Game Review: Emio – Der Lächelnde Mann: Famicom Detective Club für Nintendo Switch – Ungewohnt Abgründiges aus dem Hause Nintendo

Ich muss gestehen, die Reihe um den Famicom Detective Club war mir als Spieler bis zur Veröffentlichung von Emio – Der Lächelnde Mann tatsächlich ziemlich fremd. Nintendo‘s Visual Novel-Reihe hat ihren Ursprung, der Name verrät es, auf dem NES bzw. dem japanischen FAMICOM und erschien auf dieser Konsole japanexklusiv in Diskettenform für das Famicom Disk System. 1988 erschien mit „The Missing Heir“ (Kieta Kōkeisha, zu dt.: „Der verschollene Erbe“) der erste Teil, ein Jahr später mit „The Girl Who Stands Behind“ (Ushiro ni Tatsu Shōjo, zu dt. „Das Mädchen, das dahinter steht“) der direkte Nachfolger. Das Besondere: Hinter der Reihe steht niemand geringeres als Yoshio Sakamoto, der vor allem als Metroid-Mastermind bekannt sein dürfte. Die Famicom Detective Club-Reihe war hingegen immer eine eher nischigere Angelegenheit, die außerhalb Nippons praktisch kaum vernommen wurde – Bis zum m.E. eher unerwarteten Release der beiden vollwertigen Nintendo Switch-Remakes der Famicom-Titel, die als Bundle seit Mai 2021 im eshop erhältlich sind. Die Remakes scheinen gut angekommen zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass mit Emio – Der Lächelnde Mann fast 30 Jahre später ein vollwertiger Nachfolger erscheint, und dann auch noch lokalisiert und als physische Retail-Ausgabe. Zudem ist Nintendo ja in der Regel ein familienfreundlicher Konzern – Die Liste an First- und Second Party-Titeln von Nintendo mit USK 16-aufwärts Siegeln (bzw. M- oder PEGI 18-Ratings) lässt sich beinahe an einer Hand abzählen: Eternal Darkness und Geist aus der Gamecube-Ära, die jüngeren Bayonetta-Titel und vereinzelte Metroid-Einträge – damit dünnt sich die Reihe schon aus. Emio lässt dahingehend also aufhorchen. Grund genug, dass wir uns das Ding näher ansehen: Für wen ist das Spiel mit dem ungewöhnlichen Namen etwas? Und ist die Visual Novel ihren Vollpreis wert?

Der aus den Vorgängern bekannte Assistent des Detektivbüros Utsugi © Nintendo

Der aus den Vorgängern bekannte Assistent des Detektivbüros Utsugi © Nintendo

Ein abgründiger Crime-Thriller

Die Handlung ist die absolut tragende Säule von Emio – Der lächelnde Mann. Als Spieler*in muss man sich absolut im Klaren sein, dass wir es hier mit einer reinrassigen Visual Novel zutun haben. Das heißt, es gibt wirklich viel zu lesen. Wenn man damit kein Problem hat, dann erwartet uns in Sachen Story ein absolut hervorragender und hochgradig spannender Krimi-Thriller und ein Spiel, das sich auf literarischem Niveau bewegt. Zugleich will ich an dieser Stelle aber auch eine Trigger-Warnung aussprechen: Das PEGI 18-Rating kommt nicht von ungefähr: Der Titel ist zwar kein Splatter-Fest, geizt aber nicht mit unangenehmen Themen. Die im Spiel thematisierten Serienmorde bilden nämlich nur den Überbau des Spiels: Ob Suizid, Häusliche Gewalt, Selbstverletzung oder in vagen Ansätzen auch sexueller Missbrauch – Betroffene könnten beim Spielen von Emio – Der Lächelnde Mann durchaus verstört werden.

Die Leiche eines 15-jährigen Schülers wurde entdeckt. Handelte es sich hierbei um einen Mord? © Nintendo

Die Leiche eines 15-jährigen Schülers wurde entdeckt. Handelte es sich hierbei um einen Mord? © Nintendo

Die Prämisse ist für einen Krimi recht gängig: Wir werden mit einem grausigen Fall konfrontiert. Der Leichnam des 15-Jährigen Schülers Eisuke Sasaki wird gefunden, offenbar mit einem Strick zu Tode stranguliert. Wir müssen hier von einem Tatort ausgehen, denn sein Haupt ist bedeckt mit einer Papiertüte, auf die ein seltsam lachendes Gesicht gekritzelt wurde. Das weckt Erinnerungen an eine ungelöste Mordserie an Mädchen im Teenager-Alter, welche sich vor 18 Jahren zugetragen hat. Auch in den drei Fällen wurden den jungen Mädchen Papiertüten über den Kopf gestülpt. Diese zurückliegende Mord-Serie hat der urbanen Legende von Emio, dem Lächelnden Mann, einen viralen Vorschub geleistet.

Wir schlüpfen in die Rolle des 19-jährigen Assistenten des Privatdetektivs Shuntsuke Utsugi. Dieser ist für uns und unsere Kollegin Ayumi Tachibana, die wir ab und an ebenfalls spielen, eine Art Mentor. Der in die Ermittlungen involvierte Hauptkommissar Kamada hat unsere Agentur damit beauftragt, bei der Aufklärung dieses Verbrechens zu helfen. Sehr zum Unmut der ambitionierten Kommissarin Junko Kuze und ihrem Partner, dem etwas kauzigen, aber kompetenten Kamihara. Als helfende Hand müssen wir aber vor allem folgenden Fragen auf den Grund gehen: Könnte hier derselbe Serienmörder gewirkt haben, wie vor 18 Jahren oder handelt es sich vielmehr um einen Nachahmer? Und sind die Taten von der gruseligen, urbanen Legende inspiriert, oder sind sie vielmehr der Ursprung?

Eine gruselige urbane Legende: Emio, der Lächelnde Mann setzt seinen Opfern eine Papiertüte mit aufgekritzeltem "ewigem" Lächeln auf © Nintendo

Eine gruselige urbane Legende: Emio, der Lächelnde Mann setzt seinen Opfern eine Papiertüte mit aufgekritzeltem „ewigem“ Lächeln auf © Nintendo

Die Geschichte wird in insgesamt 12 Kapiteln erzählt, für die man etwas weniger als 10 Stunden benötigt. Im Anschluss gibt es ein Post-Credit Kapitel, welches mit eher minimalistischer Charakter-Interaktion daherkommt, aber noch offene Fragen beantwortet.

Spieler*innen, welche bereits andere Serieneinträge des Famicom Detective Club-Reihe gespielt haben, werden mit einigen Figuren durchaus schon vertraut sein. Die beiden Hauptfiguren, der männliche (vom Spieler getaufte) Assistent und seine Kollegin Ayumi, sind wiederkehrende Protagonisten des Franchises. Ayumi ist in Emio – Der lächelnde Mann erstmalig in einigen Abschnitten spielbar. Unser Vorgesetzter Utsugi ist in Persona erst mit dem zweiten Teil „The Girl Who Stands Behind“ eingeführt worden. Im Grunde dürfte Emio – Der lächelnde Mann aber ohnehin als neuer Einstiegspunkt für die Serie funktionieren. Ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil der Spieler*innen die Remakes der Erstlinge nicht gespielt haben dürfte, und wahrscheinlich jetzt erst auf die Serie aufmerksam geworden sind. Dafür spricht u.a., dass die Texte erstmalig in mehrere Sprachen übersetzt worden sind, und dass der Release via Social Media recht intensiv promotet wird. Das bedeutet aber auch, dass man als Neueinsteiger bei Emio keinerlei Vorkenntnisse haben muss. Die Geschichte ist komplett autark, und steht auf eigenen Beinen. Ich könnte mir vorstellen, dass man das ein oder andere Easter Egg findet, wenn man mit der Serie vertraut ist, ich war es allerdings nicht.

Das Notizbuch enthält unterstrichene Schlüsselbegriffe- und Sätze, auf die wir im Verlauf der Ermittlungen immer wieder verweisen können © Nintendo

Das Notizbuch enthält unterstrichene Schlüsselbegriffe- und Sätze, auf die wir im Verlauf der Ermittlungen immer wieder verweisen können © Nintendo

Die Erzählweise ist die große Stärke des Spiels – als Ermittler*in treffen wir auf eine Vielzahl verschiedener Personen an verschiedenen Orten und müssen im Dialog immer wieder neue Erkenntnisse, Ver- und Hinweise auf wieder andere Indizien sammeln. Die Motivationen der einzelnen Charaktere wirken in beinahe allen Fällen psychologisch stimmig. Im Detektivbüro gibt es dann meist zum Abschluss jedes Kapitels auch immer wieder Momente, wo wir das bisher in Erfahrung gebrachte nochmal resümieren und Hinweise miteinander kombinieren. Die Charaktere und Dialoge sind weitgehend hervorragend geschrieben und der Fall als Ganzes ist ziemlich clever aufgebaut – es gibt viele narrative Kniffe und Twists, die durchaus unvorhersehbar sind, aber schon im Vorfeld so angeteasert werden, dass sie nicht aus der Luft gegriffen werden. Gleichsam liefert die Narrative nur wenige Momente, die komplett over the top sind, alles ist sehr bodenständig gehalten, nicht etwa wie bei der Ace Attorney-Reihe, die gerne mal eine etwas albernere Tonalität anschlägt. Die einzigen Charaktere, die für den einen oder anderen Comical Relief-Moment sorgen sind Kuze’s leichtherziger Partner Kamihara und der engagierte Schullehrer Tsubasa Fukuyama. Letzteren Charakter konnte ich nie ganz einschätzen, weil er in seinem überbordenden Engagement immer ein bisschen creepy wirkte. Positiv hervorgehoben werden muss in diesem Zusammenhang auch das Pacing – obwohl der Titel so derart textlastig ist, gab es insgesamt wenige Längen. Positiv fällt die jeweils genau passende Länge jedes Kapitels auf. Gerade in den letzten Kapiteln zieht der Spannungsgrad dann aber extrem an, man will unbedingt wissen, wie es weiter geht und auch die beiden Auflösungen sind für einen Thriller dieser Art vergleichsweise bodenständig. Kurzum: Erzähltiefe und Erzähltempo greifen in Emio – Der Lächelnde Mann wunderbar ineinander.

Spiel ohne Spiel

Spielmechanisch ist der Titel vor allem auf das Lesen und Erfassen von Text ausgerichtet. Im klassischen Sinne eines Spiels gibt es hier weniger zu tun als in einem Ace Attorney. Die dialogischen Abschnitte werden über ein recht simples Kontextmenü gesteuert. Hier können wir Figuren „Ansprechen“ bzw. „Rufen“, wir können sie zu bestimmten Themen „befragen“ oder „zuhören“. Wir können die Umgebung „untersuchen“ oder Figuren „ansehen“, um ihre Reaktionen abzulesen. Wir können Objekte „nehmen“, über Inhalte „nachdenken“ oder Erkenntnisse im „Notizbuch“ nachschlagen.

Die Szenerien werden zwar als Standbilder umgesetzt, sind aber extrem hübsch und detailliert gezeichnet. Hier das Bahnhofsviertel von Konfuku. © Nintendo

Die Szenerien werden zwar als Standbilder umgesetzt, sind aber extrem hübsch und detailliert gezeichnet. Hier das Bahnhofsviertel von Konfuku. © Nintendo

Das Spiel setzt in der Regel auf einen linearen Kurs, wie ein Gespräch abzulaufen hat. Bestimmte Gesprächsthemen werden freigeschaltet, in dem man sehr spezifische Handlungs-Konditionen erfüllt. Beispielsweise: Ich kann manchmal einen Charakter erst zu einer Person befragen, wenn ich diesem vorher ein Phantombild gezeigt habe. Hier kann man sich tatsächlich per simplem Trial & Error durchprobieren. Sobald nämlich eine Dialogoption vollkommen ausgeschöpft wurde, wiederholt der NPC nur noch das Gesagte bzw. dann ploppen die Textboxen nur in einer Millisekunde auf, was ein wenig buggy ausschaut.

In der Presse war vor 18 Jahren von einem Serienmörder die Rede... © Nintendo

In der Presse war vor 18 Jahren von einem Serienmörder die Rede… © Nintendo

Leicht anders ist der Ablauf beim finalen „Kombinieren“ der Erkenntnisse, meist am Ende eines Kapitels: Hier müssen wir im Grunde nochmal das Ermittelte rekapitulieren – das erfolgt in Form einer Quizabfrage, bei der wir auch mal per Freitext oder per Antippen auf die Schlüsselpersonen- und Begriffe im Notizbuch auf Indizien verweisen müssen, um unsere Hypothese zu stützen. Diese Zwischenfazit-artigen Abschnitte haben am ehesten so etwas wie Gameplay, um richtige Kopfnüsse handelt es sich hier aber freilich in keinem Fall. Im Grunde muss man stets nur das Gelesene wiedergeben.

Durch die lineare Struktur des Spiels gibt es auch keinerlei multiple Handlungsstränge mit alternativen Enden. Emio – Der Lächelnde Mann ist in jeder Hinsicht komplett straightforward. Ein paar optionale Dialogfragmente sind hier bereits das Höchste der Gefühle. Beim Kauf des Spiels sollte man sich also sehr bewusst machen, dass man hier nahezu kein Gameplay erwarten darf. Wie gesagt: Emio ist primär eine literarische Spielerfahrung.

Stillleben

Gleiches gilt für die grafische Präsentation des Spiels: Emio wird vor allem über Standbilder im Manga- und Anime-Stil erzählt. Es gibt zwar immer wieder kleine, aber feine Animationsphasen, die sind aber extrem dezent gesetzt, etwa um eine Emotion oder ein wichtiges Detail zu akzentuieren. Hier kann man abermals den Vergleich zur Ace Attorney-Reihe ziehen, die visuell ähnlich funktioniert. Der Ace Attorney-Stil wird aber in seiner Verspieltheit noch weiter heruntergefahren.

ABER: Die Szenerien sind extrem hochwertig und detailliert gezeichnet. Ob das lebhafte Bahnhofsareal in Kofuku oder die wilde Natur eines verlassenen Dorfes: Emio – Der Lächelnde Mann arbeitet immer wieder mit poetischen Einstellungen der Locations. Und auch die Charakterdesigns sehen ziemlich fein aus. Gerade ältere Personen werden ziemlich realistisch und ausdrucksstark dargestellt. Ich habe mich stilistisch ein bisschen an den ATLUS-Stil der jüngeren Persona-Spiele erinnert gefühlt, für den Shigenori Soejima verantwortlich ist, und auch ein wenig an den alltagspoetischen Stil eines Jiro Taniguchi.

... der es auf junge Mädchen abgesehen hatte. Passt das zum jetzigen Ableben des gefundenen High School Schülers? © Nintendo

… der es auf junge Mädchen abgesehen hatte. Passt das zum jetzigen Ableben des gefundenen High School Schülers? © Nintendo

Auch das aufgeräumte, cleane und trotzdem irgendwie retroeske Menü korrespondiert hier wunderbar mit den tollen Set Pieces.

Deshalb: Emio mag visuell unaufgeregt und entschleunigt wirken, trotz manch düsterer, gewalthaltiger, abgründiger Motive wirkt die Bildsprache aber melancholisch und poetisch. Die gezeigten Beispiele dürften das ganz gut unterstreichen.

Soundtrack mit Retro-Vibe, Qualitativ hochwertige japanische Voice Actor/Actresses

Der Soundtrack von Emio stammt von Takeshi Abo, erinnert ebenfalls an die Ace Attorney-Titel, und schmiegt sich mit seinen Tracks an die jeweiligen Stimmungen des Spiels: In Ermittlungsphasen haben wir manchmal energetische Up-Tempo Nummern, manchmal jazzige Lounge-Tracks und manchmal auch eher Boom Bap-artige Hip Hop-/Crossover-Beats. In Szenen, die deutlich abgründiger sind, gibt es oft düsteren Ambient. Ich find den Soundtrack nicht ganz so eingängig wie etwa den Persona-Soundtrack, zu dem es auch stilistische Parallelen gibt, der aber dahingehend ein klares „All Killers, No Fillers“-Ding ist, aber er passt.

Im Gegensatz zu Ace Attorney ist Emio komplett vertont in japanischer Sprachausgabe. Die Sprecher*innen machen allesamt einen guten Job und wissen Emotionen passend zu übermitteln. Die deutsche Lokalisierung der Bildschirmtexte lässt meines Erachtens keine Wünsche offen, wirkt wertig, sodass Zusammenhänge immer klar sind.

Fazit:

Klar, der neueste Eintrag des Famicom Detective Club, Emio – Der Lächelnde Mann, ist ein Text Adventure zum Vollpreis (49,99 EUR). Das muss man sich als Käufer vorab bewusst machen, um nicht angesichts falscher Erwartungshaltungen enttäuscht zu werden. Wer damit aber d’accord geht, bekommt einen exzellent geschriebenen, düsteren und einnehmenden Thriller auf der Switch, der für Nintendo-Verhältnisse ungewohnt abgründig ist. Neben der sehr geradlinigen Crime-Story, wird das Ding auch optisch ansprechend bebildert, mit schönen Bildern und angenehm erwachsenen Figurendesigns. Abzüge gibt es für das recht statische Gameplay, dem insgesamt wenig Bedeutung beigemessen wird. Für die lineare Handlung gibt es im Grunde, abseits einiger weniger optionaler Möglichkeiten, nur einen Weg, welche Handlungen im Kontextmenü vollzogen werden können. Damit ist Emio vor allem eine literarische Erfahrung, die man konkret mögen muss. Ich jedenfalls würde mich freuen, wenn die Serie aber wieder beständiger fortgeführt wird.

Emio - Der Lächelnde Mann: Famicom Detective Club [Nintendo Switch]

Grafik / Art Style - 8.2
Story - 8.8
Technik - 6.5
Umfang - 6.9
Spielspass / Gameplay - 6.5

7.4

Hervorragend geschriebene Crime Story, bei der man sich aber im Klaren sein muss, dass sie tragende Säule des Spiels ist, denn das Gameplay selbst ist relativ statisch und linear. Nichtsdestotrotz ein gelungener Beitrag zu einer nischigen Serie, von der ich hoffe, dass sie fortgeführt wird.

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