Der Name ist bei diesem Manga Programm: „Ping Pong“ ist nicht metaphorisch zu verstehen, sondern der beinahe stoisch anmutende Titel der Sport Manga-Reihe von Taiyō Matsumoto. Die 55 Kapitel sind ursprünglich zwischen April 1996 und Juni 1997 im Big Comic Spirits Magazine des Shōgakukan Verlags erschienen und später zu 5 Sammelbänden (Tankōbons) zusammengestellt worden. Obwohl die Serie als Klassiker gilt, hat sowohl die englische- als auch deutschsprachige Lokalisierung immerhin 23 bzw. 25 Jahre gedauert. Hierzulande erschien Ping Pong in drei Bänden via Reprodukt, der erste Band erschien im Juli 2022, der letzte im November 2023. Ich selbst habe in den frühen 00er Jahren eine Live Action Adaption von Ping Pong gesehen, die in einer damaligen Animania-Ausgabe vorgestellt wurde. Diese hat mir damals als Tischtennis-Spieler ziemlich gut gefallen, weshalb ich mich gefreut habe, dass sich der Berliner Verlag der Reihe angenommen hat. Die zentralen Fragen jeder Besprechung sind natürlich: Für wen ist das was? Kann die Manga-Reihe erzählerisch und künstlerisch überzeugen? Und gerade bei einem Sport Manga hängt ja nicht zuletzt auch immer die genrespezifische Frage in der Luft, wie authentisch und greifbar der Sport vermittelt wird. Diese Fragen wollen wir also im Folgenden beantworten.
Freundschaft, Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung im Wettbewerb
Ping Pong ist in erster Linie eine klassische, aber durchaus temporeiche Coming of Age-Story, welche den Tischtennis-Sport ziemlich realistisch als Vehikel zur Persönlichkeitsentfaltung ihrer Protagonisten nutzt. Im Zentrum stehen die beiden ungleichen Freunde Makoto „Smile“ Tsukimoto und Yutaka „Peco“ Hoshino. Beide sind Schüler der Kitase-Oberschule, in welcher sie den dortigen Tischtennis-Club besuchen. In ihrer Persönlichkeit könnten die beiden japanischen Schüler kaum unterschiedlicher sein: Peco ist ein Süßigkeiten-liebender, großmäulig-frecher Charismat, während Smile, ganz im Gegensatz zu seinem Spitznamen, ein introvertierter Eigenbrötler ist, der tatsächlich selten bis gar nicht lächelt. Die Freundschaft ist in früheren Jahren entstanden, als der resolute Peco den in sich gekehrten Schüler vor den Schikanen seiner Mitschüler verteidigte. Und natürlich ist die gemeinsame Liebe zum Tischtennis auch etwas, was die beiden eint. Auch das ist etwas, wozu Peco den bis dahin verschlossenen Makoto Tsukimoto gebracht hat, dieser betrachtete den talentierten Peco folgerichtig immer als Vorbild – Tischtennis ist damit auch der Schlüssel zu dieser ungewöhnlichen Freundschaft.
Die Persönlichkeit der beiden spiegelt sich nicht zuletzt auch in ihrer Haltung zum Tischtennis wider: Hoshino ist extrem selbstbewusst, und hat klare Ambitionen im Profi-Sport. Er galt und gilt als stärkster Spieler der Kitase-High, war gerade in früheren Jahren immer enorm aufnahmefähig beim Erlernen neuer Techniken und hat aufgrund seines recht großen Egos eher ein Problem mit Autoritäten. Angesichts der vermeintlichen Unterforderung schwänzt er oft das Training und verbringt seine Zeit stattdessen im benachbarten Tischtennis-Dojo, einer kleinen, rustikalen Halle, die von einer älteren Dame geführt wird.
Smile wiederum gilt ebenfalls als ziemlich talentierter Spieler, bleibt aber zu Beginn im Schatten von Peco. Zu Unrecht: Denn Smile spielt einfach nur nicht wettbewerbsorientiert, stattdessen mit dem Fokus auf Spielspaß. Aus diesem Grunde adaptiert er sein Spiel an seine Opponenten, lässt auch Siege aus, um die Gegenspieler nicht zu desillusionieren.
Im Verlauf der drei Sammelbände treffen wir auf eine Reihe weiterer konkurrierender Spieler von anderen Oberschulen. Da wären zum einen der chinesische Austauschschüler Wenge „China“ Kong – ein ehemaliger Jugend-Nationalspieler, der es fast in die Olympiamannschaft geschafft hätte, allerdings in Ungnade gefallen ist, nun in Japan zur Rehabilitierung trainieren soll, und Peco beim ersten Aufeinandertreffen ziemlich auseinandernimmt. Der eitle Peco ist von dieser Niederlage schwer getroffen, und schwört dem Tischtennis erstmal ab. Er lässt sich physisch und psychisch gehen, verbringt die Zeit in Arcade-Hallen und mit Nichtstun. Doch die alte Dame des Training-Dojos und ihr Sohn, der Profi-Trainer Michio, beschließen ihn unter ihre Fittiche zu nehmen und ihn wieder aufzurichten.
Dann haben wir da die Schüler der Kaiō-Oberschule: Diese gelten als absolute Favoriten bei jedem Turnier. Sie wirken mit ihrer straffen und unnachgiebigen Leistungsorientierung und dem uniformierten Auftreten beinahe ein bisschen faschistoid: Hier kreist die Story um den extrem starken Spieler und Dauerfavorit Ryūichi „Dragon“ Kazama, der bei einem Turnier das verborgene Potential von Smile entdeckt und in Folge fast schon eine Obsession entwickelt. Auch Wenge bleibt nicht verborgen, dass in dem meist defensiv agierenden Tsukimoto noch wesentlich mehr drinsteckt. Ferner wird auf den Charakter Manabu „Demon“ Sakuma eingegangen. Dieser ist ebenfalls Teil des Kaiō-Teams und ein alter Kindheitsfreund von Smile und Peco. Anders als den anderen Spieler wurde Manabu immer wieder vermittelt, dass er wenig „natürliches“ Talent habe. Umso mehr Fleiß und Mühsal hat er in sein Können investiert, um Teil der renommierten Mannschaft der Kaiō zu werden, aber auch um zu seinem Rivalen und Idol Peco aufschießen zu können. Auch er bekommt einen Charakter Arc, in welchem er sich nach einer verheerenden Niederlage beständig selbst in Frage stellt, und sich langsam wieder aufrichtet – die Beziehung zu Peco, und das Erzählmuster dieses Handlungsstrang verlaufen fast parallel zueinander.
Als die Kaiō versucht Tsukimoto von der Katase abzuwerben, ruft das den alten Katase-Coach Jō Koizumi auf den Plan. Er beschließt, mit einem besonders intensiven, individuellen Training einerseits Smile an die Grenzen zu treiben, andererseits den Kampfgeist in dem sonst eher passiven Jungen zu wecken – erschafft damit schlussendlich ein regelrechtes Monster.
Lakonisch-geerdete Coming of Age Story ohne viel Geplänkel
Ping Pong folgt einem bestimmten narrativen Loop: Neben den freundschaftlichen Beziehungen in bester Slice-of-Life Manier, gibt es die Phasen des Trainings, Phasen des Zweifels, die zahlreichen Turnierkämpfe-, Reflektionen über die eigene Haltung und die letztliche Selbstfindung. Obwohl der Tischtennis-Sport hier über allem steht, sind das natürlich auch klassische Themen der Adoleszenz.
Coming of Age-Elemente in Sport-Manga sind recht gängig: Man denke an Kickers und die Captain Tsubasa-Reihe (Fußball), an Slam Dunk (Basketball), Mila Superstar (Volleyball). Oft sind diese Manga klassische Vertreter des Shonen- oder Shojo-Genres, d.h. in erster Linie für männliche oder weibliche Teenager konzipiert. Ping Pong wirkt aber trotz der Coming of Age-Prämisse und dem High School Setting irgendwie „roher“ und lakonischer als die genannten Vertreter. Ich weiß nicht, ob das Ding schon als Seinen-Manga durchgeht, aber der Manga verzichtet auf viel zwischenmenschlichen Ballast. Das kann man gut oder eher mäßig finden: Es gibt keine Love Interests, kein großes pubertäres Drama, nicht mal große Antagonisten. Alles hier untersteht dem Wettbewerb, der eigenen sportlichen Philosophie und der Freundschaft zueinander. Im Übrigen ist Ping Pong dabei seltsam männerzentriert: Abseits von der alten Tischtennis-Hallen Betreiberin Obaba gibt es so gut wie keine weiblichen Figuren, die im Manga auftauchen. Auch das kann man gut oder schlecht finden. Ein weiterer Unterschied zu anderen Shonen Sport Manga: Häufig haben wir einen doch recht strahlenden, quirky Helden mit dem Herz am rechten Fleck, in der Regel ist der Protagonist trotz aller Widrigkeiten extrem leidenschaftlich und schafft es, seine Mitstreiter mitzureißen. In Ping Pong hingegen sind die Figuren alle viel ambivalenter gezeichnet und gar nicht so unglaublich große Sympathieträger: Smile ist ein passiver, introvertierter Junge, der sein Talent gar nicht groß ausnutzen will, weil es mit Druck verbunden ist. Er wirkt unterkühlt und wortkarg. Sein bester Kumpel Peco ist ein Junkfood-liebender Egomane, Wenge hat den Erfolgsdruck seiner chinesischen Mannschaft im Nacken, Dragon ist auch ein Eigenbrötler, der seine Zeit vor jedem Match auf der Toilette verbringt und Manabu muss stets mit dem Stigma leben, nicht auszureichen. Jeder Charakter hat so seine Spleens, seine Schwäche, sein Kreuz zu tragen – sie wirken geerdet, die Antagonisierung von Figuren bleibt aus: Es gibt weder überzeichnet gute noch böse Charaktere. Alles untersteht dem sportlichen Wettkampf.
Ping Pong ist ein nerdiges Ding
Das macht Ping Pong auch zu einem ziemlich nerdigen Ding: Jeder Charakter wird mit seinem Spielstil eingeführt. Terminologisch wird da vergleichsweise wenig erklärt, sodass man sich als Laie die Begriffe selbst aneignen muss, oder versucht das Ganze aus Zusammenhängen zu erschließen. Da wird über die passenden Beläge und Hölzer und Eigenheiten von Penholder- und Shakehand-Griffen philosophiert. Ein zentraler Punkt in Pecos Comeback Arc ist etwa, wie er den risikobehafteten Reverse Penholder Backhand meistert, nachdem sein vorheriger Spielstil offenbar zu vorhersehbar war. Ein anderes wiederkehrendes Thema ist Smiles krasse Chopping-Technik – Was offensiv klingt, ist tatsächlich im Tischtennis eine Defensiv-Technik, mit der man die Wucht aus Spins nimmt und den Ball gleichzeitig mit Unterschnitt zurückspielt.
Hier hätte ich mir gewünscht, dass Taiyo Matsumoto die Techniken- Trainingsprozesse, Griffe und auch die Materialkunde stärker mit der Story verwoben hätte. Die Keyword-artige Listung der Spielerprofile wirkt für Leser*innen, die noch nie etwas mit Tischtennis am Hut hatten, überfordernd, gleichzeitig würden auch die Tischtennis-Nerds sicherlich ihre Freude bei stärkerer inhaltlicher Verknüpfung haben. So wird dem regulären Manga Konsumenten eigentlich nie ganz klar, warum Chop-Blocking nun so eine krasse Technik ist, oder warum Belag X/Y nun so starke Auswirkungen auf ein Spiel hat.
Zugleich überhöht Ping Pong die Dynamik der Matches auch nicht – Im Gegenteil: Die Darstellung des Sports scheint nicht nur realistisch, sondern sogar visionär zu sein. Im Anhang von Band 3 gibt es eine kleine Ausführung von Manabu Nakagawa, Chefredakteur des Table Tennis Report, der im November 2011 geschrieben hatte, dass „Ping Pong (…) nicht nur die Zukunft der japanischen, sondern auch die der chinesischen Tischtenniswelt vorweggenommen“ habe, nämlich in einer beinahe prototypischen Vorausahnung des künftigen Stellenwertes der „umgekehrten Penhold-Rückhand“. Er schließt ab mit folgendem Satz:
„Taiyo Matsumoto mag diese Ereignisse nicht wirklich vorausgeahnt haben, als er Ping Pong zeichnete, doch allein schon wie es ihm auf brillante Art gelingt, eine mögliche Zukunft Japans und Chinas im Tischtennissport aufzuzeigen, beweist sein außergewöhnliches Genie.“
Erzählerisch hat mir Ping Pong also durch seinen geerdeten und durchweg realistischen Ansatz ziemlich gefallen, ich hätte mir aber ein wenig mehr Zugänglichkeit für nicht affine Leser*innen gewünscht.
Skizzenhafte Dynamik
Ping Pong könnte potentielle Leser*innen durch seinen künstlerischen Stil abschrecken, denn die Zeichnungen wirken sehr roh und kantig. Matsumoto hat Ping Pong offenbar freihändig gezeichnet, die Linienführung wirkt skizzenhaft schwankend. Er verwendet oft extreme Close-Ups mit Perspektiven, die ein bisschen Fish Eye-mäßig wirken. Dadurch gibt es immer wieder filmisch inspirierte Einschübe. Er experimentiert auch mit der Komposition von Panels, mit einer Unmenge an Speed Lines und mit ausschweifenden Bewegungen der Figuren, teilweise mit leicht verzerrten Proportionen, welche die Dynamik und Geschwindigkeit des Spiels vermitteln wollen.
Die Bildsprache wirkt im Shonen-Genre verankert. Durch die Vermengung von teils sehr abstrakten, teils unglaublich detaillierten Zeichnungen, wirkt Ping Pong aber schon sehr eigen. Die Figuren haben durch diesen Umstand teilweise etwas leicht Groteskes an sich. Im Nachwort schreibt Matsumoto selbst, dass der wöchentliche Veröffentlichungsrhythmus ziemlich hart war. Deshalb seien die Bilder „furchtbar krakelig“ und er könne sich teilweise nicht mal daran erinnern, sie gezeichnet zu haben. Gleichzeitig stecke in ihnen aber auch eine enorme Kraft und Intensität. Ich denke, das trifft es ganz gut: Denn auf die rohe, aber enorm realistische Darstellungsweise muss man sich absolut einlassen – Hat man das aber geschafft, dann strahlt diese Machart eine unglaubliche Kinetik aus.
Aufmachung und Lokalisierung
Ich bin froh, dass Reprodukt Ping Pong in 3 statt 5 Bänden veröffentlicht hat. Kostentechnisch ist das Ding ziemlich fair mit 14,90 EUR pro Band bepreist. Dafür bekommt man die Manga im 13 x 18 cm Paperback Format. Der Auftakt umfasst 340 Seiten (Kapitel 1 – 18), der zweite Band 352 Seiten (Kapitel 19 – 37) und der finale Band 340 Seiten (Kapitel 38 – 55). Die Übersetzung aus dem Japanischen von Daniel Büchner funktioniert so weit gut; Es gibt keine Stelle, über die ich gestolpert bin. Das Lettering passt auch so.
Die japanischen Soundeffekte wurden für die deutschsprachige Ausgabe nochmal retuschiert und getypesettet. Alles ist Reprodukt-typisch qualitativ hochwertig, die Papierdicke ist angenehm, an der Druckqualität ist ebenso nicht zu beanstanden. Hier ist die Fallhöhe durch den künstlerischen Stil allerdings auch nicht besonders hoch.
Fazit:
Ich habe Ping Pong regelrecht verschlungen. Als Tischtennis-Spieler macht der Manga von Taiyo Matsumoto durch seine nerdige Herangehensweise eine Menge Spaß. Der Stil ist gewöhnungsbedürftig und nicht besonders schön, aber gleichzeitig steckt in der Rohheit der Zeichnungen auch eine Menge Energie. Die cineastischen Einstellungen, die Panelanordnung und die überschwängliche Nutzung von Speed Lines vermitteln das hohe Tempo und die konzentrierte Anstrengung des Spiels. Der Sport umrahmt die Coming of Age-Story der Protagonisten – Die Persönlichkeitsentwicklung bei den Charakteren findet aber immer im Rahmen des Sportes statt. Das Storytelling ist zutiefst japanisch, gleichzeitig trägt das Fehlen von jeglichem außersportlichen Drama bei mitunter ambivalenter Charakterzeichnung zu stärkerem Realismus bei. Den größten Kritikpunkt sehe ich bei der starken Voraussetzung von Techniken aus dem Tischtennis. Leute, die mit Tischtennis wenig bis gar nichts am Hut haben, werden die Zusammenhänge vielleicht nicht ganz einordnen können. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass Ping Pong nach all den Jahren eine deutschsprachige Ausgabe spendiert bekommen hat.
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ISBN 978-3956403194 / 978-3956403408 / 978-3956403941
Umfang: 340 Seiten (Bd.1), 352 Seiten (Bd.2), 340 Seiten (Bd. 3)
Maße: 13 x 3.2 x 17.4 cm
Taschenbuch
Preis: EUR 14,90, erschienen bei Reprodukt
PING PONG Band 1 / 2 / 3
Story - 8
Charaktere - 8.2
Illustration - 6.1
Umfang - 8.5
7.7
Kraftvoll-kinetischer Sportmanga, der mit seinem eigenwilligen Stil abschrecken könnte und eine kleine Ecke mehr Zugänglichkeit vertragen könnte. Die Coming of Age Story wirkt aber gleichzeitig realistisch, schnörkellos und lakonisch.