Comic Review: Philippe Richelle, Jean-Michel Beuriot: Unter dem Hakenkreuz 1 – Der letzte Frühling

Der Mensch im Mittelpunkt

Mit Unter dem Hakenkreuz von Beurot & Richelle veröffentlicht der Schreiber & Leser Verlag seit 2009 eine Reihe von Comics, die sich deutlich von den populären Superheldengeschichten unterscheiden. Statt strahlenden Helden in leuchtenden Kostümen stehen hier die Menschen von Nebenan im Mittelpunkt.

Beginnend in den frühen 1930er Jahren erzählt die Comicreihe die Geschichte des jungen Martin Mahner, der  eigentlich ein normales Leben in schwierigen Zeiten lebt. Kurz vor Hitlers Machtübertragung erlebt der deutsche Schüler den Einfluss des Nationalsozialismus auf die Bevölkerung.

Der erste Band kommt vollfarbig in 88 gebundenen Seiten und ist technisch sehr schön gestaltet. Jean-Michel Beuriot zeichnet seine Geschichte in einem realitätsnahen Stil, der in typisch französischer Art an Klassiker wie Tintin & Co erinnert. In Zusammenarbeit mit Philippe Richelle hat er allerdings ein Setting geschaffen, welches mit der farbenfrohen Welt der Abenteuer nur wenig gemeinsam hat. Vielmehr wagen die beiden Künstler einen ehrlichen Blick auf das Deutschland der NS-Zeit eine Perspektive, die nicht zuletzt deshalb so interessant ist, weil Franzosen einen erstaunlich fairen Blick auf ihren „Erbfeind“ werfen. Die Gräueltaten der Nazis werden dabei in keiner Weise beschönigt, die Autoren schaffen es jedoch zu zeigen, dass auch viele Deutsche unter der NS-Regierung zu leiden hatten und so auf ihre Art Widerstand leisteten.

Nicht jede Geschichte ist auch ein Abenteuer

Auch inhaltlich bewegt sich der Graphic Novel auf einer authentischen Ebene. Dabei plätschert die Handlung ein bisschen vor sich hin, denn zunächst ist Martins Leben ein typisches Beispiel für die Teenagerzeit in den frühen 1930er Jahren. Der junge Protagonist ist ein Schüler mit guten Noten, der sich, sehr zum Leidwesen seines Vaters, mehr für Literatur und Theater als für Politik interessiert. Im Laufe der Geschichte trifft der Schüler auf ein neu zugezogenes Mädchen namens Katharina. Sehr zögerlich freunden die beiden sich an, doch bevor die junge Liebe sich zu etwas handfestem entwickeln kann, wird Adolf Hitler Reichskanzler und somit gerät Katharinas Welt aus den Fugen, denn wie sich herausstellt, ist sie Jüdin und somit in der kleinen Stadt am Rhein nicht mehr erwünscht und muss nach Frankreich fliehen.

Historische Authentizität statt Action

Die französischen Künstler legen in ihrer Comicreihe großen Wert auf historische Authentizität, verzichtet aber (bisher) auf Auftritte von historischen Persönlichkeiten. Der authentische Eindruck entsteht dabei vor  allem durch die Handlung und die Charaktere. Wie anfangs erwähnt handelt es sich bei „Unter dem Hakenkreuz“ nicht um eine Heldengeschichte, der Protagonist Martin ist zwar ein smarter Typ, als Schüler ist sein Erzfeind aber eher der geübte Umgang mit  dem anderen Geschlecht.. Zwar wird Martin mit dem steigendem Antisemitismus und sozialer Unruhe konfrontiert, kann aber natürlich nicht viel gegen diese Umstände unternehmen. Authentizität entsteht aber nicht nur durch historische Tatsache, sondern durch die Darstellung der Charaktere. Neben Martin und Katharina gibt es nämlich noch mehr Charaktere mit Tiefgang. Allen voran Martins Vater. Auf der einen Seite ist er nämlich großer Anhänger von Adolf Hitler und hält sein oft ruppiges Auftreten für Stärke, andererseits glaubt er auch an das Gute in der Person Hitlers. So ist Martins Vater beispielsweise zwar nationalistisch eingestellt, aber kein absoluter Antisemit, er glaubt selbst an „gute“ Juden, wie den Arzt von nebenan und glaubt, dass auch Hitler diese Meinung teilen würde.

Ein anderer interessanter Charakter ist Martins Kumpel Gunther hingegen ist eher ein Mitläufer, er passt sich der Meinung seiner Gesprächspartner an und ist gar nicht zu sehr an Politik interessiert, denn für ihn sind Mädchen deutlich interessanter.

Beuriot und Richelle sind in ihrer Charakterisierung der Deutschen also erstaunlich fair und setzen den überzeugten Nationalsozialisten und SA-Schlägern auch sanfte oder gespaltene Deutsche entgegen, die schließlich auch Opfer eines Regimes waren, in dem sie unerwünscht sind.

Fazit:

Unter dem Hakenkreuz erzählt eine wichtige Geschichte, denn es gibt eine Handlung wieder, die genauso vor 70 Jahren hätte passieren können. Die Autoren schaffen eine ganz eigene Atmosphäre in der es ihnen perfekt gelingt die Stimmung der 1930er Jahre einzufangen. Die drückende Stimmung hinterlässt den Leser mit einer Faust im Magen, denn Spaß macht das Buch nicht. Will es aber auch gar nicht, insofern erfüllen die Künstler hier eindeutig ihren Auftrag.

Liebhaber von ernsten Comics, die sich für die Geschichte des Nationalsozialismus auf der Ebene der einzelnen Bürger interessieren, stoßen hier auf ein zu Recht mit Preisen überhäuftes Werk. Leser, die mehr Wert auf Unterhaltung setzen, sollten aber einen Bogen um Unter Dem Hakenkreuz machen, denn der Spannungsbogen selber bleibt relativ flach und die Geschichte rund um Martin wäre in einem anderen Setting vermutlich deutlich weniger ergreifend.

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Unter dem Hakenkreuz Band 1 – Der letzte Frühling 

ISBN: 978-3-941239-15-9

Umfang: 88 Seiten, Farbe

Hardcover

Preis: EUR 22,80, erschienen bei Schreiber & Leser

Unter dem Hakenkreuz 1 - Der letzte Frühling

STORY - 8.5
DRAMATURGIE - 9
ZEICHNUNGEN - 7.5
LETTERING - 8
AUFMACHUNG - 8

8.2

Liebhaber von ernsten Comics, die sich für die Geschichte des Nationalsozialismus auf der Ebene der einzelnen Bürger interessieren, stoßen hier auf ein zu Recht mit Preisen überhäuftes Werk.

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