Game Review: Cannon Dancer – Osman für Nintendo Switch: Ebenso obskures wie wahnwitziges Arcade Side-Scroller Actionbrett

Versierten Arcade-Fans dürfte der Name Kouichi Yotsui vermutlich durchaus ein Begriff sein. Als Game Designer erlangte er vor allem während seiner Zeit bei Capcom eine gewisse Reputation für den nach wie vor hervorragenden Action Plattformer Evergreen Strider. Dieser frühe Capcom-Hit von 1989 überzeugte zum Ende der Dekade mit einer grandiosen Spielbarkeit, innovativen Spielmechaniken und einem herrlich treibenden Score und war Blaupause für viele namhafte und ebenso einflussreiche Titel: In den 00er Jahren schöpften die kreativen Köpfe hinter Blockbuster Serien wie Devil May Cry oder God of War noch von der Strider-DNA. Aber auch CAPCOM selbst bediente sich seinerzeit bei dem Hit: Der Antagonist Tong Pooh etwa fungierte als Inspiration für den Street Fighter Charakter Chun-Li und Keiji Inafune, Miterfinder von Mega Man, hat bei Mega Man X Referenzen an den Klassiker eingebaut. Strider wurde folgerichtig im Laufe der Zeit für alle möglichen Plattformen portiert. Nach seinem Weggang von Capcom ging Yotsui u.a. zu Mitchell Corp., wo er 1996 einen spirituellen Nachfolger zu Strider konzipierte: Cannon Dancer, welches im Westen als Obskurium unter dem Namen Osman erschien und nochmal in allen Aspekten richtig aufdrehen wollte. Anders als das prominente Vorbild, fristete Cannon Dancer eher ein nischiges Underdog-Dasein. Das lag nicht zuletzt daran, dass klassische Side Scrolling-Action langsam aber beständig von aufwendigen 3D Arcade Titeln verdrängt worden ist. Zweieinhalb Jahrzehnte später schafft es das opulente 2D Action-Brett aber endlich auf die heimischen modernen Systeme. Ausgerechnet das deutsche, im schwäbischen Kirchheim unter Teck beheimatete Label ININ (United Games Entertainment GmbH) hat sich erbarmt und das verlorene Juwel in frischem Glanz erstrahlen lassen. ININ hat uns die Nintendo Switch Fassung zur Verfügung gestellt. Schauen wir uns also an, was Dantes abgefuckteres Großväterlein so zu bieten hat.

Cannon Dancer – Osman – Konfuse Namensgebung aufgeklärt

Cannon Dancer – Osman klingt sperrig. Der Titel erklärt sich aber durch klassische Lokalisierungsarbeit der 90er Jahre. In Japan schlicht Cannon Dancer bzw. Cannon-Dancer (mit Bindestrich) betitelt, hat man das Ding im Westen als Osman vermarktet – bedingt durch den arabesquen Artstyle des Spiels. Doch tatsächlich sind die Inspirationen teilweise falsch interpretiert worden – Die Haremshose des Protagonisten Kirin ist nicht etwa den Märchen aus 1000 und einer Nacht entlehnt, sondern der Baggy-Tracht der japanischen Working Class. Die jetzige Arcade-Umsetzung umfasst beide Titel, die aber im Wesentlichen identisch sind und sich nur bei der Namensgebung mancher Figuren unterscheiden. Ansonsten hat die Umsetzung das übliche Mindestmaß an Retro-Treatment erfahren: Es gibt Speicherslots, Cheat Optionen, einen integrierten Trainer mit ein- und ausschaltbaren Modifikationen und einen umfangreichen CRT Filter, bei dem man Detail-Parameter wie Bildschirmkrümmung, Scanlines, Körnungsgrad etc. einstellen kann. Auch eine Rückspulfunktion und eine unbegrenzte Anzahl an Credits ist naturgemäß mit dabei, und die ist gerade am Anfang auch bitter nötig: Denn der Schwierigkeitsgrad ist Arcade-typisch eher knackig und nicht immer ganz fair. Ansonsten aber hat ININ eher minimalistische Gestaltungsmühen aufgefahren – Die Menüs sind grafisch eher spartanisch geraten und auch etwaiges Bonusmaterial sucht man vergebens. Die technische Umsetzung, auch unter Beteiligung von Yotsui, ist aber dennoch einwandfrei und lässt wenig bis keinen Raum für Kritik.

Arabischer Cyberpunk-Fiebertraum

Bereits Strider konnte sich in den Spielhallen der Spätachziger durch seine pulsierend-surrealistische Gestaltung abheben. Im futuristischen Russland des Jahres 2048 musste sich Strider Hiryu gegen die Schergen des finsteren Grand Master Meio behaupten und schnetzelte sich mit akrobatischen Einlagen und mithilfe des Schwertes Cypher durch zahlreiche synthetische und organische Gegnerhorden. Die futuristische Ninja Action war mit dem überbordenden Design und Russland als Antagonisten ein absolutes Kind des Kalten Krieges.

Cannon Dancer Osman Menü

Das Menü bei der Neuauflage sieht eher spartanisch aus © ININ Games

Bei Cannon Dancer indes wurde Russland gegen ein Setting in einer cyberpunkigen Iteration des türkisch-arabischen Raumes eingetauscht. Die erste Stage etwa ist Agadan, beim persischen Golf, es verschlägt uns aber auch mitten auf den Indischen Ozean oder in die kabillische Wüste. Dabei macht Cannon Dancer als 2D Titel eine lupenreine Figur, ist wunderschön gepixelt mit wunderschönen, großen Sprites – Überall passiert etwas, die Farben sind knallig, die Effekte und großdimensionierten Zwischen- und Endbosse füllen den kompletten Bildschirm. Cannon Dancer zeigt, was Mitte der 90er im 2D Bereich alles möglich war.

Die irrwitzigen Gegnerdesigns bei Cannon Dancer würden auch gut in ein Bayonetta hineinpassen © ININ Games

 

Der arabesque Artstyle steht dabei Cannon Dancer sehr gut zu Gesicht und wirkt auch anno 2023 noch herrlich frisch. Die Gegnerdesigns sind herrlich schräg und würden auch wunderbar in einen Bayonetta-Teil reinpassen. Bei all den kleinen Details und dem Spektakel, das auf dem Monitor entfacht wird, bleibt kein Auge trocken.

Schade ist aber, dass der Soundtrack, der ja bei Strider noch sehr prominent in den Gehörgängen verbiss, hier deutlich lo-fi-ger und minimalistischer daherkommt. Gerade die visuellen Fieberträume hätten mit einem treibenden, melodiösen Soundtrack versehen werden können.

Gameplay zwischen Platformer, Beat ‚em‘ Up und Bullet Hell

Mit Kirin haben wir einen Protagonisten, der im Gegensatz zu Hiryu waffenlos vorgeht und komplett auf Nahkampf setzt. Der temporeiche Melee Combat Aspekt fühlt sich ebenso befriedigend an wie die Vertikalität der Levels.

Kirin mit seiner Haremshose und dem Pferdeschwanz ist optisch ein typisches Kind des 80er und 90er Action-Kinos, irgendwo zwischen Seagal, Jean-Claude Van Damme und Terry Silver aus Karate Kid.

Cannon Dancer Indischer Ozean

Protagonist Kirin ist optisch ein Kind seiner Zeit, hier prügelt er sich inmitten der Weiten des indischen Ozeans © ININ Games

Wir schnetzeln und hüpfen uns durch die Stages und bewältigen in regelmäßigen Abständen Zwischen- und Endbosse.  Das Gameplay hat aber dennoch einige Charakteristika, bei denen man klar vernehmen kann, dass es sich eben doch um ein Strider-Sequel im Geiste handelt:

So kann Kirin, ähnlich wie Hiryu, einen Slide vollziehen, indem man sich duckt und zugleich die Sprung-Taste betätigt. Bei gleichzeitiger Betätigung der Angriffstaste kann man aus dem Slide heraus Gegner angreifen. Es gibt mehrere Formen von Würfen – die fühlen sich auch sehr wuchtig an. So können wir aus dem Slide Angriff heraus einen Gegner greifen und ihn gegen andere Widersacher werfen, oder aber einen der Opponenten in der Luft packen und ihn gen Boden schmeissen. Der sogenannte „Shredding Dance“ ist eine Drei-Schläge-Kombination, die zwar mehr Schaden verursacht als ein regulärer Schlag, aber deutlich mehr Zeit für die Ausführung benötigt, in welcher man entsprechend verwundbar ist. Zu guter Letzt kann Kirin noch einen Spezialangriff ausführen, der ziemlich overpowered wirkt, offiziell als „Kirin Star Festival“ – Dabei handelt es sich um einen „Full-Screen Move“, der selbst Bossen erheblichen Schaden bereitet. Kirin prescht sternenförmig mit einer Kombination mehrerer Angriffe vor, und hinterlässt an allen Enden eine Kopie seiner selbst, die dann im Anschluss einen gemeinsam finalen Angriff in die Mitte des Bildschirms herein starten. Diesen Finisher kann man im Laufe eines Durchgangs dreimal ausführen.

Cabil Desert Cannon Dancer

Das kabillische Wüsten-Level geht direkt in die Vollen © ININ Games

Weiterhin kann Kirin in den Levels mehrere Arten von Power-Ups einsammeln, die, als witziges Detail, Kirins Haremshose farblich verändern. Mit den farblich unterschiedlichen Items kann Kirin etwa Energie Doppelgänger von sich erzeugen, die den Angriff wiederholen oder aber „Energietritte“ ausführen, die eine höhere Range haben.

Weiterhin gibt es aber natürlich auch Items, die einfach Gesundheit regenerieren, grüne Itembehälter stellen einen Balken wieder her, die selteneren blauen hingegen die komplette Gesundheitsleiste.

Cannon Dancer Artstyle

Cannon Dancer ist ganz große Pixelkunst © ININ Games

Die verschiedenen Moves und die Items sowie das ausgeprägte Platforming-Element sorgen bei versierten Spieler*innen dafür, dass das Spiel einen schönen Parcour-artigen Flow hat. Durch die Unmengen an Gegnern, die auch gerne Projektile verschießen, die Horizontalität der Levels fühlt sich Cannon Dancer aber auch oft an wie ein Martial Arts Shoot em Up, das tempo- und leveldesignbedingt aber auch an Sonic the Hedgehog erinnert. Ein Genrebrei, der eigentlich ziemlich cool klingt.

Der größte Kritikpunkt an Cannon Dancer ist vor allem eine Balance-Frage: Bereits Strider war klassischer Spielhallen-Münzfresser, der bewusst fordernd gestaltet war. Cannon Dancer zieht den Schwierigkeitsgrad nochmal merklich an und wirkt gerade in späteren Passagen beinahe unfair – Da gibt es Passagen, die sich ohne bewusstes Spammen des Finishers nicht lösen lassen. Strider wirkt hier durchdachter und „intelligenter“ gestaltet.

Cannon Dancer Boss

Manchmal halten die Bosse einen Monolog, der aber weniger von Belang ist © ININ Games

Ich bin nun nicht jemand, der ein wirklich „guter“ Zocker ist. Das heißt, ich habe viel Gebrauch der unendlichen Continues gemacht, und habe bei den weiteren Durchgängen durchaus auch Gebrauch des integrierten Trainers gemacht. Im „Challenge“-Modus, der ziemlich nah dran an der ursprünglichen Arcade-Experience sein dürfte, dürfte man als durchschnittlicher Spieler ziemlich oft das Zeitliche segnen, bevor man den Endscreen erreicht. Denn hier darf man weder bestimmte Features anmachen, noch die Rückspulfunktion oder Saveslots verwenden. Sind die drei Gesundheitsbalken weg, und das sind sie recht schnell, heißt es Game Over. Bedenkt man den Spielhallen-Hintergrund, gibt es auch folgerichtig eine kompakte Spielzeit von etwa einer halben Stunde pro Durchgang. Hier dürfte man dann die Preisgestaltung kritisieren, immerhin schlägt Cannon Dancer mit rund 30 EUR zu Buche. Andererseits handelt es sich bei ININ um ein vergleichbar kleines Label und der Titel ist eben doch sehr nischig. So kann man dankbar sein, dass das Spiel nach fast dreißig Jahren doch noch auf den heimischen Konsolen gelandet ist. Und die Arcade-Cracks wird es sicherlich so oder so erfreuen.

ININ hat dahingehend abseits des Fanboni-Mangels auch einen technisch einwandfreien Port geschaffen, der schon auf der Switch superflüssig über die Bildschirme läuft. Die anderen Versionen für die stationären Konsolen werden da vermutlich auch keine Federn lassen.

Fazit:

Cannon Dancer oder Osman ist ein visuell überbordendes Action-Brett von Kouichi Yotsui, dem man die Strider-DNA an jeder Stelle anmerkt. Yotsui hat aber bei diesem Werk alle visuellen und spielmechanischen Schrauben ordentlich angezogen, sodass man hier einen ebenso exzentrischen wie schwierigkeitsgradtechnisch knüppelharten Spielhallen-Münzfresser erstmalig auf der heimischen Konsole zocken kann. Dass die Spielbalance nicht ganz so „ausgewogen“ ist wie bei Strider kann man zwar ankreiden, letztlich hat ININ aber trotz fehlender Fan Boni und einem eher knackigen Preis/Leistungsverhältnis ein tolles Paket für Arcade-Enthusiasten geschaffen.

 

 

Cannon Dancer Osman [Nintendo Switch]

Grafik - 8.5
Story - 6
Technik - 8
Umfang - 5
Spielspass - 8

7.1

Visuell überbordender Fiebertraum, der Spielhallen-typisch einen knackigen Schwierigkeitsgrad hat. Cannon Dancer Osman ist ein obskures Retro-Kleinod, das die Luft eines Striders atmet, aber nicht ganz an dessen hervorragende Spielbarkeit heranreicht. Dennoch sollten Arcade Enthusiasten einen Blick drauf warten.

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