Es gibt Spiele, die überzeugen durch ihre Spielmechaniken und fesseln mich so an den Bildschirm. Tetris hat noch nie jemand für die Handlung gespielt und das nimmt dem Game auch keiner übel. Doch die ganz hohe Kunst besteht für mich in einer Kombi aus Spielmechanik und Story, denn dann nutzt man das Medium Videospiel erst richtig aus. Und in eine ähnliche Kerbe schlägt Before your Eyes, eines der ganz neuen VR Spiele, das auch von den neuen Funktionen der PS VR2 profitieren will.
In einem Wimpernschlag vorbei
Before your Eyes beginnt ziemlich absurd, denn zu Beginn wird man von einem humanoiden Tierwesen aus einem Fluss gefischt und mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert: Zwar beginnt man gerade seinen Spieldurchlauf, aber die Spielfigur ist offenbar tot und wurde als Seele zufällig ausgewählt und teilt nun seine Biographie mit dem tierhaften Fährmann. Dabei durchlebt man verschiedene Etappen aus Bennys Leben, macht Bekanntschaft mit seiner Kindheitsfreundin, seinen Akademikereltern mit hohen Erwartungen und ihm selbst, einem künstlerischen Wunderkind und versucht dabei herauszufinden, wie es zu seinem scheinbar frühen Ableben kam.
Wie man diese Infos sammelt, ist das Coregameplay und ein Gimmick, dass sofort Interesse weckt: Szenen springen weiter, sobald man als Spieler blinzelt. Zumindest in der Theorie. Handwerklich funktioniert die Idee gerade mit dem VR2 Headset wunderbar, denn man ist das ganze Spiel über an den still sitzenden Benny gebunden, der sich lediglich ein wenig umschaut und das Headset stellt auch selbst fest, wenn man als Spieler blinzelt. So kann man gelegentlich Szenen schnell überspringen, als man eventuell geplant hätte und erlebt Immersion, die man mit dem herumdrücken auf dem Gamepad vermutlich nicht erreichen würde und spielt wunderbar mit der Idee, dass man Erinnerungen nicht konkret fassen kann.
Ganz so streng, wie die Idee am Anfang erscheint, nimmt es das Spiel aber nicht, denn die meiste Zeit über lassen sich Szenen nicht einfach wegblinzeln und ab und zu darf man mit dem eigenen Blick auch andere Gameplayelemente ausführen und beispielsweise Klavier spielen oder die Augen geschlossen halten, um sich zu konzentrieren. Das eigentliche Gameplay ist also ziemlich überschaubar und das Gimmick trägt sich auch recht schnell ab, denn die meiste Zeit über schaut man eigentlich nur einen Film und trifft gelegentlich mal eine Entscheidung. Hier kommen die VR-Features ein wenig kurz, denn klar, das Blinzelfeature funktioniert genau wie geplant, aber Benny ist in seinen Erinnerungen kein besonders mobiler Geselle und schaut auch nur grob in die selbe Richtung. Schaut man sich um, sieht man sprichwörtlich ins Leere, denn die Kernerinnerungen spielen sich direkt vor seiner Nase ab und kann auch nur selten mit Gegenständen interagieren. Für das Grundthema macht das schon Sinn, ist aber gleichzeitig etwas Schade auch wenn Before your Eyes vom Artstyle her kein Blockbuster ist. Die Charaktere sind detailarm und ähneln Kinderzeichnungen und neigen zu Clippingfehlern, sind dafür aber knackescharf in der VR und charmant genug, um den Spieler für die rund zwei Stunden Spielzeit bei der Stange zu halten, falls man denn überhaupt in der Stimmung ist für eine melancholische Geschichte, die einen als Spieler echt runterbringen kann, denn trotz dem kindlichen Stil und dem fantastisch-mythischen Anfang ist die eigentliche Geschichte sehr bodenständig. Für Fans von Visual Novels könnte Before your Eyes eine Offenbarung sein, ich kann aber auch alle Zocker verstehen, die das reduzierte Gameplay für langweilig halten.
Fazit
Before Your Eyes
Story - 8.5
Grafik - 6
Technik - 8.5
Gameplay - 7
Umfang - 6
7.2
"Before Your Eyes" liefert einem für den Preis eines Kinobesuchs ziemlich genau das: Einen Kinobesuch. Der Umfang des Spiels ist sehr kurz, viel länger würde einen das reduzierte Gameplay aber auch nicht bei der Stange halten. Dafür erlebt man ein Spielgefühl, dass möglicherweise mit einem anderen Medium als der VR-Brille gar nicht erreicht werden könnte.