ein angenehm unverbrauchtes Setting. Die Sekten-Thematik hat ordentlich Raum für surrealen psychologischen Horror: Erzählerisch ist The Chant allerdings ein zweischneidiges Schwert. Jess ist eigentlich eine coole Protagonistin, die mit ihrer tragischen Vergangenheit, eine glaubwürdige Backstory für den spirituellen Retreat auf der entlegenen Insel mitbringt. Auch bei den anderen Charakteren hat sich Brass Token bemüht, biografische Details sinnvoll mit der Geschichte zu verweben. Leider sind die aber etwas zu sehr nach Schema F angefertigt und bieten nicht genug Ambivalenz in der Charakterzeichnung, um tatsächlich nach- oder mitzufühlen. So bleibt es letztlich beim simplen, checkpoint-artigen Abklappern der individuellen Traumata, die immer wieder in unterschiedlich gestalteten Bossfights münden. Ein „The Last of Us“ fühlt sich da schon deutlich menschlicher und rührender an. Die Hintergrundgeschichte mit der von Monroe Anton begründeten „Prismenwissenschaft“ ist dann aber interessant genug, als dass man bei der Geschichte am Ball bleibt. Das grundsätzliche Spieldesign fand ich eigentlich schön ineinander greifend: Die spirituellen Nahkampf-Waffen, der Crafting-Fokus, die unterschiedlichen Werte wie Verstand – Körper – Geist mit ihrem ebenfalls spirituellen Bezug, die gegnerischen Kreaturen mit ihren unterschiedlichen Schwächen und den Stranger Things-artigen Designs, der ausbaubare Fähigkeitenbau und die einerseits streng lineare, aber doch irgendwie leicht offene Welt, bringen genug Eigenständigkeit mit, als dass man sich als Spieler*in gut unterhalten fühlt. Hier wurden viele Elemente anderer Titel und Genres zusammengefügt, aber im Gegensatz zu beispielsweise Mato Anomalies (ebenfalls über das Prime Matter-Label erschienen), fühlt sich die Genre-Melange hier durchaus harmonisch an. Der Schwierigkeitsgrad ist m.E. recht knackig: Schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad fand ich spezifische Momente recht ordentlich und brauchte mehrere Anläufe. Die Rücksetzpunkte sind aber zum Glück immer fair platziert. Größter Schwachpunkt ist die Technik: Obschon The Chant mit seiner psychedelischen, irgendwie Neon-artigen Farbpalette durchaus stilsicher wirkt, sind die Texturen, Modelle und Lichteffekte dann doch relativ simpel gehalten – in seinen besten Momenten gibt es visuell ein paar nette Set Pieces, in den schlechtesten Moment wirkt The Chant wie ein PlayStation 3-Remaster. Hier zeigt sich dann, gerade angesichts der Current Gen-Exklusivität, der AA-/Indie-Game Status noch am ehesten. Mit „The Gloom Below“ hat Brass Token zudem kürzlich ein kostenloses DLC geliefert, das vor allem den Action-/Survival Horror-Part in beinahe Roguelike-artiger Manier ins Zentrum stellt. Sehr schöner Fanservice. Abschließend halte ich fest: The Chant ist sicherlich nicht ohne Schwächen, aber ich hatte viel kurzweiligen Spaß damit. Als Indie/AA-Debüt ist The Chant aber ein gelungener Auftakt und ich bin gespannt, in welche Richtung Brass Token künftig gehen werden. 

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Grafik - 5.5
Story - 6.5
Technik - 6
Umfang - 7.5
Spielspass - 7.5

6.6

Grundsolide Horrorkost in unverbrauchtem Setting. Schön verzahnte Gameplay-Mechaniken - leider gibt es technische und erzählerische Schwächen.

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