Ich bin großer Fan des Umstandes, dass Retro Releases in der heutigen Zeit gängiger und einfacher geworden sind denn je. Vor 13 Jahren war ein Pier Solar and the Great Architects als neuer Release für das Sega Mega Drive bzw. Genesis noch ein kleines Wunder. Heutzutage gibt es immer mehr Labels, die sich neuer Software für alte Videospielsysteme verschrieben haben. Eines davon ist Incube8 Games, die sich ganz konkret auf das Publishing von Game Boy Titeln spezialisiert haben. In diesem Zuge durfte ich mir den Titel 2021: Moon Escape von Entwickler Mike Yamato genauer anschauen, zu welchem ich kürzlich eine Newsmeldung verfasst hatte. Incube8 Games haben mir die ROM zum Titel zur Verfügung gestellt, die ich über einen Game Boy Emulator auf dem Steam Deck gespielt habe. Es gibt aber auch eine aufwendige physische Cartridge-Fassung, die nativ über die klassischen Nintendo Handhelds abgespielt werden kann und im Incube8 Shop erworben werden kann.
2021: Moon Escape ist ein Spiel, das mit dem GB Studio entwickelt worden ist. Mit dieser modernen Engine kann man für die Game Boy Hardware programmieren, ohne alles from the scratch in Assembler programmieren zu müssen. GB Studio erinnert in gewisser Weise an den RPGMaker – Für User*innen ohne Programmierkenntnisse fungiert die Software als Drag and Drop-basierter Editor, mit dem man via Visual Scripting seine Assets an die Stellen ziehen möchte, wo man möchte. Man kann Scripting Events für Interaktionen mit der Spielwelt erstellen und es ist alles gut dokumentiert. Versierte Programmieren können über Schnittstellen der GBVM Engine direkt auf den kompilierten Code zugreifen und diesen über Plugins und eigenen Code modifizierten. Kurzum: GB Studio macht die Entwicklung für Game Boy Hardware deutlich einfacher, als es noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist.
Und 2021: Moon Escape ist ein Beispiel dafür, was kompetente Entwickler*innen mit der Software alles machen können. Als Features wurden eine auf Exploration ausgelegte Open World, ausgeklügelte Charakter-Progression und Survival-fokussierter Kampf angekündigt. Das Sci-Fi Setting wirkt zwar mit Blick auf die Handlung rudimentär, atmet aber zumindest in Zügen eine Rogue One-artige Dramaturgie. Und seien wir ehrlich, mehr kann man da von einem Game Boy Titel auch nicht erwarten. In der Review schauen wir also, ob diese vielversprechenden Elemente in ihrer Ausführung taugen und ob es ein 2021: Moon Escape mit den kommerziellen Titeln des späten Game Boy-Lebenszyklus aufnehmen kann.
Einsame Rebellion
Die Galaxie befindet sich inmitten eines grausamen Krieges gegen die Kisur Barbaren, ein Heer aus sich schnell regenerierenden Roboters. Wir spielen Tars Nunien, einen sogenannten „Marked Brother“, dem es gelungen ist, die militärischen Pläne der Kisur zu stehlen. Diese könnten ausschlaggebend für eine erfolgreiche Gegenoffensive gegen die Besatzer sein. Er ist auf dem Rückflug zu seinem Heimatplaneten Astra Nova, als sein Schiff in ein seltsames Energiefeld gerät und in der Folge auf einem unerforschten Mond strandet. Nur in Begleitung eines KI Assistenten namens Thuvia, muss Tars einen Weg finden, dem unwirtlichen Mond zu entfliehen und seine Heimat Astra Nova doch noch irgendwie zu retten.
Die Atmosphäre des Spiels ist großartig und erinnert in vielerlei Hinsicht an die Metroid-Reihe. Der Mond als Spielwelt wirkt trotz der Pixelgrafik wie eine raue und feindliche Umgebung – Unerschlossen, fremdartig, deprimierend und einsam. 2021: Moon Escape gibt sich wortkarg und kommt ohne viele Dialoge aus, außer ab und an mit der KI – In der Rolle von Tars Nunien stoßen wir immer wieder auf uralte Relikte längst vergangener Zivilisationen, auf bioorganische Technologie, die seltsam ineinander verwoben wirkt. Das ist vermutlich durchaus als Reminiszenz an die Designs eines H.R. Giger gemeint. Rein vom Vibe her kann der Titel von Mike Yamato also auf jeden Fall was.
Zuweilen unnötig archaische Designentscheidungen
Als Retro-Gamer kann man über altbackenes und daraus resultierendes frustrierendes Gameplay häufig hinwegsehen. Die hohen Schwierigkeitsgrade alter Titel aus den 80ern und 90ern machen mitunter einen nicht unerheblichen Reiz vom nostalgischen Vergnügen aus. Bei 2021: Moon Escape gibt es allerdings ein Ungleichgewicht an moderneren Ideen und unnötig frustrierenden Altlasten, die zu einem zähen Gameloop führen.
Ich verstehe, dass 2021: Moon Escape zu einem nicht unerheblichen Teil auch Survival-Game sein will. Das heißt, Ressourcen-Management ist ein bedeutender Teil des Gameloops. Damit will Yamato die unbarmherzige Menschenfeindlichkeit des Mondes verdeutlichen – Aber das Spiel übertreibt es an einigen Stellen: So ist man gerade zu Beginn extrem limitiert, was die Energie des Charakters angeht und hat nur jeweils vier Schuss aus der Waffe, bevor die Munition alle ist – Eine Nahkampf-Waffe gibt es indes nicht. Es gibt Passagen im Spiel, bei denen ein beengter Durchgang von Widersachern blockiert wird. Hat man zu diesem Zeitpunkt keine Munition mehr, und das passiert nicht gerade selten, muss man zwangsläufig den Exitus forcieren, damit die Energie nach dem Respawn wieder frisch aufgeladen wird. Mit einer Nahkampf-Waffe, etwa ein Messer, hätte man sich aus einer solchen Lage mit etwas Geschick rausmanövrieren können – nicht umsonst ist das der letzte Strohhalm bei Survival Horror-Games wie Resident Evil – zumal hier auch Modifikationen beim Melee Combat denkbar wären, die dem ganzen strategische Tiefe verleihen würde.
Das Problem des übertriebenen Survival-Gedankens geht einher mit einer anderen nervigen Eigenheit des Spiels – Bei 2021: Moon Survivor werden eindeutig zu viele Gegner gespawnt. Das ist an sich ein recht typisches Game Boy Ding – Klar, beim Wechseln des Screens werden die Gegner neu geladen und sind erneut da. 2001: Moon Survivor hingegen lässt die Widersacher selbst dann respawnen, wenn man nur das Menü betritt, die Karte öffnet etc. – Es kann durchaus passieren, dass man nach Einblick in die Karte der Spielwelt direkt einen Gegner vor der Nase hat, der einen unumwunden angreift. Zusammen mit der limitierten Munition ist das eher Spieldesign aus der Hölle.
Solide Dungeons und veschenktes Potential
Die offene Welt und die Navigation orientiert sich weitgehend an Zelda – Aus der Vogelperspektive steuern wir Tars Nunien durch die unwirtliche Sci-Fi Welt. Und wie im Vorbild sind spezifische Items und Upgrades vonnöten, um neue Dungeons zu erschließen. Das Leveldesign ist weitgehend ganz schön gestaltet, die Dungeonpassagen sind clever miteinander verzahnt und haben ein paar nette Rätsel-Einlagen, die gut funktionieren. Von allem hätte es aber zugunsten mehr Vielfalt ein bisschen mehr geben können: Mehr Items, mehr ineinandergreifende Spielmechaniken, mehr Charakterprogression.
Die Welt ist mit ihrer fremdartigen Flora und Fauna und den ominösen Ruinen schön gestaltet und ambitioniert groß. Warum hat Yamato hier das Potential so derartig verschenkt und daraus eine schnöde große Fetchquest gemacht? Wir müssen auf dem Mond vier Erweiterungsmodule finden, die für das Vorankommen nötig sind – Diese sorgen aber nicht für weitere Fähigkeiten, sondern schalten nur neue Jump-Pads frei. Und die Jump-Pads sind neben dem Respawn-Problem das nervigste Spielelement überhaupt: Denn um die richtigen Wege zu finden, muss man die richtigen Jump Pads bedienen, die aber teilweise mehrere Screens entfernt sind. Es geht also im Wesentlichen permanent um die passenden Pads, damit es vorwärts geht. So wird aus der atmosphärischen und stimmigen Open World eine schlauchige Farce, die sich nicht gerade gut mit dem Survival-Aspekt verträgt. Hier hätte man sich wirklich an den großen Vorbildern Zelda und Metroid, meinetwegen auch Castlevania orientieren können, um der Welt (und dem Spiel) mehr Tiefe zu verleihen.
Grafik schick, Sounddesign meh
Ich habe mehrfach darauf verwiesen, dass die Atmosphäre die große Stärke des Titels ist. Das liegt nicht zuletzt an der grafischen Gestaltung, die in gewisser Weise an den retrofuturistischen Fallout-1950s Style minus die schwarzhumorigen Elemente erinnert. Der Armband-Communicator von Tar fungiert als Menü und sieht herrlich klobig aus. Die Sprites sind schön groß, die Innenareale wirken schön rustikal. Das passt so weit. Wir haben artstyletechnisch irgendwas zwischen Metroid, Alien, Star Wars und Legend of Zelda. Was es nicht gibt und was vermutlich konkrete Designentscheidung war: Ein fehlendes HUD, was die Immersion verstärken soll – Allerdings ist das visuelle Trefferfeedback beim Kontakt mit Widersachern im Spiel derart unzureichend hervorgehoben, dass es schlicht nervig ist, wenn man jedes Mal auf den Armband-Computer schauen muss, um zu gucken, ob man getroffen worden ist – nicht zuletzt weil dann ja wieder neue Widersacher respawnen.
Auch das Respawning war scheinbar bewusste Entscheidung, Yamato begründet dies mit der Regnerationsfähigkeit der Kisur, aber Hand aufs Herz: Das sind supernervige Designelemente.
Und auch beim Sound zeigt sich 2021: Moon Escape eher durchwachsen, aber auch hier vermutlich inhaltlich begründet: Das Spiel ist häufig stumm oder arbeitet mit eher kargen Melodien, die irgendwie dissonant wirken, ganz im Kontrast zu intensiveren Passagen mit lautem und rauen Gedröhne. Ich schätze, damit will man das Gefühl von Einsamkeit vermitteln, aber das machen andere Titel dieser Art deutlich besser.
Fazit:
Viele Passagen der Review wirken härter als sie gemeint sind. Retro-Enthusiasten und 8-Bit Fanatiker werden durchaus ihren Spaß mit 2021: Moon Escape haben. Das Spiel ist definitiv ambitioniert und ich habe die offene Welt und den Artstyle genossen. Es ist generell beeindruckend, was Leute mit dem GB Studio in der Lage zu schaffen sind und ich befürworte den kreativen Output für alte Systeme zu jedem Zeitpunkt. Ich kann beinahe jede von Mike Yamatos Entscheidungen, die ich kritisiert habe, nachvollziehen. Aber ein guter Flow ist immer ein Balanceakt zwischen dem, was man stimmungsmäßig vermitteln will und dem Maß an Unterhaltung, welches das Endprodukt bieten soll. Und hier sind einige Aspekte des Gameplays ins Wanken geraten: Was bringt eine schöne offene Welt, wenn die Navigation durch die zähe Suche nach Jump-Pads erschwert wird? Was bringt das unbarmherzige Ressourcen-Management, wenn es zuweilen keine Alternativwege gibt, um Ressourcen möglicherweise einzusparen? Warum ist das Respawning-System der Widersacher so dämlich? Warum ist das Spiel grafisch durchaus hübsch geraten, aber hat beim auditiven Part viel zu sehr gespart? Warum ist das retrofuturistische Menü so hübsch geraten, während man auf ein in dem Fall wirklich notwendiges HUD verzichtet hat? Hätte ich das Spiel auf der Original-Hardware, das heißt auf meinem Game Boy gespielt, gäbe es vermutlich noch einen Nostalgie-Schleier, der die Experience irgendwie doch ziemlich cool gemacht hätte. Via Emulation, d.h. ohne rosarote Retrobrille, wiegen die Schwächen dann aber eine Ecke zu viel. Als Fan der Hardware kann man aber trotzdem zugreifen, wenn man das Gefühl einer fremdartigen Terra Icognita wie in Metroid, gepaart mit dem spielerischen Kern eines NES-Zeldas mag. Dass die Incube8 Releases optisch was hermachen ist ja dann auch eine Sache, die es zu unterstützen gilt.
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2021: Moon Escape digital (ROM ONLY)
2021: Moon Escape Physisches Release
2021: Moon Escape [Nintendo Game Boy]
Grafik - 7.5
Story - 6.5
Technik - 7
Umfang - 8.5
Spielspass - 6
7.1
Ambitioniertes Open World-Survival-Game mit Anleihen von Metroid und Zelda, das aber an hakeligen Designentscheidungen krankt.