Rollenspiel im Ballerspiel: Die Matroschka Puppe unter den Shootern
Borderlands ist bekannt für knallbunte Cel-Shading Action, Unmengen an Loot, die machen, dass die Leute bei Diablo vor Neid rot anlaufen und Humor, der nicht nur kein Blatt vor den Mund nimmt, sondern auch den Slapstick wie einen Baseballschläger schwingt. Das alles im Shooter Format und dann am besten auch noch mit Freunden und fertig ist eine Spielfranchise, die vollkommen zu Recht eine riesen Fanbase hat. Da erzähl ich keinem etwas neues, denn looten, ballern, mehr looten, mehr ballern“ ist ein Gameplayloop, der schon in der Vergangenheit funktionierte und auch sicherlich noch in Zukunft funktionieren wird, oder?
Bei Tiny Tina´s Wonderlands handelt es sich um ein Spin-Off. Die erfinden selten das Rad neu und orientieren sich in der Regel am Original. Und auf den ersten Blick braucht man keine Lupe, um zu sehen, dass wir es hier mit einem Ableger der Borderlands-Reihe zu tun haben. Auch die Idee, dass man sich komplett auf eine fiktive Meta-High Fantasy-Welt beruft und im Spiel quasi mitspielt, wie die Protagonisten im Game selbst eine Partie Pen & Paper Rollenspiel zocken und dabei zahlreiche Gags für und über D&D und Co reißen, liebevoll eingebettet in die Dauerballerei der eigenen Spielwelt, ist nicht neu, denn genau das konnte man schon in einem DLC für Borderlands 2 tun. Diesmal aber als vollkommen eigenes Spiel mit eigenen Elementen.
Kleine Pyromanen, eine Einhornkönigin, ein grauer Hauptcharakter und eine Party voll Verrückter. Eine Party feiert ´ne Party
In Tiny Tina´s Wonderlands schlüpfen die Spieler in die (anfangs) farblose Haut des namenlosen Protagonisten, den man sich übrigens im erstaunlich umfangreichen Editor selbst gestalten kann, und kämpft um nicht weniger als das Schicksal der Welt gegen den Dragon Lord. Also theoretisch, denn eigentlich spielt man mit dem Sprengstoffwunderkind Tiny Tina, dem lapidaren Robo Frette und dem Schönling Valentine eine zünftige Runde Bunksers & Badasses, die Borderlands-Version eines Tabletop Rollenspiels a la Dungeons & Dragons. Dabei wird es chaotisch und verrückt, denn Tiny Tina ist ein Spielleiter mit sprühender Fantasie und ist sich auch nicht zu schade die Spielwelt mit spontanen Einfällen komplett auf den Kopf zu stellen. Serienfans freuen sich nicht nur über den typischen Humor, sondern auch über Cameos beliebter Franchise Charaktere wie Claptrap & Co, die mit Fantasyvarianten ihrer selbst die Nerven & Lachmuskeln der Spieler strapazieren. Wie so oft tritt bei Tiny Tina´s Wonderlands die Story etwas in den Hintergrund, denn die Highlights bilden die frechen Charaktere, die unter akutem Witzstau leiden und sich zu keinem Zeitpunkt einen doofen Spruch sparen können. Das ist meistens lustig und gerade P&P Fans sollten sich über Insiderwitze und Easter Eggs freuen. Immer zünden die Witze nicht und sind gerne auch mal gefährlich flach, dafür werden sie vom Cast jederzeit mit richtig viel Spaß vorgetragen und gleichen so manche Blindgänger wieder aus.
Ableger oder Abklatsch? Was Tiny Tina neu macht
Die etwas provokative Überschrift stellt tatsächlich eine ziemlich knifflige Frage dar, denn Tiny Tina´s Wonderlands ist mit dem bloßen Auge kaum von Borderlands zu unterscheiden. Statt der vorgefertigten Charaktere, die in der Regel ziemlich einzigartige Typen sind, darf man sich im Ableger erstmals in einem Editor austoben und dort nicht nur das Aussehen und die Stimme des Protagonisten wählen (die man auch immer wieder hört, der eigene Charakter ist genauso ein Plappermaul wie seine namhaften Kollegen), sondern auch eine von 6 Klassen wählen, deren Titel wie BRR-Serker und Graveborn Fantasy-Versionen altbekannter Archetypen bieten. Eigentlich sind das alles Reskins, die es bereits in den anderen Spielen mit anderem Namen gegeben hat, aber die Wahl zu haben (und im späteren Verlauf auch rollenspieltypisch Klassen mischen zu können) ist eine willkommene Neuerung.
Ganz neu hingegen ist die Worldmap, die praktisch im Tausch gegen Fahrzeuge eingeführt wurde und etwas Abwechslung zum Geballer bieten soll. Mit einer Chibi-Version des Charakters kann man hier durch eine mehr oder weniger offene Weltkarte laufen und mit NPCs und Gegenständen interagieren. Das ist als Neuerung ganz nett, bleibt aber etwas hinter den Erwartungen zurück, denn gameplaytechnisch ist das Rumturnen auf der Worldmap eher simpel gehalten. Man trifft zwar immer wieder auf die bescheuerten Charaktere der Welt, die mit ihrer Mischung aus alten Bekannten und neuen Gesichtern einen äußerst diversen Cast bietet, aber in diesem Pseudo-RPG Element steckt sehr wenig Rollenspiel. Man hat seltenst mal eine Gelegenheit etwas am Verlauf der Dialoge und Geschehnisse zu ändern. Stattdessen wird man mit den sehr gut vertonten Dialogen in der Spielwelt berieselt und zieht sich eben rein, was Tina sich Wildes zusammenspinnt oder tritt mal einen Kronkorken um, der dann zur Brücke wird. Oder noch schlimmer: Man trifft auf Zufallskämpfe. Und die sind Teil eines meiner größten Probleme mit dem Spiel. Denn immer wieder wird man in Tiny Tina´s Wonderlands Arenen geworfen und muss dort einfach nur Monsterwellen wegsprengen. Das geschieht nicht nur bei den Zufallskämpfen sondern ist auch manchmal ein „Dungeon“ auf der Karte und leider auch so ziemlich der Ort an dem sich das Endgame abspielt. Dabei sind diese Fights schon beim zweiten Mal sterbenslangweilig und davon gibt es viel zu viele und kann ihnen oft nicht mal ausweichen.
Man sollte sich dabei vom Fantasy-Anstrich nicht täuschen lassen, denn Tiny Tina´s Wonderlandsist ein Ballerspiel, genau wie Borderlands. Manche Waffen haben dabei eine optisch fantastische Frischzellenkur erhalten, so schießt man mit Gewehren im Armbrustlook oder streut zum Nachladen Zaubersand in die Kanone. Gleichzeitig gibt es aber immer noch quietschbunte Revolver oder in Tarnfarben bemalte Scharfschützengewehre. Da hätte man sich gerne mehr trauen können, zumal die Elemente, wo die Entwickler sich von der Borderlands Formel ein wenig entfernt haben auch gut funktionieren, allen voran hier natürlich die Zaubersprüche. Die ersetzen die Granaten aus der Hauptreihe, haben aber ein ganz eigenes Feeling, da man hier beispielsweise Zauberstäbe schwingt oder Kometen beschwört und so tatsächlich etwas Fantasy in die Post-Apokalypse bringt. Das selbe gilt für die Gegner. Die haben auch eine genrekonforme Optik bekommen, fühlen sich in der Regel aber eher wie eine Mod für das Hauptspiel an, da man in der Regel wirklich nur auf Reskins bekannter Gegnertypen trifft.
Irgendwie schon eher Abklatsch: Was Tiny Tina´s Wonderlands übernimmt
In seinem Kern ist Tiny Tina´s Wonderlands ein Lootshooter, das heißt, man rennt in Egoperspektive herum und schießt Gegner zu Klump und sammelt im Anschluss deren Beute ein. Das kann fantastisch sein, wenn man mit Freunden spielt, das Game einem beknackte Witze um die Ohren haut und man nebenbei skurrile Aufgaben für noch skurrilere Charaktere erfüllt und sich dann an munter im Loothagel mit neuen Waffen eindeckt. Es kann aber auch zäh sein, denn vom Gameplay her gab es wenig neues. Die KI ist praktisch nicht vorhanden und die meisten Gegner sind einfache Damagesponges, die manchmal unnötig viel Schaden aushalten. Das gilt insbesondere für die Bosse, die in den Vorgängern deutlich spannendere Kämpfe anboten. Stattdessen gerät man immer wieder in Arenakämpfe auf ziemlich öden und sich ständig wiederholenden Minimaps. Dabei geht es auf dem Bildschirm ordentlich rund: Die Waffen haben bunte Effekte, die Gegner kreischen und hüpfen durchs Bild und der Loot in seinen verschiedenen, farblichen Abstufungen fliegt durch die Gegend. Ehrlich gesagt macht das bunte Treiben fast alle meine Screenshots wertlos, den man hat eigentlich keinen Überblick. Und wo wir schon beim Thema sind: Der Überblick fehlt auch beim Loot. Gefühlt kriegt man Tonnen an Zeug, aber das meiste kann man gar nicht gebrauchen, denn viele Items sind schlicht schlechter als alles andere und verstopfen nur das Inventar. Das vollgestopfte Inventar führt dann zu einem weiteren Problem, denn es ist schlicht unübersichtlich und hilft wenig beim Vergleich des Loots mit dem bisherigen Equipment.
Fazit:
Tiny Tina´s Wonderlands ist ein Spiel für Fans der Borderlands-Reihe. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, denn abgesehen von der Handlung sind die Neuerungen im Serienableger ziemlich überschaubar. Dabei ist das gar nicht mal als Kritikpunkt gemeint, denn wer mehr Borderlands will, der kriegt das hier auch. Trotz des erfrischenden Rollenspielsettings haben wir es hier mit dem bewährten Lootshooter-Gameplay zu tun, das im Kern halt immer noch omnipräsent ist. Ob man damit jetzt Neueinsteiger ins Boot holt, das weiß ich nicht unbedingt, aber die Fanbase von Borderlands 3 ist verdientermaßen groß und die kennt alle Kritikpunkte bereits und wertet die weniger stark als die Wertung hier vermuten lässt.
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ALLGEMEINES
Entwicklerstudio: Gearbox Software
Publisher: 2K Games
Genre: Action-RPG
Releasedate: 25. März 2022
Fazit
Grafik - 8
Technik - 9
Umfang - 7
Langzeitmotivation - 7
Spielspaß - 7
7.6
Tiny Tina´s Wonderlands ist ein Spiel für Fans der Borderlandsreihe. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, denn abgesehen von der Handlung sind die Neuerungen im Serienableger ziemlich überschaubar. Dabei ist das gar nicht mal als Kritikpunkt gemeint, denn wer mehr Borderlands will, der kriegt das hier auch, denn trotz des Rollenspielsettings haben wir es hier mit dem bewährten Lootshooter-Gameplay zu tun. Ob man damit jetzt Neueinsteiger ins Boot holt, das weiß ich nicht unbedingt, aber die Fanbase von Borderlands 3 ist verdientermaßen groß und die kennt alle Kritikpunkte bereits und wertet die weniger stark als die Wertung hier vermuten lässt. Entwicklerstudio: Gearbox Software Publisher: 2K Games Genre: Action-RPG Releasedate: 25. März 2022