Die durchgeknallte Anarcho-Science Fiction von Gearbox‘ Borderlands-Reihe gibt erzählerisch zweifelsohne eine Menge Stoff her und muss sich dabei streng genommen an keinerlei fixe Genre-Konventionen halten. Das hat bereits zuletzt Tiny Tina’s Wonderlands gezeigt, dass aus der Space Opera/Endzeit-Vorlage kurzum ein High Fantasy-Szenario zauberte und sich popkulturell bei klassischen Pen & Paper-Rollenspielen á la Dungeon and Dragons bediente. Wer das Universum bisher zwar grundlegend sympathisch fand, aber der kooperativen Loot Shooter-/Action RPG-Mechanik unter der Haube nicht viel abgewinnen konnte, dem blieb das erzählgetriebene Abenteuer im Episodenformat von Telltale Games, welches vor acht Jahren unter dem Titel „Tales from the Borderlands“ erschien und dem Namen gemäß, den Fokus auf die wahnwitzigen Geschichten des Universums legte. Telltale Games ist in seiner Ur-Form mittlerweile seit 2018 Geschichte – zahlreiche Produktionen, darunter viele Sequels zu ähnlich gearteten Erzählabenteuern, wurden seinerzeit auf Eis gelegt; die Namensrechte gingen 2019 an das US-amerikanische Unternehmen LCG Entertainment, welche vor allem die alten Adventures weitervermarkten, aber mitunter auch die Produktion an The Wolf Among Us 2 wieder aufgenommen haben. Der Nachfolger zu „Tales from the Borderlands“ wurde indes intern beim Studio der Hauptreihe, Gearbox Software, entwickelt und ist gestern dann endlich erschienen. Wo die Hauptableger der Borderlands-Reihe die schrägen, aber heroischen „Vault Hunters“ in den Mittelpunkt stellen, verfolgen die „Tales“-Spin-Offs einen geerdeteren Ansatz und setzen den narrativen Schwerpunkt auf die Underdogs der Gesellschaft, die sich in dieser dystopischen, von Megakonzernen beherrschten Welt, behaupten müssen. Schafft „New Tales from the Borderlands“ mit dieser Prämisse also den Spagat zwischen substanzieller Kapitalismuskritik und krawalligem Blödsinn?
Die Geschichte einer Familie
Die Kids von heute lieben Triggerwarnungen – kaum eine der kontroverseren Netflix-Serien in jüngerer Vergangenheit kommt ohne aus. Und fehlt sie dann mal doch, wie etwa jüngst bei „Ich. bin. so. glücklich.“, dann hagelt es ebenfalls Kritik. „New Tales from the Borderlands“ geht also auf Nummer sicher und liefert, ob als Meta-Kommentar gedacht oder nicht, zu Beginn einen entsprechenden Hinweis und deutet auf „Themen der Gewalt und Ungleichheit“ hin, dass es „Szenen mit Selbstverletzungen, Brutalität und physischem und emotionalem Stress“ gebe und dass einige dieser Szenen Spieler*innen verstören könnten. Es sei aber eben auch Ziel, „eine tiefergehende Geschichte über eine gefundene Familie und Durchhaltevermögen zu erzählen“. Ambitioniertes Vorhaben also.
„New Tales from the Borderlands“ zirkuliert im Wesentlichen um drei Figuren, die ihre Ecken und Kanten haben, im Wesentlichen aber Sympathieträger*innen sind: Da haben wir die Wissenschaftlerin Anu – hochintelligent, gutmütig, aber eben auch dauerchaotisch und sozial ein bisschen awkward – Ihr Forschungsprojekt, eine nicht tödliche Waffe auf Eridium-Basis beißt sich mit den desolaten Moralvorstellungen ihres Arbeitgebers ATLAS Corp. – ein Rüstungsunternehmen, welches sein Geld eben mit dem Tod verdient ; Ihr eher weniger intelligenter Adoptivbruder Octavio versucht sich derweil als Möchtegern-Start-Up-Entrepreneur ohne zündende Idee und dann haben wir da noch die resolute, mit ihren ständigen Wutausbrüchen kämpfende, Fran, Inhaberin eines kleinen Frozen Yoghurt-Ladens im 1950er Diner-Look.
Alle drei Charaktere haben ihr Päckchen zu tragen: Anu’s Dilemma kennen wir bereits – Ihr Eridium-Projekt verschlingt massiv Forschungsgelder und deckt sich nicht mit der Erwartungshaltung ihres CEOs – sie wird nach einer katastrophalen Produkt-Demonstration kurzfristig gefeuert. Octavio networkt unbeholfen im Kiez seines Heimatplaneten vor sich her – seine Haupterwerbsquelle liegt aber in der Unterstützung des Attentäter-Roboters LOU-13, der die Namen seiner Ziele benötigt, um diese ins Jenseits zu befördern. Und dann haben wir da noch Fran, deren Gastronomie nach der Invasion des Planeten Promethea durch den aus Borderlands 3 bekannten Rüstungskonzern Maliwan zerstört worden ist. Sie muss sich nun mit der störrischen Versicherung auseinandersetzen, die ihre Schadensersatzforderungen aus mitunter privaten Gründen ablehnt.
Die Story kommt ins Rollen, als die Headquarters der ATLAS Corp. vom konkurrierenden Waffenkonzern Tediore überfallen werden. Da sich Promethea in der Peripherie des Firmensitzes befindet, überfallen Tediore-Agenten auch die prekären Bezirke des Planeten. Anu entgeht bei dem Überfall nur knapp ihrem Ableben und nutzt eine Rettungskapsel, um sich auf die Oberfläche von Promethea zu retten. Dort kreuzt sie schließlich die Wege ihres Adoptivbruders Octavio und Fran – Was zuerst nach einem reinen Überlebenskampf gegen einen übermächtigen sinistren Konzern beginnt, entpuppt sich schon recht bald als irrwitzige Tour de Force, die in eine Schatzsuche mündet, als sie versuchen einen ominösen Vault Key ausfindig zu machen, der Zugang zu unermesslichen Reichtümern gewährt.
Die Geschichte bleibt kurzweilig und knackig und wird im Verlauf naturgemäß immer absurder – das Writing ist dabei grundsolide geraten, wenngleich natürlich erzählerisch keine literarischen Bäume ausgerissen werden. Der Humor des Spiels kratzt zwar an Themen, die kapitalismuskritisch erscheinen, bei denen der Biss und die schwarzhumorig-gallige Geste immer eine Spur zu albern und infantil bleiben, um wirkliches Nachdenken anzuregen – An dem Problem krankte aber auch schon „The Outer Worlds“ ein bisschen. Und ich bin außerdem beileibe kein Kritiker von „woken“ Darstellungen, aber man merkt, dass die Autor*innen von „New Tales from the Borderlands“ bei ihren Figuren immer eine „politisch korrekte“ Haltung im Hinterkopf hatten. Außerdem sind die Charaktere zwar äußerst sympathisch, aber eine Ecke zu plakativ spleenig – Da empfand ich die Charakterisierung von Fran noch am bodenständigsten.
Auf der anderen Seite gibt es aber gelungene pop-kulturelle Referenzen auf die gegenwärtige Zeit: Im Verlauf des Spiels bewahrheitet sich Octavios Wunsch ein Start-Up zu führen. Nicht nur wird der Business-/Finance-Bro Sprech gelungen auf die Schippe genommen, auch bekommen wir einen unbezahlten Praktikanten und nehmen an einer Show teil, die Konzepte wie die VOX-Sendung „Die Höhle der Löwen“ persifliert, wo wir unsere Geschäftsidee potentiellen Investoren vorstellen. An einer Stelle finden wir eine Webcam in Fran’s Froghurt-Store und finden heraus, dass sie einen Paid Content-Service namens „OnlyFrans“ betreibt. Diese kleinen Seitenhiebe kommen manchmal mit dem Holzhammer und manchmal subtiler und gewitzter, mindestens ein Schmunzeln sind sie aber in der Regel doch wert.
Rares Gameplay
Das Gameplay tut nicht weh, entspricht aber im Wesentlichen einem basalen interaktiven Film. Ähnlich wie damals die Telltale Games, strukturiert der Gearbox-Ableger die einzelnen Kapitel als „Episoden“ – Am Ende jeder Episode wird festgehalten, wie die drei Hauptprotagonisten zueinanderstehen, welche Entscheidungen getroffen worden sind und wie andere Spieler*innen sich verhalten haben. Damit ähnelt der neue Teil sehr den Telltale-Vorbildern. Wir können in fest umrissenen, kompakten Arealen zwar mit Objekten und NPCs interagieren, etwa Behältnisse nach Geld durchwühlen oder spezifische Dinge mit unseren Gadgets scannen (etwa mit der Brille von Anu, der Smartwatch von Octavio oder dem Hovercraft-Rollstuhl von Fran) – das Gameplay wird aber vor allem durch reaktive Entscheidungen in Dialogen sowie durch die Bewältigung von QTEs getragen.
Die Entscheidungen haben häufig vor allem monetäre Auswirkungen: In der Anfangssequenz gibt es eine Szene, in der uns der Junkie Hank in Frans‘ Shop aufsucht um Schutzgeldforderungen einzutreiben. Es kommt zum Kampf, der potentiell ein tödliches Ende für Hank nehmen kann. Da noch ein Besuch des Versicherungsgutachters aussteht, und eine Leiche in der Küche sich da nicht sonderlich gut macht, hängt davon ab, ob unser Versicherungsantrag bewilligt wird oder nicht.
Ansonsten gibt es immer wieder kleinere Mini-Spielchen, die das interaktive Abklicken auflockern sollen, bei Bedarf aber auch einfach geskippt werden können. Octavio kann etwa mit der Smartwatch Computersysteme hacken, indem schlicht im passenden Moment die entsprechenden Buttons vom Spieler gedrückt werden. Selbiges gilt für das Vaultlanders-Minispiel: Überall im Spiel verstreut sind sogenannte Vaultlander-Actionfiguren, die mit unterschiedlichen Angriffs- und Verteidigungswerten ausgestattet sind und die gegeneinander antreten können. Die Scharmützel basieren aber ebenfalls darauf, dass die passenden Tasten in den entsprechenden Momenten betätigt werden. Die Art und Weise, wie diese Spiele in die Handlung eingebettet werden, ist beinahe witziger als die Spiele selbst. Aber nicht falsch verstehen: Die Existenz der Mini-Spiele ist zwar hauptsächlich Gimmick, aber dennoch unterhaltsam.
Solide Technik, gelungener Artstyle
New Tales from the Borderlands schaut in Ordnung aus – Der ikonische Cel-Shading Look der Reihe kaschiert über viele Unzulänglichkeiten hinweg. Das ist auch hier so – vielleicht ist das alles nicht mehr ganz state-of-the-art, für den cartoonigen Charakter der Erzählung taugen die grafischen Schauwerte aber allemal. Die Charakter-Designs und die Details der cyberpunkigen Welt sind eigenständig, sympathisch und mit allerlei witzigen künstlerischen Details und Einfällen gespickt. Allenfalls die Animationen der Charaktere dürften meines Erachtens ein bisschen weniger hölzern ausfallen. Hier zeigen sich am offensichtlichsten die Wurzeln der vergangenen Konsolengeneration. Ansonsten läuft die Technik aber solide: Weder hatte ich auf dem PC merkbare Framerateeinbrüche, noch gab es in irgendeiner Form Glitches oder andere technische Auffälligkeiten. Zu den soliden Schauwerten gesellt sich ein Soundtrack und OST, der nicht in besonderem Maße hervorsticht, aber auch nicht wehtut. Insofern ist New Tales from the Borderlands audiovisuell im besten Sinne mittelmäßig, kann aber eben mit seinem charmanten Artstyle punkten.
Fazit:
„New Tales from the Borderlands“ ist bisschen wie eine Netflix-Serie, um meinen Kollegen Thomas zu zitieren. Das Spiel ist gefällig, kurzweilig und lässt sich leicht an zwei bis drei Abenden durchzocken. Die Charaktere sind sympathisch, der Humor ist bissig, aber auch oft ein bisschen albern und kindisch. Hier könnte man aus der Underdog-Perspektive der drei Hauptfiguren und der in Ansätzen vorhandenen Kapitalismuskritik deutlich mehr machen. Ein paar gelungene popkulturelle Referenzen wie die Start-Up Castingshow oder Seitenhiebe auf OnlyFans gibt es dann aber dennoch. Spielmechanisch bleibt alles so wie schon bei den Telltale-Vorbildern: Entscheidungen werden über zeitlich limitierte Dialog-Optionen getroffen, Quick Time Events bestimmen den Ausgang bestimmter Szenen und das Ganze wird mit belanglosen, aber erzählerisch schön eingebetteten Mini-Spielen aufgelockert. Was aber deutlich besser funktioniert als bei den Telltale-Spielen: Die Technik. Die ist zwar keineswegs Next Gen, fühlt sich aber mit zahlreichen kleinen Details, schön ausgearbeiteten Arealen, dem ikonischen Cel-Shading Look und den witzigen Charakterdesigns doch deutlich wertiger an als früher. Ich würde mich über eine Fortsetzung grundsätzlich freuen, zugleich traue ich dem Franchise aber inhaltlich auch deutlich mehr zu. So passt die Netflix-Analogie nämlich ein bisschen: Das Spiel ist kurzweilig und unterhaltsam, aber auch gehaltvoll?
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Grafik - 7
Technik - 7.5
Umfang - 6.5
Handlung - 7.5
Gameplay - 6
6.9
Kurzweilig und unterhaltsam, humortechnisch aber eine Ecke zu albern, spielmechanisch zu basal.