Kontroversen gehören zur Gaming-Industrie. Mal absichtlich provoziert, mal durch interne Vorgänge bei den Entwicklerteams. Und da ist auch Saints Row kein unbeschriebenes Blatt. Am Anfang stand ein erstaunlich spaßiger und selbstständiger GTA-Abklatsch, der die damalige Gangster-Kultur auf den Arm nahm. Angespornt durch den Zuspruch der Fans wurde das Ganze dabei immer abgedrehter und am Ende war man als Saints Row Protagonist der Präsident der USA mit Superkräften im Kampf gegen Außerirdische. Dass sich die Entwickler hier erzählerisch irgendwie nicht mehr steigern können, wurde Volition scheinbar selbst klar, denn mit dem neuesten Ableger versuchen sie ein Reboot der Serie, das nicht nur Tabula Rasa mit den beliebten Chaoten wie Johnny Gat und Co macht, sondern das ganze Spiel etwas bodenständiger machen soll. Ähnlich wie der andere große GTA-Klon Watch Dogs wurden die Charaktere schon in frühen Trailern hipsteriger und da Onlinetrolle eine bekanntermaßen kurze Lunte haben, fingen die auch direkt an zu schäumen und erklärten das Projekt Saints Row zum hoffnungslosen Unterfangen. Aber eine laute Meinung ist noch lange keine gute Meinung. Sehen wir uns das ganze doch mal selbst an.
Die Enwickler versuchen gar nicht ihrem Witzstau Grenzen zu setzen
Scheinbar bin ich so ziemlich die letzte Bastion in Sachen weite Buchse unterm Arsch tragen, denn die Welt in Saints Row ist eine ganz andere als noch 2006. Die neuen Protagonisten sehen bedeutend moderner aus, so gibt jetzt eine weibliche Fahrerin oder den grenzwertig pazifistischen Eli, der ein schlaksiger Nerd ist, der sich kleidet wie Steve Urkle auf einer Beerdigung. Auch die Geschichte ist in der Gegenwart angekommen, denn statt nur aus Jux und Dollerei ein Crime Imperium aufzubauen muss man sich ganz am Anfang als Opfer der Housing Crisis um die Miete in einer WG bemühen. Der Ausweg ist aber auch hier ziemlich klar: Wir bauen wieder ein kriminelles Unternehmen auf. Saints Row gewinnt für seine Handlung keine Innovationspreise, dafür macht es mit seinen Charakteren alles richtig. Die sind nämlich allesamt ein wilder Haufen mit (wortwörtlich) merkwürdigen Quirks. Egal ob man für einen ehemaligen Arbeitskollegen Autos klaut oder sich mit Eli in seine wilden LARP-Eskapaden begibt, es ist immer was los und die Entwickler versuchen auch gar nicht ihrem Witzstau Grenzen zu setzen. Da zündet nicht jeder Gag, aber Saints Row gelingt hier in mehrerer Hinsicht etwas, woran Borderlands und speziell sein P&P-basiertes Spin Off gescheitert sind: Nicht nur gibt es hier die bessere Rollenspielparodie, es ist auch schlicht witziger.
Die Story und ihre Charaktere kommen ohne große Innovationen daher, aber sie sind stimmig und wissen zu gefallen. Das Gameplay geht auch wieder zurück zu seinen Wurzeln, zeigt aber auch Elemente, bei denen deutlich wird, dass es auch Vorteile hat, wenn die Oldschool in der Vergangenheit bleibt. Saints Row ist, wenig überraschend, ein weiterer Vertreter der fast schon verpflichtenden Open World Spiele. So teilt sich das Gameplay hauptsächlich in die genretypischen drei Elemente auf: Rumballern, rumglotzen und rumfahren. Das gelingt dabei unterschiedlich gut. Das Rumballern nimmt vermutlich den größten Teil ein und tut das weitgehend erfolgreich. Es gibt genügend Waffen und die Spielenden können sich bei der Gestaltung ihrer Waffen gut austoben. Man kann seine Kniften anmalen, upgraden und teilweise sogar durch Skins komplett verändern. Ich werde kein Spiel ausgiebig kritisieren, bei dem ich meine normale Pistole wahlweise auch als Space Marine Bolter oder Starlords Laserwaffe verwenden kann. Das Handling der Waffen kann dabei leider etwas hakelig sein und erreicht nie die mühelose Eleganz von Genregrößen wie Halo und Doom. Außerdem ist es irgendwie schwer einzuschätzen, wie viel Schaden man letztendlich macht. Und davon braucht man jede Menge, denn man kämpft häufig gegen ganze Wellen an Gegnern und ist dabei oldschoolig unterwegs, denn nach einem Deckungssystem oder Healthpacks sucht man vergebens. Das Dauerfeuer wird nur unterbrochen durch die verschiedenen Skills mit denen man seinen Helden einen individuellen Anstrich verpassen kann. So kann man sich selbst einen Schild verpassen, Gegnern Granaten in die Hose stopfen und sie zu ihren Freunden zurückwerfen oder mit einer Flammenfaust zuhauen. Klingt cool, macht auch ein paar Mal Spaß, aber effizienter bleibt es am Ende dann doch, wenn man stumpf weiterballert. Außer natürlich man verliert Lebenspunkte, dann muss man eine Nahkampfattacke starten, die stets in eine kurze Cutscene führt, bei der man seinen Feinden auf verschiedenste Weise auf die Mappe haut. Manche dieser Sequenzen sind witzig, aber wiederholen sich schon früh und sind auch ein wenig zu lang, um sie bei jedem Cooldown zu verwenden. Die Gags innerhalb der Missionen und das Writing gallopieren so dem eigentlich Gameplay davon, denn zu viel von etwas Gutem wird schnell zum Gegenteil.
Kleine Welt, gut bewohnt
Und das ist irgendwie das Mantra des Games, denn die zweite Säule, die ich alter Charmeur „rumglotzen“ genannt habe, meint das Erforschen der Spielwelt. Die Welt in Saints Row ist erfreulich klein, dafür aber auch gut bewohnt. Egal wo man her läuft, es passiert etwas. Mal erzählt irgend ein Passant gröbsten Unfug, mal baut die KI einen Unfall, der von der Polizei auch aufgenommen wird oder man findet eine der dutzenden Collectibles. Dutzende? Sagen wir hunderte und das Spiel möchte auch, dass ihr die einsammelt. Das ist mal cool, mal nicht so, aber ganz bestimmt eher früher als später ziemlich repetetiv. Dafür sieht man viel von der Welt und findet zahlreiche Klamotten um sich seinen Charakter zu individualisieren. Der Reiz daran seinen Protagonisten in Schuhe aus Kartons zu stecken und ihn auch auf undenkliche weitere weirde Art behämmert aussehen zu lassen, geht an mir zwar völlig vorbei, aber an einer Sache mangelt es in Saints Row sicher nicht und das ist die schiere Menge an Zeugs. Und das ist cool.
Die dritte Säule, das „Rumfahren“ bezieht sich auf die Fahrzeugelemente im Spiel. Vielleicht ist das unfair, aber den Teil mag ich in keiner Openworld, Autos sind mir schlicht wumpe. Ich umgehe auch jede Fahrmission, die ich kann. Dafür kann ich mir mein Auto hübsch machen und Mucke hören und das funktioniert meiner Meinung nach gut. Für Autonulpen wie mich kann man auch, ähnlich wie bei Burnout, per Tastendruck ausbrechen um Gegner zu rammen und aufs Dach steigen um entweder von dort zu ballern oder sich mit seinem Gleitschirm durch die Gegend zu scheppern. Gut für mich, vermutlich schlecht für Autofans: Die Autos fahren sich alle so ähnlich, dass man auf der Straße gar nicht lange suchen muss, denn das nächstbeste Gefährt ist ziemlich sicher schon irgendwie ok.
Okaye Schauwerte
Was bleibt am Ende übrig? Saints Row sieht ganz ok aus, ohne jemals grafisch Bäume ausreißen zu wollen, dafür lädt es schnell. Für eine Open World gibt es nur sehr wenige Bugs und klar, es hat Mängel, aber es macht auch Spaß. Ein gelungenes Reboot, das sich zwar ein Genre mit GTA teilt, aber auf eigenen Beinen steht!
Fazit:
Man muss das Rad nicht neu erfinden. Saints Row tut das auch nicht, dafür kann man seinem Rad hier ein Bananenkostüm anziehen und es blau anmalen. Klar, die Missionen sind gameplaytechnisch aus dem Klonlabor, ob ich wirklich über 10 Mal auf die selbe Art ein bestimmtes Auto klauen muss ist fraglich. Aber wenn es Spaß macht, macht’s auch wirklich Spaß. Ich habe nicht viel erwartet und wurde positiv überrascht!
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Story - 7
Grafik - 7
Spielspaß - 7.5
Technik - 8.5
7.5
Man muss das Rad nicht neu erfinden. Saints Row tut das auch nicht, dafür kann man seinem Rad hier ein Bananenkostüm anziehen und es blau anmalen. Ich habe nicht viel erwartet und wurde positiv überrascht!